Basiswissen ITIL 4. Nadin Ebel
werden Sie nicht an der Dienstleistungserbringung teilhaben, auch wenn hier keine direkte äußerliche Veränderung des externen Faktors stattfindet.Dienstleistungen wie Gebäudereinigung, Reparaturen von IT-Hardware, Operationen durch einen Arzt oder Datenauswertungen sorgen dagegen stets für eine Transformation, d.h., der externe Faktor wird für die Bereitstellung des Leistungsergebnisses verändert.
Fähigkeit und Bereitschaft einer Organisation, eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, werden als Leistungspotenzial bezeichnet, das in Potenzial- und Verbrauchsfaktoren unterschieden wird. Potenzialfaktoren wirken an der Dienstleistungserstellung mit oder ermöglichen diese, wie z.B. Räumlichkeiten, Equipment oder Personal. Verbrauchsfaktoren werden bei der Dienstleistungserstellung verbraucht oder verändert. Bei der Vorbereitung für eine Schulung zum Thema »Revisionssichere Mail-Archivierung« wird für die Schulungsunterlagen Toner verbraucht und Papier bedruckt. Durch Vorkombinationen wird die Leistungsbereitschaft als vorbereitende Maßnahme hergestellt (siehe Abb. 1–3).
Im Leistungserstellungsprozess werden interne Faktoren des Dienstleistungsunternehmens und externe Faktoren des Kunden kombiniert. Der Dienstleistungserstellungsprozess mündet in das Leistungsergebnis in Form eines Leistungsbündels, das dem Kunden einen Nutzen bzw. Mehrwert stiftet. Der Nutzen ist – wie bereits zu Beginn des Abschnitts erläutert – meist immateriell, z.B. als Wissenszuwachs zum Thema Mail-Archivierung nach Besuch einer Schulung, und kann von Kunde zu Kunde bei gleichem Leistungsergebnis variieren. Die Beurteilung ist subjektiv.
Die Erläuterungen und die Beispiele machen deutlich, dass es im Dienstleistungsmanagement um drei theoretische Perspektiven geht, die in der Praxis ineinandergreifen (siehe Abb. 1–3): Leistungspotenzial, Leistungserstellungsprozess und Leistungsergebnis.
Abb. 1–3 Integrative Dienstleistungserstellung (Fließ 2009)
Aus den beiden Eigenschaften Immaterialität und Integrativität lassen sich weitere charakteristische Merkmale für Dienstleistungen im Unterschied zu Sachgütern ableiten: Individualisierung, Zusammenfall von Bereitstellung und Konsumtion (Uno-actu-Prinzip), Verderblichkeit bzw. Nichtlagerfähigkeit sowie Risiko bzw. Unsicherheit. Der Kunde besitzt aufgrund des hohen Individualisierungsgrads der Dienstleistungen vorab keine Vergleichsmöglichkeiten, durch die er auf die Ergebnisqualität schließen könnte (Qualitätsunsicherheit). Der Kunde bestellt oder kauft etwas, ohne dass er das Endprodukt sehen, anfassen oder prüfen kann. Möchte ein Unternehmen bspw. eine Archivierungslösung erwerben, stellt es am Anfang Kriterien und Anforderungen auf, beschreibt das Ausgangsszenario. Der verantwortliche Personenkreis betreibt vorab Recherchen, die in den Beschaffungsprozess involvierten Personen hören sich bei Geschäftspartnern nach ihren Erfahrungen um und besuchen Referenzkunden von Lösungsanbietern, die in Frage kommen. Trotzdem sind die Informationen und das positive Feedback, das schließlich für die Wahl eines bestimmten Anbieters spricht, keine Garantie dafür, dass es bei diesem einen speziellen Unternehmen genauso problemlos zur Implementierung der Lösung kommt wie bei den begeisterten Referenzkunden. Dies hängt mit den unterschiedlichen externen Faktoren des Kunden und den internen Faktoren des Dienstleistungsunternehmens zusammen, die im Zuge des Leistungserstellungsprozesses aufeinandertreffen und kombiniert werden. Qualität und Nutzen können vorab nicht exakt bestimmt werden, v.a. da es sich um spezifische, dem jeweiligen Unternehmens- und Aufgabenkontext angepasste Dienstleistungen handelt. Situations- und prozessspezifische Leistungen, die kundenspezifische und bedarfsgerechte Lösungen liefern, können nur bedingt als Maßstab für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Dienstleistungsunternehmen bei anderen Kunden herangezogen werden. Auch das sollte bspw. beim Outsourcing oder Outtasking von IT-Lösungen oder -Services nicht vergessen werden!
Die Überlegungen zum Dienstleistungs- bzw. Service-Begriff spielen im IT Service Management auch eine wichtige Rolle bei der Frage, welche IT Services welche Geschäftsprozesse unterstützen und wie die Services zu definieren und voneinander abzugrenzen sind. Hierbei gibt es selten ein Richtig oder Falsch, sondern es sind oft unterschiedliche Optionen möglich, die es gegeneinander abzuwägen gilt. Bei dieser Entscheidungsfindung und dem grundsätzlichen Verständnis, was denn ein Service ist, hilft das theoretische Verständnis in diesem Kontext. Dies steht mit den Practices des Portfolio Management, Service Catalogue Management und Service Level Management in Verbindung.
1.2.1.1Wertschöpfungskonfiguration
Das Vorhandensein von Ressourcen, also den im vorhergehenden Abschnitt beschriebenen Leistungspotenzialen, in der Organisation alleine ist nicht ausreichend, damit ein Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielt. Es ist notwendig, dass Ressourcen so gestaltet und organisiert (»konfiguriert«) werden, dass diese ihre Potenziale entfalten können (vgl. Barney 2007). Dies bildet dann die Basis für die Vorteile des Service Provider und seiner Kunden und entspricht der Ausgestaltung der Strategie. So kann die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit auf dem Markt sichergestellt werden. Auf Basis der Stärken und Schwächen werden Chancen genutzt und es wird Bedrohungen begegnet. Dies ist auch eine Basis für die Resilience (Widerstandsfähigkeit) der Organisation.
Die Ausgestaltung und Umsetzung der Wettbewerbsvorteile zeigt sich in der sogenannten Wertschöpfungskonfiguration. Wertschöpfungskonfigurationen skizzieren, in welcher Art und Weise im Rahmen der Leistungserstellung Wert generiert wird bzw. welche Aktivitäten zentral für die Wertschöpfung sind (vgl. Fließ 2009, Stadtelmann et al. 2015). Grundsätzlich wird zwischen Wertkette, Wertshop und Wertnetzwerk unterschieden (vgl. Stabell/Fjeldstad 1998). Einige Veröffentlichungen im IT-Service-Management-Kontext haben das Thema der Wertschöpfungskonfiguration bereits lange vor ITIL aufgegriffen (siehe Abschnitt 2.3). ITIL 4 beschreibt nun explizit die Idee der »Value Chain« und nutzt sie als eine ITIL-4-Komponente des Frameworks (siehe Abschnitt 1.4).
Die Wertkette nach Porter (1985) stellt das Ursprungskonzept der Wertschöpfungskonfiguration dar. Wettbewerbsvorteile ergeben sich aus den Wertaktivitäten, die die Wertkette skizziert (vgl. Porter 1985). Sie wird insbesondere für die Abbildung der Wertschöpfung der Güterproduktion genutzt, findet aber auch für Dienstleistungsunternehmen Anwendung, wenn es um die Transformation von Inputs in Dienstleistungen geht (vgl. Benkenstein et al. 2007). Die Aktivitäten der Wertkette sind nach dem Durchlaufprinzip angeordnet: »Jedes Unternehmen ist eine Ansammlung von Tätigkeiten, durch die sein Produkt entworfen, hergestellt, vertrieben, ausgeliefert und unterstützt wird. All diese Tätigkeiten lassen sich in einer Wertkette darstellen.« Die Wertkette teilt die Tätigkeiten in Bezug auf ihren Beitrag zur Wertschöpfung auf. Es wird nach den Primäraktivitäten und Sekundäraktivitäten bzw. unterstützenden Aktivitäten unterschieden: Die Primäraktivitäten sind Aktivitäten, die der unmittelbaren Herstellung einer Dienstleistung oder eines Produktes dienen (siehe Abb. 1–4). Sie schaffen einen Mehrwert. Die Sekundäraktivitäten unterstützen die Primäraktivitäten bei der Erstellung der Leistung und tragen indirekt zur Wertschöpfung bei. Sie schaffen damit wichtige Voraussetzungen für die Ausführung der primären Aktivitäten (vgl. Schafmeister 2004).Durch Optimierung der strategisch relevanten Aktivitäten zielt das Unternehmen darauf ab, einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen (vgl. Porter 1985).Das Wertkettenmodell stellt eine allgemeine Vorlage zur Skizzierung der Wertschöpfungsaktivitäten dar, die an die Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens anzupassen ist (vgl. Porter 2000). Dies ist auch für Dienstleistungsunternehmen möglich (vgl. Volck 1997, Volz/Marti 2001, Dreyer/Oehler 2002). Da bei Dienstleistungen die Vermarktung einer Leistung häufig vor deren Erstellung stattfindet, werden bspw. das Marketing und der Vertrieb der Eingangslogistik vorgeschaltet (vgl. Fantapié Altobelli/Bouncken 1998), die die Beteiligung des Kunden (als externer Faktor) berücksichtigt. Die Ausgangslogistik kann meist