Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra

Willem Adolf Visser 't Hooft - Jurjen Albert Zeilstra


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      sind meine alten Freunde,

      und die Menschen, die jenseits des Rheins leben.

      Aber die einzigen Menschen, die wirklich in Ordnung sind,

      das ist die Menge, die in den guten alten USA lebt.

      Mein eigenes Land bringt mich zum Weinen,

      Wenn ich in Holland bin, schlafe ich.

      Klar, ich habe Internationalismus im Kopf.«55

      Das war ein nettes Lied, aber Frans hatte Unrecht. Es war nicht das Ideal des Internationalismus, das Wim antrieb. Ihm ging es vielmehr darum, wie er sich zusammen mit jungen Menschen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit dem christlichen Glauben befassen konnte.

      In der darauffolgenden Woche gab es dem Brautpaar zur Ehre verschiedene Essenseinladungen, unter anderem bei der Familie Patijn. Es wurden Ausflüge gemacht, am 28. August nach Marken und am 7. September zum Großvaterhaus Thalatta in den Dünen bei Bloemendaal. Ihre Flitterwochen verbrachten Wim und Jetty in Lugano und Venedig, danach zogen sie im Oktober 1924 nach Genf.

       1.6 Zusammenfassung: Das Werden eines begeisterten Jugendarbeiters

      In diesem Kapitel wurde beschrieben, wie Wim Visser ’t Hooft, der an der Schwelle zum 20. Jahrhundert geboren wurde, mit seinen beiden Brüdern in einem elitären Umfeld in Haarlem aufwuchs. Sein Vater und seine Mutter gehörten zu den oberen Schichten der Bevölkerung. Die Familie war Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Remonstranten; seine Eltern betrachteten den christlichen Glauben als ein wichtiges Element und einen Garant für einen sittlichen Lebenswandel und eine zivilisierte Gesellschaft. Visser ’t Hooft wuchs mit einer gesunden Portion Rivalität gegenüber seinen Brüdern auf, aber wenn er etwas unternehmen wollte, wurden ihm keine Steine in den Weg gelegt.56 In seiner unmittelbaren Umgebung traf er auf viele verschiedene Meinungen, ohne dass dies ernsthafte Konflikte oder Brüche hervorgerufen zu haben schien. In jungen Jahren konnte er sehr selbständig denken und arbeiten. An Krisensituationen wuchs er, und wenn Wege versperrt waren, war er einfallsreich.

      Der junge Visser ’t Hooft war neugierig und lernbegierig. Er las viel und absolvierte ohne Probleme das Gymnasium. Er hatte eine Vorliebe für Sprachen, Literatur und Philosophie. Bereits in jungen Jahren sprach er Französisch, Deutsch und Englisch, allerdings mit einem starken niederländischen Akzent, den er nie verlor. Auslandsreisen, die sich die Familie ohne Probleme leisten konnte, wurden während des Krieges nicht mehr unternommen. Genau deshalb hatte er viel Zeit für die NCSV-Jungencamps, in die Wim jeden Sommer ging. Dort bekam er Werte der Kameradschaft und des Abenteuers mit, die er als eine wichtige Ergänzung zum manchmal abgeschirmten Leben seiner Familie wahrnahm. Während der Camps lernte er eine persönliche Art, die Bibel zu lesen und den Glauben zu erfahren; das sprach ihn an.

      Die Diskrepanz zwischen der Art und Weise, wie der Glaube zu Hause und bei den Remonstranten gelebt wurde, und der, wie er ihn in den Jungencamps erlebte, warf viele Fragen für Visser ’t Hooft auf. Alles in allem war es ein prägender und anregender Hintergrund. Visser ’t Hooft hoffte, im Theologiestudium Antworten auf seine Fragen zu finden. Sein Vater reagierte auf diese Studienwahl überrascht; er stimmte dieser nur zu, wenn er neben Theologie gleichzeitig auch Jura studierte. Aber während er sich nicht für Rechtswissenschaften interessierte und das Studienfach bald aufgab, wurde Theologie seine Leidenschaft. Dies wurde noch verstärkt, als er 1920 auf einer ökumenischen Studentenkonferenz im Quäkerzentrum Woodbrooke mit einer engagierten Glaubenspraxis in Berührung kam, die sich sowohl mit seinen Erfahrungen aus den NCSV-Lagern wie auch mit seinem intellektuellen Interesse verbinden ließ. Bei diesen Treffen spielten der internationale Kontext und die vielfältige Herkunft der jungen Menschen eine wichtige Rolle. In Woodbrooke verband sich persönliche Glaubenserfahrung mit den großen gesellschaftlichen Fragen. Im Schweizer Theologen Karl Barth fand er einen Theologen, der ein ähnliches Programm wie er verfolgte. Barth stellte nicht nur Fragen, sondern gab auch Antworten, die Visser ’t Hooft gefielen. Barths Theologie schien ihm eine Theologie zu sein, die es vermochte, Menschen in Kirche und Gesellschaft anzusprechen. Sein Engagement bei der finanziellen Unterstützung von Studenten aus den vom Krieg betroffenen Ländern zeigte, dass sich Visser ’t Hooft nicht vor schwierigen Einsätzen scheute und problemlos in anderen Sprachen und mit anderen Kulturen Kontakte knüpfen konnte. Er war lösungsorientiert. Auf den internationalen Konferenzen, die er im Rahmen seines Engagements für die notleidenden Studenten besuchte, stellte sich heraus, dass er gut mit Widersprüchen umgehen und Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen verbinden und motivieren konnte. Freimütig forderte er seine Kontaktpersonen auf, nationale Gegensätze zu relativieren und sich stattdessen gegenseitig zuzuhören. Wegen dieser Eigenschaften fiel er verschiedenen Führungspersönlichkeiten auf, die in ihm das Potenzial sahen, als Jugendarbeiter heranzuwachsen. 1924 wurde er gefragt, internationaler Jugendsekretär des in Genf ansässigen YMCA zu werden. So kam Visser ’t Hooft in eine der größten internationalen christlichen Organisationen, die durch viele persönliche Kontakte mit der sich allmählich entwickelnden, aber noch nicht konzentrierten ökumenischen Bewegung verbunden war.

      Mit Jetty Boddaert aus Den Haag, die er 1922 während eines Treffens in Woodbrooke kennenlernte, verspürte er sofort eine starke spirituelle Verbindung durch ihre unabhängige Haltung. Die Verliebtheit führte nach kurzer Zeit zur Verlobung. Sie heirateten 1924 und zogen dann nach Genf um.

       Kapitel 2

       Vorbereitungen für die internationale Arbeit: Jugend- und Schülerarbeit. 1924–1939

       2.1 Einleitung

      Der Erste Weltkrieg hinterließ tiefe Wunden. Millionen junger Männer waren in den Gräben gestorben; und noch einmal mehr Opfer forderte die Spanische Grippe. Das europäische Selbstverständnis, ein zivilisiertes und fortschrittliches Vorbild für die Welt zu sein, hatte großen Schaden genommen. Die offensichtliche Ausweitung der westlichen, mehr oder weniger christlichen, Zivilisation hatte ihre Selbstverständlichkeit verloren. Es waren noch keine zehn Jahre vergangen, seit John Mott 1910 auf der Weltmissionskonferenz in Edinburgh von der »Evangelisierung der Welt in dieser Generation« gesprochen hatte.1 Jetzt war die angebliche Quelle der Zivilisation verseucht mit Tod und Zerstörung. Die Kirchen hatten während des Krieges eine verwerflich legitimierende Rolle gespielt; hatten in allen kriegführenden Ländern um ihren nationalen Sieg gebetet. Ohne zu zögern hatten die kirchlichen Würdenträger die Waffen gesegnet.

      Aus dieser Gemengelage entstand in den zwanziger Jahren in den bereits existierenden ökumenischen Organisationen ein immer stärker werdendes Gefühl der Dringlichkeit. Verschiedene Bewegungen wurden gegründet, um kirchenleitende Persönlichkeiten zusammenzubringen; nicht auf bilateraler, sondern auf universeller Basis. Auf der Suche nach aktuellen Formen der christlichen Einheit spielten die organisierten Kirchen selbst jedoch kaum eine Rolle. Es waren hauptsächlich unabhängig agierende motivierte Persönlichkeiten, die die Führung übernahmen. Zu den bekanntesten Beispielen gehören die Bewegung für praktisches Christentum, die 1925 auf Initiative des schwedischen Bischofs Nathan Söderblom in Stockholm gegründet wurde, mit dem englischen Namen Life and Work, die Bewegung für Glauben und Kirchenordnung, die 1927 durch den kanadischen Bischof Charles H. Brent in Lausanne ins Leben gerufen wurde, mit dem englischen Namen Faith and Order. In bereits bestehenden Bewegungen wie dem Internationalen Missionsrat, den christlichen Jugendbewegungen wie dem YMCA bzw. seinem Pendant für junge Frauen (YWCA) oder dem Christlichen Studentenweltbund (World Student Christian Federation / WSCF) wurden die eigenen Leitlinien neu definiert. Die World Alliance for Promoting International Friendship (Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen) war zu Beginn des Ersten Weltkriegs gegründet worden. Es war eine Bewegung mit guten Absichten, aber sie war nicht stark, da sie aus einzeln agierenden Personen bestand. Es fehlten Verbindungen zu den institutionellen Kirchen. Mit der Zeit aber bildeten sich allmählich informelle Netzwerke ökumenischer Kontakte heraus, weil


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