Basiswissen ITIL 4. Nadin Ebel
sind universelle und dauerhafte Handlungsempfehlungen für Organisationen, um die Wertschöpfung zu unterstützen (siehe Abb. 1–12). Sie lenken die Entscheidungen und Handlungen der Organisation. Gleichzeitig stellen sie sicher, dass es ein gemeinsames Verständnis und ein gemeinsames Vorgehen für das Service Management in der gesamten Organisation gibt. Sie beeinflussen die Organisationskultur und das Verhalten auf allen Ebenen der Organisation, von der strategischen Entscheidungsfindung bis hin zum täglichen Betrieb.
Das Service Value System umfasst auch Governance-Aktivitäten: eine kontinuierliche Ausrichtung des Betriebs (operative Ebene) auf die strategische Ausrichtung der Organisation, die durch die Führungsinstanz bestimmt wird. Governance dient dabei mit seinen Maßnahmen der Steuerung und Führung der Organisation.
Jede Komponente im Service Value System wird durch die kontinuierliche Verbesserung unterstützt. ITIL 4 stellt ein pragmatisches und flexibles Improvement-Modell bereit, um die Resilienz und die Agilität einer Organisation mit dem Veränderungsdruck im Wandel unserer Zeit zu unterstützen und zu fördern.
Abb. 1–12 Die sieben Grundprinzipien von ITIL 4
Auf das Service Value System und seine Bestandteile gehe ich detailliert in den Kapiteln 5, 6 und 7 ein.
1.4.2Vier-Dimensionen-Modell
Auf das SVS wirken vier Dimensionen ein, die im sogenannten Vier-Dimensionen-Modell abgebildet werden. Die vier Dimensionen des Service Management sind relevant für das gesamte Service Value System (SVS) inklusive der gesamten Wertschöpfungskette (Service Value Chain) und die ITIL Practices. Es trägt der Anforderung eines ganzheitlichen Ansatzes des Service Management Rechnung.
Organizations and people/Organisationen und Menschen
Information and technology/Informationen und Technologie
Partners and suppliers/Partner und Lieferanten
Value streams and processes/Wertströme und Prozesse
Diese Dimensionen stehen in Wechselwirkung zueinander und sollten daher stets im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Bei der Ausgestaltung des Service-Angebots und der Wertschöpfungskonfiguration darf der Fokus bspw. nicht nur auf (Wertströmen und) Prozessen liegen oder nur auf der Technik. Auch die Lieferanten und die Organisation mit ihren Menschen gehören dazu. Alle vier Dimensionen sind wichtig für den Service Provider und den Wertbeitrag. ITIL fordert daher eine gesamtheitliche (holistische) Betrachtungs- und Anwendungsweise anstelle einer isolierten Berücksichtigung eines einzelnen Aspekts.
Die ausführliche Beschreibung des Vier-Dimensionen-Modells und der Faktoren, die die vier Dimensionen beeinflussen, finden Sie in Kapitel 4.
1.5Enterprise Service Management (ESM)
In den letzten Jahren taucht der Enterprise-Service-Management-Begriff (ESM, auch Business Service Management oder Beyond IT) in den Marketingbroschüren von ITSM-Toolherstellern und in diversen Veröffentlichungen auf. Hinter Enterprise Service Management steht das gestiegene Interesse, Ansätze aus dem IT Service Management auf IT-ferne Funktionen in der Organisation wie Personal, Buchhaltung, Gebäude- oder Lieferantenmanagement auszudehnen. Dabei kann sich der Begriff zum einen auf ESM-Tools oder -Applikationen beziehen, die von Organisationen eingesetzt werden, um die ESM-Prozesse zu unterstützen. Zum anderen kann der Begriff als Managementansatz analog zum ITSM verstanden werden.
Abb. 1–13 Die Entwicklung hin zum Enterprise Service Management
Interne Abläufe in den unterschiedlichen Bereichen oder Fachabteilungen sollen vereinfacht, standardisiert und wenn möglich automatisiert werden, um die Geschäftsprozesse besser zu unterstützen. Die internen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dabei als »interne« Kunden anzusehen. Im Personalbereich könnte es dabei um das On-Boarding oder das Ausscheiden von Mitarbeitern, Elternzeit, Veränderungen im Arbeitszeitmodell oder Beförderungen gehen. Im Rahmen einer ESM-Studie von CIO und COMPUTERWOCHE aus dem Jahre 2019 kann der Begriff wie folgt erklärt werden: »Enterprise Service Management ermöglicht einen Gesamtblick auf die wichtigsten Service-Geschäftsprozesse eines Unternehmens, da es den Daten- und Informationsfluss zwischen den internen Abteilungen und externen Ressourcen erleichtert, die an einem Geschäftsprozess beteiligt sind (IDG 2019).«
In den IT-fernen Organisationseinheiten finden sich oftmals noch manuelle Prozesse, die über Tabellen oder auf Papier verwaltet werden (ja, in der IT auch). »Aufträge« oder Anfragen werden per E-Mail oder Telefon gestellt und ebenso beantwortet. Einzelheiten werden abgeklärt, wenn es dringend wird, oder das Ergebnis eigentlich »jetzt« benötigt wird. Einen Gesamtüberblick zu offenen Themen gibt es nur in wenigen Fällen.
Letztendlich geht es um die Digitalisierung der Arbeitsabläufe in den Nicht-IT-Geschäftsprozessen. Das gleiche Ziel verfolgt IT Service Management für die IT-Geschäftsprozesse. Beiden gemeinsam ist die Forderung, dass, bevor die Automatisierung startet, die Prozesse untersucht, wenn möglich vereinheitlicht und mit Blick auf den Kundennutzen standardisiert bzw. professionalisiert werden. Dabei geht es auch darum, die Zusammenarbeit im Sinne der Wertschöpfung zwischen den Unternehmensbereichen zu bestimmen und im Bedarfsfall zu verbessern. Das Ziel sind zufriedene Kunden und Transparenz für die Kunden hinsichtlich ihrer Anliegen. Die Herausforderungen sind ähnlich der im IT Service Management: Service-Orientierung, verbesserte Zusammenarbeit mit Lieferanten, Herstellern, Partnern und Kunden sowie wirtschaftliche Ausrichtung auf den Service-Nutzen, mehr Planungs- und proaktive Handlungsmöglichkeiten anstelle reaktiver Arbeiten, gute Zusammenarbeit in der Ablauforganisation ohne Silodenken, Dokumentation und Transparenz.
Welche Möglichkeiten es gibt, die Geschäftsprozesse mit Hilfe von IT Services effizient und strukturiert unterstützen zu können, beschreibt das IT Service Management. Dies ist in der IT grundsätzlich bekannt und an vielen Stellen, nicht zuletzt in ITIL, beschrieben. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der ESM-Gedanke aus der IT-Welt stammt. Manch böse Zunge behauptet allerdings, dass dieser der Frage eines Vertrieblers entstammt, wie denn der Kundenkreis für die ITSM-Tools im Portfolio ausgeweitet werden könne.
Im Grunde genommen ist es verwunderlich, dass elementare Überlegungen aus der Betriebswirtschaft zum Dienstleistungsmanagement erst über die ITSM-Schiene und die Digitalisierung ihren Weg zu den Geschäftsprozessen finden. Laut einer Studie von Strategy& und PwC wollen 80% der Industrieunternehmen bis 2020 ihre Wertschöpfungskette digitalisieren (Quelle: PricewaterhouseCoopers 2014). So ermöglicht Enterprise Service Management der IT, Wissen und Erfahrungen aus dem IT Service Management weiterzugeben und die Rolle als Partner des Business und Business-Enablers einzunehmen. Letztendlich obliegt es der IT, die Digitalisierung entsprechend der Anforderungen aus dem Business zu realisieren. Die Verantwortung für das Enterprise Service Management sollte allerdings nicht bei der IT-Organisation liegen, und ESM sollte auch nicht über ein IT-Projekt etabliert werden (vgl. Schulz 2018, Andenmatten 2018).
1.6Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurde Ihnen ein Einstieg zum IT Service Management und zum ITIL-Begriff geboten. Zu Beginn in