H'mong. Gebhard Friebel
herausfinden können, was die Laoten mit den Flüchtlingen anstellen.“ Er stand auf. „Ich gehe jetzt auf jeden Fall zurück in den Internet Raum und schaue mir das Ganze noch etwas an.“
„Ich komme mit“ kündigte Chris an: „Wo stehen die Computer?“
„Wir müssen den Einäugigen wecken. Erschrecke ihn nicht wieder. Komm’ mit.“
„Der einäugige Hektiker mit ohne Auge! Hoffentlich bekommt der vierhundert Kilo Schwabbel keinen Herzanfall.“
„Wer schläft, sündigt nicht.“
„Er könnte überhaupt nicht sündigen. Es wäre viel zu viel Arbeit!“
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In der leeren Eingangshalle döste der einäugige Rezeptzionist. Er war wie immer an seiner langen Empfangstheke eingenickt: Der Kopf lag auf dem Arm.
Ungeduldig hieb Chris mit der flachen Hand auf die Theke. Gerhard grinste. Er flötete: „Nicht aufregen!“
Im Zeitlupentempo wuchtete sich der massige Schädel vom Arm. Feindselig musterte das verbliebene Auge die beiden Gäste.
Er knurrte: „Auschecken?“
Gerhard knurrte zurück: „Entschuldigen Sie die Störung. Internet. Aber keine Hektik.“
Unter Stöhnen öffnete der einäugige Kloß eine Schublade und wühlte sie durch. „Business Center. Ein Dollar, eine Stunde!“
Sein Auge blieb auf der Uhr an der gegenüberliegenden Wand hängen. „Noch vier Stunden! Oh Gott“ murmelte er gequält. Er legte einen Schüssel auf die Theke und sank wieder in sich zusammen.
Gerhard flüsterte: „Danke, gute Nacht!“
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Im ‚Business Center’ schaltete Gerhard das Licht an.
„70 Grad, mindestens“ konstatierte Chris, „ich mache das Fenster auf.“
„Window no have; Aircon no have“ spottete Gerhard. „Lass die Tür auf.“
Chris stöhnte ergeben und musterte die beiden Computer. Sein Blick blieb an den schweren Monitoren hängen. „Dampfbetrieben, Vorkriegsmodell. Ich meine den ersten Weltkrieg.“
Er zog einen Stuhl herbei und setzte sich. „Mindestens einhundert Jahre alt.“
Er schaltete einen Computer an und stand wieder auf. „Der braucht zum Hochfahren eh’ eine Stunde. Ich hole ein Bier; für Dich auch?“
Gerhard nickte grinsend. „Hier wird man zum Stoiker. Bring’ besser einen ganzen Kasten. Das hier, das dauert länger. Wo sind denn die Lochkarten, verdammt noch mal.“
Beide verbrachten den ganzen Nachmittag an den unsäglich langsamen Computern. Ab und zu informierten sie sich gegenseitig über ihre neuesten Erkenntnisse.
„Hier wird auf ein Buch über das Thema hingewiesen. Von einer Amerikanerin, Jane Hamilton Merrit. Sie ist Professorin, eine ehemalige Senatorin. Es heißt: ‚Tragic Mountains’. Wenn ich in der Zivilisation zurück bin, werde ich es kaufen und vielleicht hier im Internet ein Blog einrichten,.“meinte Gerhard. „Außer Appellen im Internet, die nicht beachtet werden, kommt scheinbar nichts.“
„Was sollen die auch viel tun, außer ‚Appellieren’. Hier ist ein Bericht über eine andere Sauerei. Es geht um das Paradies Thailand: Das UNHCR bezahlt viel Geld an das Land, damit die drei Lager für Flüchtlinge aus Laos nicht geräumt werden. Die Thailänder müssen keinen Baht für Unterkunft und Versorgung aufbringen. Trotzdem schieben sie immer wieder Leute nach Laos zurück. Die verschwinden dann. Tschüss aus!“
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Am frühen Abend suchten sie ein Restaurant in der Nähe auf. Als sie das Essen bestellt hatten, fragte Chris: „Und wie soll’s jetzt weitergehen?“
„Ich würde gerne morgen früh für die Leute ein paar Säcke Reis und andere Lebensmittel kaufen. Was hältst Du von ein paar gefrorenen Hähnchen und einem Styropor-Behälter, damit die Flattermänner nicht gleich stinken. Sie sollen mal was Richtiges zu knabbern haben.“
Er dachte nach. „Auch frischen Salat und Gemüse. Und wir holen Vitamintabletten für alle, besonders für die Kinder.“
Chris fügte hinzu „Und vielleicht aus einer Apotheke noch was gegen Durchfall.“
„Gut. Wir sollten auch ein paar Flaschen Fischsauce mitnehmen. Das Zeug ist hier wichtig, habe ich mal gelesen. Es wirkt gegen Schilddrüsenerkrankungen. Jetzt frag’ mich bitte nur nicht, was die Schilddrüsen sind.“
„Na ja, das hat wohl was mit dem Schwimmer zu tun, ha ha.“Er schlug sich auf die Oberschenkel.
Gerhard schwieg überrascht. Dann sagte er: „Das war übrigens das erste Mal heute, dass Du gelacht hast.“
Nach dem wieder schweigsam eingenommenen Essen, sagte er nachdenklich: „Vielleicht sollten wir wirklich mehr tun, als nur Reis und Flattermänner dahin zu bringen.“
Chris nickte zustimmend. „Und an was denkst Du da?“
„Ich weiß nicht genau. Aber ich fühle mich verdammt schlecht, wenn ich an diese armen Leute da draußen denke. Wir sitzen hier und essen uns eine Wampe an, und die essen Wurzeln und rote Nüsse gegen den Hunger.“ Gerhard betrachtete nachdenklich die halbleeren Essensschüsseln vor sich.
„Was würdest Du dazu sagen, wenn wir tatsächlich versuchen würden, diese Gruppe von hier hinaus zu bringen? Zum Beispiel nach Thailand? Sie sehen schließlich genauso aus wie die Leute von dort. Sie können dort untertauchen.“
Er sah seinen Neffen fragend an, der auf einem großen Teller sein Essen hin und her schob. „Pässe können wir ihnen keine beschaffen. Aber ich habe im Internet gelesen, dass viele Laoten illegal in Thailand leben. Wir müssten unseren Leuten nur ein paar Klamotten kaufen, damit sie nicht auffallen. Und im Nordosten, im Issan, sprechen sie eine Sprache, die identisch ist mit der Laotischen. Sie haben gemeinsame Vorfahren, die Leute aus Laos und aus Nordostthailand.“
Seine Augen blitzten auf, als er fortfuhr: „Irgendwann werden sich die politischen Verhältnisse in ihrer Heimat ja auch mal ändern. Dann können sie zurück. Oder sie können nach ein paar Jahren vielleicht auch in Thailand bleiben. Im Norden von Thailand leben Menschen des gleichen Stammes. Sie heißen dort ‚Meo’. Bei Chiang Mai gibt es Dörfer dieser Leute, aber Dörfer ohne Polizeiaufsicht. Dörfer mit Schulen, und ohne Zwang. Man lässt sie dort in Ruhe leben.“
„Alles schön und gut. Nur: wie willst Du sie ohne Pässe über die Grenze bringen?“
„Natürlich können sie nicht über einen Grenzübergang nach Thailand. Aber man könnte sie heimlich mit einem Minibus bis in die Nähe der Grenze bringen. Dann geht es zu Fuß weiter. Beide Länder haben über Hunderte von Kilometern eine gemeinsame grüne Grenze“
„Aber dieser Ler hat doch gesagt, dass sie zu schwach sind für weite Wege“ warf Chris ein.
„Man müsste mal auf einer Karte schauen, wo in der Nähe der Grenze eine Straße verläuft. Oder wo an der Grenze ein Ort liegt. Dort gibt es dann sicher eine Straße. Ein paar hundert Meter zu Fuß halten sie schon durch; es sind keine Schlaffsäcke wie wir Europäer.
Sie könnten auch durch den Grenzfluss, den Mekong, schwimmen. Der bildet viele Kilometer lang die Grenze zwischen beiden Ländern.“
„Aber sie haben Kinder dabei. Wenn die nicht schwimmen können?“
Gerhard wischte die Bedenken weg: „Dann versucht man es mit einem Boot; das könnte man alles organisieren; das könnte klappen. Und alles bei Nacht; man müsste es nur konsequent durchziehen.“
Gerhard kam in Fahrt. „Ich will noch etwas im Internet stöbern; mal sehen, ob ich eine Google-Landkarte mit der Grenze finde.“
„Ich komme mit. Hier sinnlos die Zeit