Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra

Willem Adolf Visser 't Hooft - Jurjen Albert Zeilstra


Скачать книгу
auf die Malines Conversations bezogen, das waren ökumenische Gespräche, die von 1921 bis 1927 im belgischen Mechelen zwischen Anglikanern und Katholiken stattgefunden hatten. Mortalium animos schloss sich der Ablehnung der anglikanischen Ämter durch Papst Leo XIII. von 1896 in seinem apostolischen Brief Apostolicae curae an und beanspruchte die apostolische Nachfolge ausschließlich für die römisch-katholische Kirche. Aber Visser ’t Hooft glaubte nicht, dass es hierbei bleiben sollte. Er erwartete einen Durchbruch, vor allem bei den Kontakten zwischen den Studenten.

      Bei vielen intelligenten jungen Männern aus den unterschiedlichsten Kirchen verspürte er den Wunsch, sich aus Gründen des Glaubens aktiv an den Entwicklungen in der Gesellschaft zu beteiligen. Es war fast unmöglich zu erkennen, was das Ideal einer christlichen Gemeinde zu tun hatte mit den Kirchen, denen die Studenten angehörten.

      »Haben sie etwas anderes gemeinsam als einen Namen? Ist es nicht beinahe gotteslästerlich, so zu tun, als hätten unsere bürgerlichen Kirchen mit ihrer hoffnungslosen Mischung aus gescheiterter Weltlichkeit und lauwarmer Christlichkeit, mit ihrer Richtungs- und Führungslosigkeit, etwas mit der apostolischen Vision der Braut Christi zu tun?«65

      Visser ’t Hooft wollte diesen starken persönlichen Glauben in der ökumenischen Bewegung zur Geltung bringen.66 So suchte er in dieser Zeit nach Organisationsformen und Denkern, die seinem Anliegen Form und Inhalt gaben. In diesen Zusammenhang gehörte eine Rezension, die er in The Student World über das 1934 erschienene Buch Politique de la Personne des personalistischen Philosophen Denis de Rougemont (1906–1985) veröffentlichte. Er lobte auf der einen Seite das Buch, weil es den christlichen Intellektuellen auf seine politische und soziale Aufgabe hinwies. Auf der anderen Seite kritisierte er jedoch, dass De Rougemont den Begriff »Person« nicht ausreichend ausgearbeitet habe, so dass er leicht missverstanden werden könne. Ein faschistischer Diktator ließ sich dann beispielsweise auch als »Persönlichkeit« von Format ansehen.67

      Echte Nachfolge verdiente nur Jesus Christus. Visser ’t Hooft befürwortete einerseits eine gemeinsame christliche Ethik, die auf einer ökumenischen Neuinterpretation der Bibel beruhte, also eine Art Situationsethik. Doch andererseits wollte er, dass die Menschen aufhören sollten, Jesus zu »interpretieren«. Stattdessen sollten sie beginnen, ihm zu folgen, sie sollten Jesus gehorchen.68 Für Visser ’t Hooft lag der Schwerpunkt in der Ethik auf dem göttlichen Gebot. Die jungen Leute, für die er schrieb, sollten sich durch eine Willensentscheidung in den Dienst von Jesus als Herrn stellen.69 Er war fest davon überzeugt, dass dies zu einer »Erneuerung« des persönlichen Lebens, der Kirche und der Welt führen würde. Den Begriff der »Erneuerung« (renewal) benutzte er noch lange nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein wirklicher Neuanfang war für ihn nur aufgrund des Realitätssinns des Glaubens möglich.

      »Wir müssen absolut von vorne anfangen. Nichts ist selbstverständlich. Wir dürfen nicht mehr so reden und so handeln, als ob die Grundlagen feststünden. Wir müssen zuerst für uns selbst neu entdecken, worum es im christlichen Glauben geht, sein ABC wieder lernen und dann als Missionare in eine heidnische Welt eintauchen.«70

      Die lebenswichtige Kirche, die auf diese Weise gedieh, würde nüchterne Bürger und Politiker hervorbringen, die sowohl der kommunistischen Forderung nach sozialer Gerechtigkeit als auch dem faschistischen Wunsch nach nationaler Gemeinschaft oder der demokratischen Bindung an die individuelle Freiheit gerecht werden würden. Realistische Christen würden diese Werte als komplementär betrachten, ohne sie zu absoluten Werten zu machen.

      »Anstatt eine dieser [Überzeugungen] als Allheilmittel für alle Probleme oder als Werk des Teufels zu betrachten, würden sie feststellen, dass sie alle etwas voneinander lernen und sich gegenseitig kritisieren müssten.«71

      Aber bevor eine Person dazu in der Lage sein konnte, war eine klare Glaubensentscheidung erforderlich. Dazu ermutigte Visser ’t Hooft seine Zuhörer und Leser wieder und wieder.

      Neben der römisch-katholischen Kirche war in dieser Zeit die orthodoxe Kirche von ökumenischer Bedeutung. 1920 veröffentlichte das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel eine Enzyklika, die parallel zum Völkerbund einen Vorschlag für einen Bund der Kirchen machte. Patriarch Joachim III. hatte sich bereits 1902 und 1904 für orthodoxe Einheit und brüderliche Beziehungen zu anderen Kirchen ausgesprochen. Hierfür benutzte er nun das griechische Wort »koinonia« (Gemeinschaft). Visser ’t Hooft sah diese Initiative zeit seines Lebens als einen außergewöhnlichen Fall in der Kirchengeschichte an.72 Der griechische Kirchenführer, mit dem er später als ökumenischer Patriarch (1949–1972) viel zusammenarbeitete, war Athenagoras I. (1886–1972). Er lernte ihn zunächst als Metropolit von Korfu kennen, als er und Jetty im Winter 1929 an einem Treffen der Jugendkommission Life and Work auf Korfu teilnahmen. Athenagoras beeindruckte Visser ’t Hooft sofort, weil er die Einheit der Christen im Zusammenhang mit dem Glauben an Christus zum Ausdruck brachte. Für Visser ’t Hooft bewiesen seine Worte, dass eine echte Begegnung zwischen Ost und West keine Illusion war. Der Osten hatte eine Antwort vom Westen verdient, und darum wollte er sich bemühen.

      Im Dezember 1932 beendete Visser ’t Hooft seine zweite Studie, mit dem Titel: Le catholicisme non-romain, der nichtrömische Katholizismus.73 Sie basierte auf Vorlesungen für Studenten der Theologischen Fakultät in Genf und Beobachtungen während seiner Reisen in Großbritannien, auf dem Balkan und Besuchen der orthodoxen Zentren in Paris und Rom. In ihr verglich er die anglikanische Kirche und die orthodoxen Kirchen miteinander und plädierte nicht nur für mehr Verständnis, sondern auch für mehr Offenheit im Gespräch zwischen den Traditionen. Das würde dann auch zu mehr Reflexion über die eigene Tradition führen und ein anderes Bewusstsein für das Erbe hervorbringen. Die strategische Rolle, die er diesen Kirchen zwischen Rom und der Reformation zuschrieb, wurde zwar keine Realität, aber regte viel zum Nachdenken an.74 Sowohl im WSCF als auch in den Kirchen wollte er die Menschen für das rüsten, was er als »Kampf für die Einheit« bezeichnete. Dieser Kampf würde schließlich ablenkende Probleme in die richtige Perspektive rücken und dazu führen, für Gott empfänglich zu werden.

       2.6 Christlicher Realismus, kein internationaler Idealismus

      Deutschland wurde 1919 in Artikel 231 des Vertrags von Versailles für schuldig am Ausbruch des Ersten Weltkrieges befunden. Die Überzeugung wuchs jedoch, dass das internationale Wettrüsten, das dem Krieg vorausging, ein wichtiger Faktor gewesen war. Die Staaten, die den Friedensvertrag unterzeichneten, erklärten sich mit Ausnahme der Vereinigten Staaten zur Abrüstung bereit. 1932 organisierte der Völkerbund die Genfer Konferenz, bei der Schritte zur Reduzierung und Begrenzung der Rüstung vereinbart werden sollten. Als die Konferenz 1934 scheiterte, waren viele enttäuscht, nicht nur Friedensidealisten. Visser ’t Hooft war nicht überrascht. Er war in Genf vor Ort dabei und beobachtete, dass die meisten Delegationen bei den Besprechungen im Völkerbund keine Kompromissbereitschaft zeigten, sondern sich nur für ihre eigenen Interessen einsetzten. Als es beispielsweise 1925 bei den Verhandlungen um ein weltweites Opiumverbot ging, stellte er fest, dass die Niederlande aufgrund des lukrativen niederländischen Opiumhandels und der lukrativen Opiumproduktion in Niederländisch-Indien keinerlei Tendenz zeigten, sich dafür zu engagieren.75

      In den Augen von Visser ’t Hooft war die gesamte Abrüstungskonferenz von einer wunderlichen Mischung aus Idealismus und Kurzsichtigkeit geprägt sowie von einer echten, aber auch naiven Sehnsucht nach Frieden. Dominierend war freilich eine zynische Machtpolitik, bei der Eigeninteresse und ein technisches Abwägen der balance of power im Vordergrund standen. Aus den vielen Demonstrationen von Idealisten, Pazifisten und Internationalisten, die er durch Genf ziehen sah, sprach etwas Trauriges und Hilfloses. Er war beeindruckt von den Reden des Schweizer Politikers Giuseppe Motta und des irischen Präsidenten Éamon de Valera, die sich im Zusammenhang mit dem Beitritt der Sowjetunion zum Völkerbund für die weltweite Religionsfreiheit einsetzten. Aber viel erreichten sie nicht. Visser ’t Hooft selbst trat während der Friedensverhandlungen als Korrespondent für das amerikanische Magazin The Christian Century auf.76 Zusätzlich veröffentlichte er auch in seiner eigenen Zeitschrift,


Скачать книгу