Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra

Willem Adolf Visser 't Hooft - Jurjen Albert Zeilstra


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Hoffmann (1884–1958), dem amerikanischen Sekretär der Young Mens Christian Association (YMCA); einem Mann, der sich seelsorgerisch um Kriegsgefangene, Flüchtlinge und Studenten in Europa gekümmert hatte. Er bat Visser ’t Hooft, den Dienst als Sekretär der Konferenz zu übernehmen, die in einer angespannten Atmosphäre stattfand und aufgrund verschiedener Gegenüberstellungen zu scheitern drohte. Aber sie verlief gut.

      »Herr Visser ’t Hooft erklärte, er könne sich nicht vorstellen, dass jemand in den letzten Tagen an der Konferenz teilgenommen habe, ohne die Bedeutung des Konferenzgeistes zu begreifen. Für ihn persönlich war es eine beeindruckende Erfahrung, und er wusste, dass das auch viele andere so sahen.«42

      Visser ’t Hooft begann aufzufallen. Sein Zupacken und sein persönlicher Stil wurden als tatkräftig und kreativ erlebt. Er ging energisch vor und warb viel Geld für die Studentenhilfe ein, wobei das niederländische Komitee eine relativ große Summe beitrug.43 Später im Jahr nahm der Generalsekretär des NCSV, Herman Rutgers, Visser ’t Hooft auf eine große Reise für die Studentenbewegung nach Österreich, in die Tschechoslowakei und nach Deutschland mit. Die Hyperinflation der Jahre 1922 und 1923 machte das Leben für die Studenten in den mitteleuropäischen Ländern besonders schwer. Erneut erwies sich Visser ’t Hooft als äußerst geeignet für diese Arbeit. Er genoss die Kontakte und entwickelte ein Verständnis für junge Menschen in Deutschland und den aus der Donaumonarchie hervorgegangenen Ländern. Er ärgerte sich über die in seinen Augen allzu leichten Karikaturen und Urteile, die er manchmal in anderen Ländern über die Verlierer des Ersten Weltkriegs sehen und hören musste. In dieser Zeit muss sich sein starkes Interesse für Deutschland und Mitteleuropa entwickelt haben. Er widersetzte sich Vorurteilen und in seinen Reaktionen fiel zunehmend eine Haltung auf, die man als deutschfreundlich bezeichnen kann. Dagegen war sein kritischer Blick auf England möglicherweise schon früh durch Gespräche mit seinem Vater genährt worden, die sich immer wieder um den Auftritt der Engländer gegen die Buren in Südafrika drehten.

      1923 wurde er während eines Treffens der Europäischen Studentenhilfe in Parad in Ungarn gebeten, den Vorsitz im Programmkomitee zu übernehmen. Trotz aller internationalen politischen Spannungen, wie der französischen Besatzung des Ruhrgebiets und des zunehmenden Antisemitismus, blieb die Atmosphäre unter den Teilnehmern auf der Konferenz gut. In den Augen Visser ’t Hoofts lag das an den christlichen Glaubensüberzeugungen, auf die jeder Teilnehmer ansprechbar war. Es ist bezeichnend, dass er 1923 auch Vorsitzender des niederländischen Hilfskomitees Deutsche Universitäten wurde, das eine Sonderhilfe für deutsche Universitäten organisierte. 1924 war der notwendige Bedarf gedeckt; das Hilfskomitee wurde aufgelöst. Daraufhin wurde im folgenden Jahr die Hilfsorganisation European Student Relief in die Organisation International Student Service (ISS) umgewandelt. Sie konzentrierte sich auf Studentenkonferenzen und Studentenreisen, bot in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre auch Flüchtlingshilfe an. 1950 verlor diese Organisation ihren christlichen Charakter und wurde in World University Service umbenannt.

      Sitz des NCSV war von 1917 bis 1932 das prächtig gelegene Schloss Hardenbroek in der Nähe von Driebergen-Rijsenburg. Als Generalsekretär Herman Rutgers 1922 nach Peking reiste, um an einem internationalen Treffen der WSCF teilzunehmen, wurde Visser ’t Hooft gebeten, ihn vorübergehend als amtierenden Sekretär zu ersetzen. In der ersten Hälfte des Jahres 1922 war er vier Monate lang Gastgeber von Schloss Hardenbroek. Das lag ihm. Während der Woche war es ruhig; er hatte viel Zeit, die Natur zu genießen. Aber am Wochenende wurde es dann in Hardenbroek voll. Große Gruppen von Studenten, die heftige Diskussionen führen konnten, bevölkerten dann das Gebäude und die Gärten. Regelmäßig gab es besondere Referenten. So hatte Visser ’t Hooft zum Beispiel Dr. Georg Michaelis als Gast, der 1917 für kurze Zeit Bundeskanzler und nun Vorsitzender der deutschen Außenstelle der WSCF war. Michaelis’ Glauben war pietistisch geprägt, das schlug bei Visser ’t Hooft eine emotionale Saite an. Gleichzeitig wuchs bei diesem Treffen seine Überzeugung, dass mehr als ein intensiver persönlicher Glaube erforderlich sei, um Menschen in einer christlich orientierten Bewegung zu sammeln und zu vereinen, die Einfluss auf die Welt haben sollte. Es waren nicht nur einzelne Christen, sondern auch die Kirchen, die organisiert und zusammengeführt werden mussten. Sie standen mit dem Rücken zur Welt. Das musste sich ändern.

      Viele europäische Zeitgenossen erachteten die christliche Jugendarbeit nach dem Krieg als wichtig; in der 1844 von George Williams in London gegründeten Weltunion der Christlichen Vereinigungen junger Männer (YMCA) sahen viele amerikanische und britische Führer neue Möglichkeiten. Mit ihr sollte verhindert werden, dass junge Menschen, die in Ländern aufgewachsen waren, die unter Krieg oder Revolution gelitten hatten oder auseinandergefallen waren, in Zynismus verfielen. Die Freude, mit der Visser ’t Hooft die NCSV-Sommercamps zuerst als Student und Teilnehmer und später als Student und Betreuer besuchte, machte sich nahtlos in seiner Begeisterung für internationale Konferenzen bemerkbar. Im Sommer 1923 wurde er Mitglied der niederländischen Delegation während einer YMCA-Konferenz. Gemeinsam mit seiner Verlobten Jetty trieb er die neuen Initiativen des YMCA im österreichischen Pörtschach voran. Er hoffte, hier neue Ideen für die Arbeit des NCSV aufgreifen zu können.44 In Pörtschach hörte er eine Rede von John R. Mott (1865–1955), den berühmten amerikanischen Missionar und Führer der YMCA und der WSCF, den er auch in England einmal gehört und in den Niederlanden einmal persönlich getroffen hatte.45 Visser ’t Hooft kritisierte den in seinen Augen naiven optimistischen Ansatz der Amerikaner, die die europäische Jugend mit einem emotionalen Appell bekehren wollten. Doch in John Mott, der über »Kindheit – der größte Wert einer Nation« sprach, sah er einen tiefgläubigen Mann mit einer weiten Vision, die ihn berührte.46

      Herman Rutgers von der Niederländischen Christlichen Studentenvereinigung sah besondere Qualitäten in ihm. Er wollte, dass Visser ’t Hooft einen christlichen Verlag gründete, der dem NCSV angeschlossen war, vergleichbar mit der britischen SCM-Presse. Was Rutgers nicht wusste, war, dass Conrad Hoffmann, der 1922 die Turnov-Konferenz geleitet hatte, Visser ’t Hooft nicht vergessen hatte und ihn gerne für eine neu einzurichtende Stelle im socialdepartment des WSCF haben wollte.47 Nach einer Organisationskrise 1923, in der eine Reihe von Sekretären zurückgetreten war, suchte der WSCF nach jungen Menschen, die einen neuen europäischen Ansatz verfolgen sollten. Zunächst liebäugelte Visser ’t Hooft mit Rutgers’ Ideen zur Gründung eines Verlags. Mittlerweile war aber in der Person von Jetty Liebe in sein Leben gekommen und das wog schwer. In einem Brief an Rutgers stellte er klar, was ihn motivierte.

      »Der Grund, warum ich weiter Theologie studiert habe und nicht, wie die Leute dachten, zur Rechtswissenschaft überwechselte, ist nur der, dass ich glaube, allein in solcher Arbeit das Gefühl zu haben, dass ich das tue, was Gott von mir fragt. Du musst dann auch keine Angst davor haben, dass ich ein getarnter Beamter sein könnte – ich glaube, dass ich in einer ganz anderen Richtung vorsichtig sein sollte. Ich neige nämlich dazu, dass ich den Gehalt meiner Arbeit so sehr über meine eigene soziale Situation stelle, dass ich auf der sozialen Seite gefährdet bin. Bevor ich verlobt war, machte das nichts aus – jetzt aber, wo ich nichts lieber will als so schnell wie möglich heiraten, muss ich aufpassen. Und wenn ich deshalb in unserer weiteren Zusammenarbeit manchmal über diese Seite spreche, dann bitte ich Dich zu bedenken, dass das gegen mich selbst geschieht. Jetty ist bereit, diese Arbeit mitzutragen. Ich werde daher nie mehr verlangen, als dass wir in finanzieller Hinsicht so leben können, dass es Jetty keine zusätzliche Mühe kostet. Wie Du vielleicht bemerkt hast, sind Jettys Kräfte nicht unbegrenzt – und dies ist der einzige Punkt, an den ich manchmal ein Fragezeichen setze. Aber weiter will ich jede Arbeit, die ich leisten kann, uneingeschränkt akzeptieren, die dem großen Ganzen dient, und indirekt oder direkt dem Königreich Gottes dient.«48

      Visser ’t Hooft stieß jedoch bald auf zahlreiche Schwierigkeiten. Das Unangenehmste war, dass es der Verlegerverband ablehnte, den von Visser ’t Hooft neu zu gründenden Verlag als Mitglied aufzunehmen, weil sie nur kommerziell interessiert waren.

      Es waren wirtschaftlich schwierige Zeiten. In dieser Zeit war es auch nicht einfach, Gelder für den NCSV einzuwerben. Aber manchmal hatte er großen Erfolg, zum Beispiel im Juni 1924, als er von


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