Lockvogel. Theresa Prammer
Grinsen noch vor sich, voller Genugtuung war es gewesen.
Sonnenlicht fiel durch den dünnen beigefarbenen Seidenvorhang. Mühsam wälzte Edgar sich zur Seite und nahm sein Handy vom Nachttisch. Chanel hatte sich noch nicht gemeldet.
„Frau Steiner, hier ist Edgar Brehm“, hatte er gestern, gleich nachdem Toni gegangen war, ins Handy gesäuselt. „Verzeihen Sie bitte meine Unpässlichkeit vorhin. Das hatte nur mit dieser Diät zu tun, die ich hiermit beendet habe.“ Er senkte seine Stimme. „Fünfhundert Kalorien sind einfach zu wenig. Aber man weiß es erst, wenn man es probiert, nicht wahr?“ Er untermalte es mit einem gekünstelten Kichern, während er hoffte, keinen Schwachsinn zu erzählen.
„Verstehe, aha“, hatte Sybille Steiner beiläufig geantwortet. Im Hintergrund waren Stimmen zu hören. Ein Mann. Ein Mädchen. Sie schienen über irgendwas zu debattieren.
„Natürlich übernehme ich gerne Ihren Fall. Unter den besprochenen Konditionen.“
„Das ziehe ich nicht an“, hörte er das Mädchen. Es klang, als würde sie weinen. „Dann kommst du auch nicht mit, Zoe!“, sagte der Mann.
„Sind Sie sicher, dass Sie mich für eine Behandlung einschieben können?“, fragte Sybille Steiner.
„Meinen Sie mich?“ Edgar war verwirrt und begriff erst zu spät, dass sie natürlich vorgeben musste, mit jemand anderem als ihm zu sprechen. „Ach so, ja, selbstverständlich“, schob er rasch nach.
„Ich denke darüber nach und rufe Sie morgen an, ob ich den Termin wahrnehme.“
Dann hatte sie aufgelegt. Was sollte er machen, wenn sie es nicht tat? Im Moment war das der einzige lukrative Auftrag, der ihn aus den roten Zahlen – und was da noch so lauerte – rausholen konnte.
Edgar hatte nicht nur keine Einkünfte mehr. Die Kunde von seinen missglückten Aufträgen hatte sich rasend schnell verbreitet. Auf Google türmten sich die schlechten Bewertungen der letzten paar Monate. Und wenn Sybille Steiner in der Zwischenzeit recherchiert und alles gelesen hatte? Vielleicht hatte sie sich bereits anderweitig Hilfe geholt? Aber von diesem Fall hing die Zukunft seiner Detektei ab!
Natürlich war Edgars Einfall mit der jungen Frau eine verrückte Idee. Aber sie brauchte ihn. Das war mit Sicherheit mehr Motivation als die paar Euro Stundenlohn, die er normalerweise anzubieten hatte. Dank Steiners großzügigem Honorar könnte er zwar jemanden engagieren, der diese Aufgabe erledigte, doch das müsste ein zuverlässiger und ausgebildeter Kollege sein. Die Kosten für so jemanden waren enorm. Und er benötigte jeden Cent, wenn er die Detektei vor dem Ruin bewahren wollte.
Wie schwierig konnte es dieser Toni Lorenz schon fallen, Alexander Steiner zu beobachten und Fotos zu machen? Vielleicht könnte man sie sogar mit einer falschen Identität in Steiners Umfeld einschleusen. Schließlich war sie Schauspielstudentin. Wahrscheinlich war es ein Klischee, wie Edgar sich jemanden vorstellte, der diesen Berufswunsch hatte. Aber diese Toni entsprach seiner Vorstellung nicht annähernd – sie wirkte weder laut noch extrovertiert. Andererseits kannte Edgar sich in dem Metier ehrlicherweise nicht aus. Solche Fälle hatte immer Kurt übernommen.
Aber wieso sollte Toni Lorenz das denn nicht schaffen?
All diese Gedanken klangen wie Rechtfertigungen. So wie früher, wenn Kurt und er nicht einer Meinung waren. Edgar war klar, was Kurt dazu sagen würde. Nämlich, ob er noch bei Trost wäre. Dass dieses Vorgehen jeglichen Prinzipien ihres Berufs zuwiderlaufe. Und dass er Lorenz sofort absagen sollte. Edgar seufzte tief und schwer aus seiner schmerzenden Brust. Er konnte Kurt förmlich vor sich sehen, wie er auf ihn einredete, mit diesem Hauch von Vorwurf in seiner Stimme. Wie oft ihn das früher genervt hatte – und wie sehr es ihm nun fehlte.
Kurt hätte recht damit. Natürlich war das eine schwachsinnige Idee. Dass Edgar so etwas überhaupt in den Sinn gekommen war. Manchmal beschlich ihn das Gefühl, er wäre nicht mehr er selbst.
Dass er keinen Geschäftspartner mehr hatte, war noch immer völlig ungewohnt, obwohl Edgar ein Jahr lang Zeit gehabt hatte, damit vertraut zu werden. Sie hätten darüber geredet, dass Sybille Steiner ihren Mann natürlich zu Recht der Untreue verdächtigte. In ihrer ganzen gemeinsamen Laufbahn war es nur in zwei Fällen vorgekommen, dass sich ein solch drängender Verdacht als unbegründet herausgestellt hatte. Ob der Tagebucheintrag tatsächlich echt war, das war eine andere Sache. Irgendwas daran ließ ihn nicht los. Aber er kam nicht darauf. Als läge die Erkenntnis hinter einer dichten Nebelwand, die sich kurz gelichtet hatte, durch die er aber jetzt nicht mehr hindurchsehen konnte.
Edgar drehte sich wieder um. Eigentlich müsste er jetzt aufstehen, aber er war so unglaublich müde. Nur noch einen kurzen Moment die Augen schließen … – Ein Klopfen an der Wohnungstür riss ihn aus dem Schlaf. Ein Paketbote? Wahrscheinlich wollte der wieder mal etwas für einen Nachbarn hinterlegen. Edgar blieb liegen, doch es klopfte erneut. Und dann läutete sein Handy. Ohne Brille konnte er nicht erkennen, wer anrief. Beim Versuch, den Anruf anzunehmen, fiel ihm das Handy aus der Hand und landete auf dem Parkettboden. Mühsam schälte er sich aus dem Bett und hob es auf. Jeder Muskel tat ihm weh, als wäre er gestern einen Marathon gelaufen.
„Hallo?“, sagte er noch ins Handy, doch er hatte versehentlich aufgelegt.
Wer war das überhaupt gewesen? Und wo war verdammt noch mal seine Brille? Wieder ein Klopfen. Edgar steckte das Handy in die Bademanteltasche und hörte im nächsten Moment eine Frauenstimme: „Hier ist die Polizei. Ich weiß, dass Sie da sind. Öffnen Sie.“
Schwungvoll riss er die Tür auf.
„Guten Morgen. Uns wurde lautes Schnarchen aus dieser Wohnung gemeldet.“
Fernanda grinste ihn an und tippte an ihre Polizeikappe. Er war so überrascht, dass er im ersten Moment gar nicht reagierte.
„Hab ich dich geweckt, Edgar?“ Aus dem Funkgerät an ihrem Gürtel rauschte eine Durchsage, sie stellte es leiser.
Fernanda hatte vor mehr als zwanzig Jahren bei der Polizei angefangen. Sie waren damals schon befreundet gewesen. Seit ihr Mann sie vor fünf Jahren verlassen hatte, nach Kanada ausgewandert war und die beiden Kinder auch lieber dort leben wollten, war ihre Beziehung enger geworden. Doch dann war diese Sache passiert, über die Edgar nicht sprechen wollte. Genauso wenig darüber, dass seine Detektei ins Strudeln geraten war. Er war so mit der Arbeit beschäftigt, es hatte gerade noch für ein paar Telefonate hie und da gereicht. Das letzte Mal hatten die beiden sich vor Monaten gesehen.
Edgar brauchte einen Moment, bis ihm wieder einfiel, dass er Fernanda gestern angerufen und gebeten hatte, den Namen Felix Meier unter einem Vorwand durch das System zu jagen.
„Komm rein. Willst du einen Kaffee?“
„Gern. Na servus, du hast auch schon mal besser ausgesehen.“
Ohne darauf zu reagieren, ging Edgar in die Küche, um Kaffee zu machen. Dort fand er auch endlich seine Brille.
„Was ist denn los? Wilde Nacht gehabt?“, fragte Fernanda.
Sie sah sich um, als wäre sie auf der Suche nach Indizien. Sie war die Einzige bei der Polizei, mit der Edgar noch Kontakt hatte. Keine Ahnung, ob die anderen davon wussten, aber er konnte es sich nicht vorstellen. Nicht nach dem, was damals geschehen war. Er hatte Fernanda nie gefragt, ob sie darüber sprach oder wie sie es schaffte, ihm ab und zu Informationen zu besorgen. Für einen Detektiv war ein solcher Kontakt Gold wert. Und er mochte sie.
„Wahnsinnig wild.“
Edgar suchte nach einer sauberen Tasse.
„Die Horde junger Männer hat fünf Minuten vor dir die Wohnung verlassen.“
Sie rümpfte die Nase.
„Das nächste Mal sag ihnen, sie sollen auch gleich die Küche aufräumen. Setz dich hin, ich mach das.“
Normalerweise hätte Edgar protestiert, aber jetzt nahm er wirklich am Küchentisch Platz und sah dabei zu, wie Fernanda zwei Tassen auswusch, frisches Wasser in den Behälter füllte und den Kaffee herunterließ. Sie stellte ihm die Tasse auf den Tisch und lehnte sich an die