Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra
und dass Kirchenvertreter aus England, Frankreich und insbesondere den Vereinigten Staaten eine Form engagierten, christlichen Handelns befürworteten, bei dem menschliche Anstrengungen automatisch in das Reich Gottes führten. Demgegenüber stand für ihn eine eigene Art kontinentaleuropäischer Theologie, an der besonders die deutschen Lutheraner festhielten, die mit einem solchen menschlichen Selbstwertgefühl nichts zu tun hatten. Denn sie waren davon überzeugt, dass nur Gott allein am Ende der Zeit sein Königreich aufbauen könne. Es war dieser fruchtlose Widerspruch zwischen den beiden Ansätzen, der ihn das Thema für seine Dissertation wählen ließ: Die optimistische amerikanische Theologie des »Social Gospel«. Bei seiner Verteidigung 1928 versuchte Visser ’t Hooft, diesen Widerspruch aufzuklären und Vorschläge für ein besseres Gespräch zu machen.
Konferenzen zu organisieren, lag Visser ’t Hooft, aber der YMCA hatte wechselnden Erfolg unter den Schülern weiterführender Schulen. Sie zogen es vor, in Vereinen zu arbeiten, in denen die Jungen Jesus Christus kennen lernten, Bibellesen und beten lernten, sie aber auch in ihrer persönlichen Entwicklung in Sport und Spiel unterstützt wurden. Im Herbst 1927 besuchte er die Niederlande und Dänemark, um die Arbeit an weiterführenden Schulen zu beobachten und anzuregen. In den Niederlanden war der YMCA jedoch nicht sehr erfolgreich mit seiner Schülerarbeit. Das Schulgesetz von 1920 führte dazu, dass die öffentlichen Schulen an ihrer Neutralität festhielten, während die privaten Schulen wegen ihres konfessionell besonderen Charakters Einfluss von außen abwehrten. In der Praxis bestand die YMCA-Arbeit in den Niederlanden daher hauptsächlich aus außerschulischen Klubs und Sommerlagern. In Dänemark dagegen wurde Visser ’t Hooft mit seinem YMCA an den lutherischen staatlichen Schulen herzlich empfangen, die Vereine konnten aus der Schule heraus aufgebaut werden. In diesen nationalen Unterschieden sah er eine Herausforderung: »Sie boten Möglichkeiten für ein vergleichendes Studium der Methoden und für den Erfahrungsaustausch.« Europa sah er dabei als ein Trainingsfeld für die Welt.
»Was ich in Holland und Dänemark gelernt habe, kann ich vielleicht nach Indien oder Siam oder in ein anderes Land mitnehmen. Kulturelle und ethnische Unterschiede sind kein absolutes Hindernis, weil eine in Dänemark erworbene Idee unter den örtlichen Gegebenheiten Brasiliens in nicht erkennbarer angepasster Form dienen kann.«24
Visser ’t Hooft war immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. So fragte er sich zum Beispiel, ob man nicht 1928 jemanden vom YMCA zu den Olympischen Spielen nach Amsterdam schicken könne. Der YMCA sollte während der Spiele in jedem Fall auf zwei Dinge achten: Es sollte ein Informationszentrum für Schlafplätze eingerichtet werden, damit junge Männer dann auch an die richtigen Schlaforte gingen. Und abends sollte für angemessene Unterhaltung gesorgt werden. »Eine gute Arbeit in Amsterdam in diesen Tagen würde, natürlich, als gute Werbung dienen.«25
1928 besuchte Visser ’t Hooft für die Jugendarbeit an weiterführenden Schulen zweimal die Tschechoslowakei, einen neuen Staat, der aus dem Zerfall der Donaumonarchie hervorgegangen und gegründet worden war. In diesem Vorgang sah er einen Testfall für das übrige europäische Christentum. Würde die Tschechoslowakei ein römisch-katholisches Land sein oder etwas anderes? Welche Rolle konnte die substanzielle protestantische Minderheit mit ihrer reichen Vergangenheit spielen? Visser ’t Hooft sah hier eine wichtige Aufgabe: nämlich tschechische Schüler aus dieser mentalen Verwirrung zu befreien und ihnen ein Gefühl für das zu vermitteln, was er als »konstruktive christliche Wahrheit« bezeichnete. Die Arbeit der YMCA in der Tschechoslowakei hatte jedoch mit Führungsproblemen zu kämpfen. Es mussten neue Jugendgruppenleiter eingestellt und geschult werden. Sie sollten den Teufelskreis, den der schwache protestantische Religionsunterricht hinterlassen hatte, durchbrechen.26 Für diese Trainings schrieb Visser ’t Hooft einen Ablaufplan mit dem Namen »Christentum und der moderne Gedanke.«27
Ende der 1920er Jahre unternahm Visser ’t Hooft zwanzig verschiedene Reisen in die Balkanländer und in die Türkei. Während der protestantische YMCA in Ländern wie Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland allgemein willkommen war, stieß ihm in diesen Ländern auch Misstrauen von Seiten der orthodoxen Kirche entgegen. Visser ’t Hooft setzte sich für gute Beziehungen zu den kirchlichen Autoritäten ein. Doch junge Menschen mit Christus in Kontakt zu bringen, war für ihn ein unaufgebbares Ziel, für das manchmal auch Risiken eingegangen werden mussten. Schließlich war der YMCA keine höhere ethische Gesellschaft. 1928 organisierte Visser ’t Hooft unter der Leitung John Motts, des erfahrenen Vorsitzenden der WSCF und des großen Inspirators des YMCA, ein informelles Treffen mit kirchlichen Führern in Sofia, bei dem grundsätzliche Prinzipien der Handlungsweise des YMCA in den orthodoxen Ländern festgehalten wurden.28 Auch in der Türkei sah er Potential, denn die moderne Türkei war damals ein junger Nationalstaat, dessen Führer Mustafa Kemal Atatürk im gerade erst zusammengebrochenen Osmanischen Reich eine strikte Säkularisierung durchsetzte. Schon im Osmanischen Reich gab es eine erfolgreiche Abteilung des YMCA. Diese hatte es jetzt schwer, denn überall wurden die griechischen Christen vertrieben. Aber auch hier hatte der YMCA eine zeitlose Botschaft an die Jugend zu überbringen, die nach Visser ’t Hoofts Meinung in Relativismus und in, wie er es nannte, this-worldliness, aufging. Er hoffte, dass der YMCA die Gelegenheit nutzen würde, bevor sie vorbei war.29
Im Stil des NCSV erzählte Visser ’t Hooft seine persönliche Lebensgeschichte und das Finden seines persönlichen Gottesglaubens, um mit Jungen aus verschiedenen Ländern Kontakt aufzubauen. In der Broschüre We believe in Prayer, in der viele Menschen ihre Ansichten zum Gebet zum Ausdruck brachten, beschrieb er seine eigene »Bekehrung« wie folgt:
»Meiner Meinung nach ist das Gebet untrennbar mit dem Glauben an einen persönlichen Gott verbunden. Sobald das Bewusstsein von Gottes Vormachtstellung über mein Leben bei mir schwächer wird, kann ich nicht beten. Höre ich auf zu beten, wird die Existenz Gottes eine Idee anstelle einer Realität. Als in meiner Jugend mein Verstand erwachte und ich es genoss, ihn zu gebrauchen, brach mein persönliches Gottesbild und damit mein Gebetsleben völlig zusammen. Die Vernunft duldete keinen Gott, der mehr als eine verborgene Naturgewalt wäre. Beten kann unter dieser Voraussetzung nur eine Art mystischer Kontakt mit der Natur sein. Aber dann kam ein Tag, an dem ich anders beten musste – weil mir klar wurde, dass mir eine Frage gestellt wurde, dass ich angerufen wurde.«30
Er stilisierte also seine persönliche Glaubensentwicklung, um junge Menschen für die Arbeit des YMCA anzusprechen.
2.4 Brückenbauer zwischen Europäern und Amerikanern
Vom 16. Oktober bis zum 12. Dezember 1925 war Visser ’t Hooft in den USA und in Kanada, um sich über die Arbeit der American Movement for Boys in the High Schools zu informieren und die europäischen Kontakte zum YMCA-Hauptquartier zu stärken. Er musste auch den internationalen YMCA in Washington vertreten, wo verschiedene Treffen der amerikanischen Jugendarbeit stattfanden. Ein weiterer wichtiger Grund seines Besuchs war die Vorbereitung der YMCA-Weltkonferenz, die 1926 in Helsinki stattfinden sollte. Visser ’t Hooft war beeindruckt von der amerikanischen Organisation und der Bekanntheit, die die Arbeit in der Öffentlichkeit hatte. Er war aber weniger begeistert vom Inhalt der Programme in den Vereinigten Staaten. Sie waren in seinen Augen zu moralistisch; man beließ es oft bei den do’s and dont’s, ohne dass dem persönlichen Glaubensleben der Jungen Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Wenn sie dann mit der Realität des echten Lebens konfrontiert wurden, war die Gefahr der Enttäuschung groß.31
Nach seiner Rückkehr aus Amerika präsentierte sich Visser ’t Hooft regelmäßig in Europa als Kenner des amerikanischen kirchlichen und christlichen sozialen Lebens. Als eines der größten Probleme der Zukunft sah er, auch aufgrund seiner Erfahrungen auf der Stockholmer Konferenz 1925, den Widerspruch zwischen dem Charakter Europas und dem Amerikas, nicht zuletzt im Hinblick auf das Christentum. Die Mentalitätsunterschiede waren groß und die Kluft wurde durch Missverständnisse weiter verschärft, zum Beispiel durch das Bild, das man voneinander hatte. In Deutschland wurden Amerikaner, so sah es Visser ’t Hooft, als Barbaren betrachtet.32
Er