H'mong. Gebhard Friebel

H'mong - Gebhard Friebel


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und er wird zu seinen Vorfahren im Nirwana finden. Das ist sein Beschluss, und wir müssen seine Meinung respektieren.“

      Am Ende seiner Worte war Ler sehr leise geworden. Man merkte ihm an, dass es ihm schwer gefallen war, zu reden.

      Er sah traurig auf den schweigsamen Alten, dessen Blick in die Ferne schweifte. Er atmete hörbar ein, und blickte neugierig Gerhard und Chris an.

      „Lasst uns über die Einzelheiten Eures Planes reden.“

      „Zuerst müssen wir aus diesem Land hinaus. Wir sollten nach Thailand gehen,“ begann Gerhard.

      „Dort bringen wir Euch irgendwo für einige Tage unter. Wir mieten ein Haus, und versorgen Euch. Chris und ich fahren nach Bangkok. Wir versuchen, für Euch in der deutschen Botschaft vorübergehend Asyl zu erhalten.“

      „Denkst Du, es wird funktionieren?“

      „Wir werden es versuchen. Wir nehmen danach Kontakt zum UNHCR auf. Von dieser Organisation erhaltet Ihr offizielle Flüchtlingsnummern und Ausweise als anerkannte politisch Verfolgte. Von da an dürfen die Thailänder Euch nicht mehr nach Laos zurückschicken. Wir werden versuchen, ein Land zu finden, das Euch aufnimmt. Alles wird gut werden, glaubt es mir.“

      „Warum ziehen wir die Angelegenheit nicht doch in Laos durch?“ Chris war hartnäckig. „Hier wäre es viel einfacher. Warum den weiten Weg bis nach Thailand machen? Warum karren wir die Leute nicht einfach nach Vientiane? Dort gibt es auch eine deutsche Botschaft. Warum schalten wir nicht die ein? Wir hätten es viel leichter.“

      „Darüber haben wir schon im Hotel gesprochen. Aber es ist gut, wenn Ler es mitbekommt.“

      Er wandte sich an den H’mong. „Ler, damit Ihr als politische Flüchtlinge anerkannt werdet, müsst ihr vom UNHCR Flüchtlingspapiere bekommen. Die Laoten lassen keine Mitarbeiter des UNHCR ins Land. Sie haben Angst, dass ihre Verbrechen weltweit bekannt würden. Stell’ Dir vor, Meldungen über ausgelobtes Kopfgeld für tote H’mong oder Fotos von verstümmelten Leichen gehen um die Welt.“

      Gerhard schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Deshalb müsst Ihr nach Thailand gehen. Dort wird es kompliziert genug werden. Die Thailänder wollten noch vor einem halben Jahr 22 Kinder unter 16 Jahren nach Laos zurückschicken, deren Eltern oder Verwandte als politische Flüchtlinge anerkannt waren. Das wurde erst durch internationalen Protest, der vom UNHCR initiiert wurde, verhindert. Solange Ihr nicht als politische Flüchtlinge anerkannt seid, geltet ihr offiziell als illegale Wirtschaftsflüchtlinge. Verstehst Du Ler? Kannst Du uns folgen?“

      „Ich verstehe, was Du meinst“ antwortete der H’mong.

      Gerhard fuhr eindringlich fort: „Unser Vorhaben können wir nur in Thailand verwirklichen. Dort könnt Ihr als politische Flüchtlinge anerkannt werden. Dort können wir Öffentlichkeit herstellen. In Bangkok gibt es eine große UNHCR Niederlassung, als Teil des riesigen UN-Komplexes.“

      Er wandte sich wieder Chris zu. „Wenn wir die Leute erst mal dort haben, haben wir gewonnen. Die deutsche Botschaft ist nicht weit davon entfernt. Ich war einmal dort. Die Leute waren sehr freundlich.“

      Chris wandte sich an Ler. „Wie viele Leute genau seid Ihr nun?“

      „Drei Kinder, vier Frauen und vier Männer.“

      „Also elf Personen. Die passen bequem in einen Minibus.“

      „Wie kommen wir an einen Minibus?“,fragte Gerhard.„Wenn wir Weiße einen Bus mieten, und fahren Asiaten durch die Gegend, würde das auffallen. Es gibt hier auf den Straßen oft Kontrollen.“

      Chris schlug vor: „Wir können einen Bus mit Fahrer mieten. Damit fahren wir an die Grenze.“

      „Aber wenn wir so verfahren, würde der Fahrer merken, dass es H’mong sind. Er wüsste, dass wir zur Grenze wollen. Er könnte den Schluss ziehen, dass sie fliehen wollen. Er könnte uns an die Polizei verraten.“

      „Langsam,.“sagte Ler, „wir haben einen Verwandten in der Stadt, direkt in Phonsavan. Es ist der Neffe von unserem Ältesten. Sein Name ist Lia Thao. Er hat nie für die Amerikaner gearbeitet. Er verbrachte seine Jugend in China, und ist mit einer Chinesin verheiratet.“

      „Du denkst, er könnte uns fahren?“ fragte Gerhard ihn.

      „Er hat eine kleine Reiseagentur mit zwei Minibussen. Wir haben zwar schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm. Aber gegen Geld würde er uns helfen; da bin ich sicher. Er könnte fahren. Er ist verwandt. Das zählt hier mehr als vieles Andere.“

      „Gut, dann schreibe uns seine Adresse auf und ein paar Worte an ihn, damit er weiß, worum es geht.“ Gerhard war begeistert.

      „Wir werden für Euch alle heute Nachmittag Kleider besorgen, in denen Ihr wie Thailänder ausseht. Wir kaufen keine neuen Kleidungsstücke. Gestern haben wir einen großen Markt gesehen, wo Second- Hand Sachen verkauft werden. Thailändische Touristen gibt es hier etliche. Ihr solltet mit diesen Kleidern nicht auffallen. Natürlich, wenn Polizisten oder Soldaten nach Pässen fragen sollten, haben wir ein Problem.“

      „Ja, erinnere Dich mal, Onkel“ mischte Chris sich ein, „wir sind auf der Fahrt hierher dreimal an Polizeikontrollen angehalten worden.“

      Gerhard wies den Einwand zurück. „Im Bus waren außer uns und einem anderen Weißen ausschließlich Laoten oder Thailänder. Trotzdem hat der Polizist nur kurz mit dem Fahrer gesprochen und ohne Kontrolle den Bus durch gewunken.“

      „Der Polizist wollte Trinkgeld haben. Das ist hier in Laos üblich“ sagte Ler.

      „Also Trinkgeld können die Polizisten ruhig haben,“ sagte Gerhard, „dann ist alles soweit klar. Wir sind morgen Mittag wieder hier mit den Kleidern, und informieren euch, ob Euer Verwandter mitspielt. Wenn er mitmacht, sollten wir uns einige Tage später wieder an diesem Rastplatz treffen. Von hier werden wir direkt zur Grenze am Mekong fahren. Wir mieten ein kleines Boot, in das wir alle hineinpassen- und setzen über. Einverstanden?“

      „Ja, so könnte es funktionieren.“

      Chris und Gerhard standen auf. Die H’mong folgten ihnen zum Wagen. Auf der Rückfahrt frage Gerhard Ler: „Euer Führer will wirklich nicht mit? Es ist schwer zu verstehen.“

      „Man kann nicht alles verstehen. Trotzdem muss man vieles akzeptieren. Das zeichnet einen weisen Menschen aus.“

      Sie brachten die H’mong unbehelligt vom Parkplatz zum Treffpunkt zurück. Sie verabschiedeten sie, und fuhren zurück nach Phonsavan.

      Unterwegs sah Gerhard Chris an und sagte: „Jetzt wird es spannend. Hoffentlich halten Deine Nerven durch.“

      „Wer A sagt, muss auch B sagen. Meine Nerven sind besser als Deine. Vielleicht solltest Du vorher eine Apotheke aufsuchen. Es gibt heute sehr gute nerven- und herzstärkende Mittel für ältere Leute. Ich denke da an Knoblauch- oder Ginsengpräparate. Und an Schnaps, in den Schlangen und Skorpione eingelegt sind. Na, Onkel, was hältst Du davon?“

      „Ich bin fit. Ich brauche auch kein Viagra. Im Gegensatz zu einem gewissen jungen Mann, dem ich aus Asien schon des öfteren solche Beschleuniger mitbringen musste.“

      „Nur für meine Freunde, nur für Freunde.“

      *****

      In der Stadt angekommen, fanden sie das Reiseunternehmen in einer versteckten Seitenstraße. Der Chef, Herr Lia Thao, ein kleiner, grauhaariger Herr Ende vierzig, musterte sie neugierig. Sein gepflegtes Äußeres und sein grauer, makelloser Anzug mit geschmackvoller Krawatte passten nicht zu der heruntergekommenen Gegend, in der sich sein Büro befand. Ein moderner, kleiner Flachbildschirm stand auf einem riesigen, aufgeräumten Schreibtisch. Sein weltmännischer Habitus stand in seltsamem Gegensatz zu dem vernachlässigten Haus und dem stallähnlichen Hinterzimmer, in dem Herr Lia Thao seine Besucher empfing.

      Sie grüßten höflich und stellten sich vor. Gerhard kam sofort zur Sache: „Wir sind hier, weil wir Kontakt zu Ihren Verwandten, diesen H’mong-Leuten haben.“

      Lia


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