Lockvogel. Theresa Prammer

Lockvogel - Theresa Prammer


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Klick den Link zum Video mal an“, bat Toni.

      Sybille Steiner erzählte einer begeisterten Moderatorin, wie sie vor fünfzehn Jahren ihren Mann bei einem Filmdreh kennengelernt hatte. Damals war sie Musikstudentin, verdiente sich was dazu und sollte in einer Szene als Statistin so tun, als würde sie Geige spielen. Zwischen den beiden sei es „Liebe auf den ersten Blick“ gewesen. Auf die Frage, ob sie das Studium abgeschlossen hatte, lachte Steiner und sagte, wie recht bald nach diesem „ersten Blick“ ihre Tochter unterwegs gewesen war. Es wurde ein Foto von damals eingeblendet: Sybille Steiner mit braunen Haaren, einer deutlich breiteren Nase, kleiner wirkenden Augen, schmaleren Lippen, sicher fünfzehn Kilo mehr und nicht mal der Hälfte der Oberweite.

      Hätte Toni nicht gewusst, dass es sich um dieselbe Person handelte, hätte sie die frühere Sybille Steiner mit der Frau heute in Brehms Büro keine Sekunde in Verbindung gebracht.

      „Ha, wusste ich es doch!“, sagte Lena und schnalzte mit der Zunge.

      Der Frage nach ihrer optischen Veränderung wich Sybille Steiner mit Plattitüden über Sport und gesunde Ernährung aus, woraufhin Lena und Toni gleichzeitig ein „Ja, klar“ entfuhr.

      Dann erzählte Sybille Steiner auch schon über die dreizehnjährige Tochter Zoe, die „der Mittelpunkt“ ihres Lebens sei, allerdings nie auf öffentlichen Fotos auftauchte, um „ihr ein unbeschwertes Aufwachsen“ zu ermöglichen. Eine Bilderbuchfamilie, wie jeder sie sich wünschte. Und als Bonus noch die Villa mit Blick über Wien. Das sah alles nach Erfolg, Liebe, Glück und Harmonie aus. Wäre nicht vor ein paar Tagen ein Toter in ihrem Pool getrieben.

      „Und, gehst du morgen zu diesem Brehm?“, fragte Lena.

      Sie klang halb besorgt, halb belustigt, aber vielleicht bildete sich Toni das auch nur ein.

      „Ich muss. Obwohl ich fast den Eindruck hab, du wärst besser geeignet für den Job.“

      Lena legte theatralisch eine Hand auf ihr Herz.

      „Das wäre die perfekte Schauspielübung. Die Schmitz wäre begeistert. Method acting in real live.“

      „Apropos Schmitz.“ Toni war froh, einen Anknüpfungspunkt gefunden zu haben, denn es lag ihr schon die ganze Zeit auf der Zunge. „Warum hast du heute wirklich geweint? Und bitte, du musst mich nicht schonen, wegen der ganzen Sache, echt nicht.“

      „Ich hab doch gesagt, alles ist in Ordnung.“

      Lena nahm Tonis Gesicht in beide Hände, und ihr Lächeln war für Toni ein bisschen zu übertrieben unbekümmert.

      „Meine süße Sorgenqueen, jetzt kümmere dich bitte mal um dich, damit Felixarschsupertrottel gefunden wird. Also, du gehst morgen zu dem Privatdetektiv, und ich lass mir eine Geschichte bei der Schmitz einfallen, warum du nicht zum Unterricht kommen kannst.“

      „Aber –“

      „Nix aber.“ Lena ließ Tonis Gesicht los und rutschte tiefer in die Couch. „Die Schmitz soll doch sowieso nach diesem Jahr in Pension geschickt werden, da soll sie sich mal nicht so aufpudeln.“

      Lena und Toni hatten sich erst in der Schauspielschule kennengelernt, waren aber innerhalb dieser kurzen Zeit so vertraut geworden. Toni hatte das Gefühl, Lena schon ewig zu kennen, und war gerade jetzt mehr als dankbar für ihre uneingeschränkte Zuneigung.

      Tonis Handy klingelte – es war ihre Großmutter. Sie telefonierten zweimal die Woche.

      Nachdem Toni sie früher meistens bei einem Rendezvous, einer Gymnastikstunde oder einer anderen Aktivität gestört hatte, waren sie dazu übergangen, dass ihre Oma sich bei ihr meldete.

      „Hallo, Oma“, sagte Toni bemüht fröhlich. „Wie geht’s dir?“

      Lena leerte ihr Glas, deutete auf ihre nicht vorhandene Armbanduhr und Richtung Tür. Während Toni sie hinausbrachte, hörte sie sich den neuesten Tratsch aus der Seniorenresidenz an. Es war erstaunlich, wie viele Liebschaften und Eifersüchteleien es jenseits der achtzig Jahre noch immer gab. Lena und sie umarmten sich zum Abschied, und während des Gesprächs leerte Toni die Rotweinflasche alleine und sah aus dem Fenster auf die nächtliche Straße.

      Gerade erzählte ihre Großmutter von einem neuen Verehrer, der sich zwar gerne wie ein Schiffskapitän kleidete, aber gar nie zur See gefahren war. Er war Inhaber eines Kaffeehauses im vierten Bezirk. „Er ist ein Neuzugang, und ich sage dir: mehr als begehrt hier.“

      Ihre Oma sprach weiter, aber Toni hörte nicht mehr zu. Auf der Straße unten – was war das? Hatte da jemand zu ihr heraufgesehen und sich hinter eines der parkenden Autos geduckt? Sie vergaß das Glas in ihrer Hand und klirrte damit ans Fenster, um besser sehen zu können. Der Rotwein schwappte auf den Holzboden.

      „Toni, was war das? Alles in Ordnung bei dir?“

      „Ich … ja … ich hab nur was vom Wein verschüttet.“

      Sie beendeten das Gespräch. Toni ging äußerlich ruhig zum Lichtschalter, während ihr Herz raste. Sie schaltete das Licht aus und rutschte auf den Knien zurück zum Fenster.

      Was sollte sie machen, wenn sie sich das nicht einbildete? Wenn sie wirklich jemand verfolgte? Wenn Felix sie gar nicht bestohlen hatte, sondern erpresst worden, in Gefahr war? Und nur deshalb das Geld genommen hatte?

      Sie kam neben dem Fenster hoch, gerade weit genug, um auf die Straße zu sehen. Da waren nur parkende Autos im Lichtschein, ein junges Pärchen flanierte Arm in Arm, ab und zu fuhr ein Wagen durch die schmale Gasse. Keine dunkle Gestalt.

      Sie nahm einen tiefen Atemzug. Jetzt nur nicht durchdrehen. Der Stress, der Wein und keine Hilfe, außer die eines Detektivs in Nöten.

      Aber sie würde das alles wieder in den Griff bekommen. Wie Lena gesagt hatte. Sie musste es einfach.

      Langsam zog sie die Vorhänge zu, wartete und spähte dann erneut durch den Spalt dazwischen. Es war niemand zu sehen, keiner, der sie beobachtete.

      Ihr Körper fühlte sich so schwer an, als sie sich ins Bett legte und auf ihrem Laptop „Hallo Dienstmann“ mit Hans Moser und Paul Hörbiger startete. Ihre Großmutter war beim Dreh für die Kostüme zuständig gewesen. Als Kind hatte Toni den Film sicher hundertmal angeschaut, vor allem wenn sie nicht schlafen konnte.

      Das war nur einer der Unterschiede zu der Zeit, bevor ihre Großmutter sie bei sich aufgenommen hatte. Denn vorher war da niemand für sie da gewesen, wenn sie sich vor dem Einschlafen in der Dunkelheit gefürchtet hatte. Weil ihre Mutter sie alleine gelassen hatte, um auf einen ihrer Streifzüge durch die Nachtlokale zu gehen.

      Toni fehlten diese wunderbaren Filmabende mit ihrer Oma mehr denn je. Manchmal hatte Oma in ihrem Fundus gekramt, sie hatten sich Kostüme angezogen und Filmszenen nachgespielt. Am liebsten hatte Toni die Szene gemocht, in der sie als Dienstmänner verkleidet so taten, als würden sie diesen schweren Koffer schleppen, wie im Film. Irgendwann waren sie über sich selbst in solches Gelächter ausgebrochen, dass ihnen die Tränen kamen. Als Kind war ihr gar nicht klar gewesen, dass ihre Oma eine ganz besondere war. Seit Felix fort war, half Toni der Film beim Einschlafen. Vielleicht war es auch mehr die Erinnerung an die schönen Stunden mit ihrer Großmutter.

      Sie musste eingeschlafen sein, der Ton einer eingetroffenen SMS weckte sie. Im Dunkeln tastete sie nach ihrem Handy. Es war nach drei Uhr, das konnte nur irgendwer aus ihrer Schauspielklasse sein. Für die schien es keine Tages- und Nachtzeiten zu geben.

      Ganz schlaftrunken begriff sie die Nachricht eines anonymen Absenders aus dem Netz nicht sofort:

      SEI VORSICHTIG – DAS IST KEIN SCHERZ

      Obwohl es bereits acht Uhr in der Früh war und der Wecker schon vor einer halben Stunde geklingelt hatte, lag Edgar noch immer in dem Doppelbett und starrte auf die Zimmerdecke. Sein Versuch, die Sicherheitsfirma für die vermasselten Observationen an den Schadensersatzzahlungen haftbar zu machen, war also geplatzt. Mehr noch: Fast hätte ihn die Sicherheitsfirma dafür auch noch verklagt. Deshalb hatte


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