Willem Adolf Visser 't Hooft. Jurjen Albert Zeilstra

Willem Adolf Visser 't Hooft - Jurjen Albert Zeilstra


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Etwas losgelöst von diesen Entwicklungen war allerdings eine ältere ökumenische Bewegung, die Evangelische Allianz. Sie war 1846 in London als protestantische Antwort auf die damalige europäische Wiederbelebung des Katholizismus gegründet worden.

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      Während eines Studentenaustausches in den 1920er Jahren

      Das war das sich entwickelnde Arbeitsfeld, in das Visser ’t Hooft 1924 hineinkam. Seine Anstellung als Sekretär für europäische Jugendarbeit bei der World Alliance of YMCA in Genf war also eine Pionierposition, die erst noch ihre Form finden musste. Er hatte keinen Vorgänger, von dem er die Arbeit übernehmen konnte. Sein bescheidenes Gehalt wurde zunächst von der niederländischen Abteilung des YMCA gezahlt. Bei dieser Arbeit war die tatkräftige und kreative Art und Weise, wie er diese Position besetzte, auffallend. Was waren seine Einsichten? Wie ging er mit dem internationalen Idealismus und dem aufkommenden Faschismus der 1920er Jahre um? (2.2) Der YMCA delegierte den jungen Sekretär zu einer Reihe wichtiger internationaler ökumenischer Konferenzen. Die erste davon war 1925 die Gründungskonferenz der ökumenischen Bewegung für praktisches Christentum Life and Work in Stockholm unter der Leitung des schwedischen Erzbischofs Nathan Söderblom. Bei diesen internationalen Treffen lernte er viel. (2.3) Seine Arbeit führte ihn auch in die USA, wo eine YMCA-Weltkonferenz, die 1926 in Helsinki stattfinden sollte, vorbereitet wurde. Die Entwicklungen im amerikanischen Christentum faszinierten ihn so sehr, dass er sich entschloss, seine Dissertation diesem Thema zu widmen und dazu 1928 promoviert wurde. (2.4) Um 1930 wurde er nach und nach zum Christlichen Studentenweltbund (WSCF) versetzt. Einige Jahre lang war er sowohl Mitglied des YMCA als auch des WSCF, wobei er beim WSCF vor allem als Redakteur und Redner auffiel. Er nahm klare Positionen ein und konnte seine Zuhörer faszinieren, weil es ihm gelang, zu vereinfachen und trotzdem in seinen Worten Tiefe zu bewahren. (2.5) Zu Beginn der 1930er Jahre war ganz Europa an Abrüstungsgesprächen beteiligt, die vom Völkerbund in Genf organisiert wurden. Inwiefern stellte Visser ’t Hooft für die Mitglieder seiner Bewegung die Verbindung zwischen dem, was hier geschah, und ihrem Engagement als christliche Studenten her? (2.6) Fast zur gleichen Zeit kam in Deutschland Adolf Hitler an die Macht. Visser ’t Hooft unterschätzte zunächst, was das bedeutete. (2.7) Er hegte große Erwartungen an die Mission in den Kolonien und außerhalb Europas und verfolgte mit Interesse die Entwicklung der Unabhängigkeitsbewegungen. Schließlich lehnte er es aber ab, sich aktiv an der Missionsbewegung zu beteiligen. (2.8) Er kam aus der Jugendbewegung, aber nach und nach konzentrierte er sich immer mehr auf die Rolle der Kirche. Er sah darin eine Möglichkeit der Erneuerung, was sich für ihn an der zunehmenden Bedeutung wichtiger sozialer Fragen abzeichnete. 1938 war er aussichtsreicher Kandidat für die gewichtige Position des Sekretärs des sich im Aufbau befindenden Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Im Sommer 1939, kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, trafen sich 1.500 evangelische Jugendliche aus zahlreichen Ländern in Amsterdam. Dieses Treffen hinterließ einen tiefen Eindruck auf Wim Visser ’t Hooft. (2.9)

       2.2 Sekretär des YMCA im kriegszerstörten Europa

      Alle drei Brüder Visser ’t Hooft, Frans, Wim und Hans, absolvierten problemlos das Stedelijk Gymnasium in Haarlem. Anschließend schlugen sie jedoch alle andere Richtungen ein. Frans (1897–1982), der älteste Bruder, studierte in Delft, promovierte als Chemiker und heiratete die Amerikanerin Martha Hamlin (1906–1994), eine Tochter wohlhabender Eltern. Sie studierte ab 1922 an der Académie Julien in Paris und ab 1925 an der New York School of Fine and Applied Art und wurde expressionistische und surrealistische Malerin. Nach ihrer Heirat 1928 zogen Frans und Martha nach Buffalo. Frans wurde Vizepräsident der Novadel-Agene Corporation und später Präsident von Wallace and Tiernans Lucidol Division, wovon er sich 1961 zurückzog. Außerdem war er Honorarkonsul für die Niederlande in Buffalo. Sie hatten drei Kinder: Martje, Frans Jr. und Emily. Es war keine glückliche Ehe.

      Während sich Frans auf seine Karriere und das Erklimmen sozialer Positionen konzentrierte, beschäftigte sich Martha hauptsächlich mit Kunst und ihren Kunstfreunden. Die Familie stand beiden im Weg.2 Wim Visser ’t Hooft hatte wenig Kontakt zu seinem Bruder Frans. Sie lebten in unterschiedlichen Welten. Gelegentlich besuchten sie sich, aber sie sahen sich nicht viel. Mit seinem jüngeren Bruder Hans (1905–1977) kam Wim dagegen besser zurecht. Er war der sportlichste der drei und wurde ein verdienstvoller Hockeyspieler. Er wurde für die niederländische Nationalmannschaft ausgewählt, die bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam Silber holte. Später war er Vorsitzender des Nationalen Eishockeyverbandes. Hans studierte Medizin in Leiden und wurde Allgemeinarzt in Velp. 1932 heiratete er Wilhelmina Scheurleer (1911–1974). Hans und Wil hatten sechs Kinder: Willem, Clan, Annemarth, Hans, Sander und Willemijn. Es gab regelmäßige Kontakte zwischen Velp und Genf, besonders als die Kinder noch klein waren.

      Nach ihren Flitterwochen zogen Wim und Jetty im Herbst 1924 in ein provisorisches Zuhause am Boulevard de la Tour in Genf. Dieses Haus wurde bald gegen eine gemütliche kleine Villa in Petit-Saconnex eingetauscht. Sie fanden eine kirchliche Gemeinde in Ferney-Voltaire, etwas über der französischen Grenze nordwestlich von Genf. Die Predigt des evangelischen Pfarrers Pierre Maury (1890–1956), der Generalsekretär der französischen Sektion der WSCF gewesen war, sprach sie sofort an, so dass sie von nun an wöchentlich die Gottesdienste in Ferney-Voltaire besuchten. Maury wurde nicht nur ihr Pfarrer, sondern bald auch einer von Wims besten Freunden.

      Im Herbst 1924 begann Visser ’t Hooft mit großer Begeisterung seine Arbeit beim YMCA. Sein Chef Robinson, der die Europaarbeit leitete, gab ihm viel Freiheit und ließ ihn selbst planen. Die einzige Vereinbarung war, dass Visser ’t Hooft für die Jungenarbeit des YMCA in Deutschland und Skandinavien verantwortlich sein sollte und sich dabei auf die Arbeit mit Jungen, die eine weiterführende Schule besuchten, konzentrieren sollte. So plante er als Erstes eine internationale Konferenz. Während der internationalen Begegnungen, die er erlebt hatte, hatte er genau beobachtet, was funktionierte und was nicht. Das Modell einer Konferenz passte zu ihm, und im Laufe seines Lebens sollte Visser ’t Hooft noch zahlreiche Konferenzen in unterschiedlichen Funktionen organisieren. Der YMCA, für den er jetzt arbeitete, war 1844 in London vom Industriellen und Philanthrop George Williams gegründet worden. Zunächst konzentrierte man sich dort auf Bibelstudien und Gebetsgruppen, die von Freiwilligen geleitet wurden. 1855 wurde unter der Leitung von Henri Dunant, dem Gründer des Internationalen Roten Kreuzes, ein Schritt in Richtung einer Weltorganisation in Paris gemacht. Man übernahm die sogenannte Pariser Basis, also die Formulierung »Jesus Christus, Gott und Erlöser«. Diese wurde später auch die Grundlage für die Gründung von Faith und Order 1938; Visser ’t Hooft übernahm sie auch als Grundformel für den sich im Aufbau befindenden ÖRK:

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      Wim in Tenniskleidung, Hans, Frans und Jetty, ca. 1928

      »Der YMCA will junge Männer zusammenbringen, die, während sie Jesus Christus als ihren Gott und Erlöser nach der Heiligen Schrift anerkennen, Lehrlinge in Glauben und Leben sein möchten und sich für die Ausbreitung seines Königreiches unter jungen Männern einsetzen wollen.«3

      Der World Union of World Alliance der YMCAs (Weltbund der YMCAs) umfasste Mitte der 1920er Jahre eine Sammlung ungleich geformter nationaler und lokaler Jugendorganisationen für Jungen jeden Alters. Die meisten richteten sich an Schüler, manchmal ging es um Arbeiter, manchmal um Studenten.


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