Kinderärztin Dr. Martens Box 1 – Arztroman. Britta Frey
»Ich hab Zeit, Schwester Laurie. Sven soll sehen, dass ich bei ihm bin, wenn er erwacht.«
Schwester Laurie hatte inzwischen die Räder des Bettes wieder festgestellt und ging zur Tür, um das Zimmer zu verlassen. Im Hinausgehen sagte sie noch freundlich: »Wenn Sie einen Wunsch haben, finden Sie mich oder meine Kollegin vorn im Schwesternzimmer oder in der Teeküche.«
Knut nickte zustimmend, dann klappte die Tür leise hinter der Schwester zu, und er war mit seinem schlafenden Jungen allein.
*
Die Schwestern auf der Krankenstation hatten damit begonnen, das Mittagessen für die kleinen Patienten auszuteilen, als Hanna mit Kay unten in der Halle zusammentraf.
»Weißt du inzwischen schon die Untersuchungsergebnisse von dem Jungen, Kay?«, wollte Hanna als Erstes wissen.
»Nein, noch nicht, aber ich denke, dass Dornbach nach der Mittagszeit zu mir ins Ärztezimmer kommen wird.«
»Gut, ich bin dann auch da. Gehst du jetzt in die Kantine zum Essen?«
»Was denn sonst, aber du kommst doch wohl mit, oder?«
»Nein, heute nicht. Ich habe heute Vormittag kaum Zeit gehabt, mich ein wenig länger um den Jungen zu kümmern. Ich werde die Mittagsstunde nutzen, um das nachzuholen. Außerdem wird Knut jetzt wohl auch bei Sven sein. Ich hatte noch nicht einmal Gelegenheit, ihn zu begrüßen. Also, bis später dann.«
Lächelnd wandte sich Hanna ab und eilte leichtfüßig dem Treppenaufgang zu und dann die Stufen hinauf. Ein weiches Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie die Tür öffnete, hinter der Knut und der Junge schon sehnsüchtig auf sie warteten.
Kay, der seiner Schwester mit leichtem Kopfschütteln nachgesehen hatte, ging mit nachdenklichem Gesicht hinüber in den Anbau, in die Kantine. Er konnte Hanna verstehen, dass sie sich in diesen blendend aussehenden Knut Berkel verliebt hatte. Aber so ganz wohl war ihm trotzdem nicht bei dem Gedanken. Er kannte seine jüngere Schwester viel zu gut, um nicht schon zu diesem frühen Zeitpunkt gewisse Schwierigkeiten zu erkennen. Knut Berkel schien in der Bank, in der er arbeitete, eine höhere Position einzunehmen. Er würde also Hannas wegen kaum seinen Wohnsitz verlegen, um in ihre Nähe zu ziehen. Hanna dagegen war Kinderärztin mit Leib und Seele. Auch sie würde nicht ohne Weiteres alles aufgeben, was immer ihr Traum gewesen war, um nach Hannover überzusiedeln. Hanna war immer eine sehr selbstbewusste und emanzipierte Person gewesen. Würde ihre Liebe zu diesem Mann so stark sein, würde sie ausreichen, um ihr jetziges Leben hinter sich zu lassen? Konnte eine Frau von der Art Hannas ihr ganzes Wesen so schnell umstellen? Kay konnte es nicht so recht glauben. Hanna nur noch als Hausfrau und Mutter eines achtjährigen Jungen, nein, dazu war sie seiner Meinung nach nicht die geeignete Person. Aber Kay wusste auch, dass er sich auf keinen Fall in Hannas Angelegenheiten einmischen würde. Er war sicher, dass sie zum rechten Zeitpunkt auch das Richtige tun würde.
Während Kay sich Gedanken um das Glück seiner Schwester machte, war Hanna von Sven stürmisch begrüßt worden. Liebevoll und gerührt nahm sie ihn in die Arme. Erst danach begrüßte sie Knut, der einen sanften Kuss auf ihre Hand hauchte und leise, mit zärtlicher Stimme sagte: »Wie schön, dich endlich zu sehen, Hanna. Wenn ich jetzt doch nur dürfte, was ich gern möchte.«
Hanna, die ihn sofort verstand, wandte sich verlegen errötend ab. Auch sie hätte sich gern in die Arme nehmen lassen, aber aus Rücksicht auf den achtjährigen Sven, der ja noch nichts wusste, mussten sie beide in seiner Gegenwart vernünftig sein.
Mit gewollter Fröhlichkeit sagte sie zu Sven: »Na, mein Kleiner, wie war die Untersuchung heute? War der Doktor so lieb und nett, wie ich es dir versprochen hatte?«
»Ja, Tante Hanna, er hat mir sogar ein Foto gezeigt, auf dem seine beiden Jungen mit ihm drauf waren. Die Untersuchungen haben auch überhaupt nicht wehgetan. Ich war hinterher nur schrecklich müde. Du bist ganz prima, Tante Hanna. Muss ich noch lange im Bett liegen bleiben, oder darf ich wieder aufstehen?«
»Du darfst natürlich zwischendurch auch aufstehen, mein Kleiner. Dein Vati geht bestimmt heute Nachmittag mit dir ein wenig nach draußen in unseren schönen Klinikpark. Dort stehen auch überall Bänke, auf denen man sich ausruhen kann.«
»Hast du gehört, Vati, ich muss nicht den ganzen Tag nur im Bett bleiben.«
»Schon gut, mein Junge, ich habe gehört, was Tante Hanna dir gesagt hat. Natürlich gehen wir heute Nachmittag ein wenig in den Klinikpark hinunter. Aber zuerst musst du dein Mittagessen ganz aufessen und danach deinen Mittagsschlaf halten.«
»Och, Vati, ich habe doch erst vorhin geschlafen«, maulte Sven.
In diesem Augenblick wurde die Tür nach kurzem Anklopfen geöffnet, und Schwester Laurie brachte das Tablett mit dem Mittagessen für Sven ins Zimmer. Sie zwinkerte Sven zu und sagte: »Heute machst du deinen Teller bestimmt leer, kleiner Mann. Es gibt nämlich Hähnchen mit Kartoffelpüree und Rotkohl, und zum Nachtisch einen Vanillepudding mit Himbeersaft.«
Die Augen des Achtjährigen leuchteten auf, und heftig nickte er zu Schwester Lauries Worten, die das Tablett auf seinem Nachtschränkchen abstellte.
»Lass es dir gut schmecken, Sven«, sagte sie, bevor sie das Zimmer wieder verließ.
Während Knut und Hanna sich leise unterhielten und dafür sorgten, dass Sven seinen Teller leerte, ging Schwester Laurie zu ihrer Kollegin in die Teeküche und sagte erleichtert: »So, das war es wieder einmal, Jenny, jetzt haben wir uns eine kleine Verschnaufpause verdient und Zeit für einen Kaffee.«
»Ich weiß, und ich habe dir schon eine Tasse eingegossen. Ich bin auch immer froh, wenn wir mit dem Essenverteilen fertig sind.«
Laurie setzte sich, die Beine lang von sich gestreckt, Jenny gegenüber und trank mit sichtlichem Genuss ihren Kaffee.
»Das tut gut, wenn man zwischendurch mal für ein paar Minuten die Beine ausstrecken kann. Weißt du, wer gerade bei Sven und seinem Vater im Zimmer war?«
»Nein, wer denn? Ich habe niemanden hineingehen sehen. Sag schon endlich und tu nicht so geheimnisvoll.«
»Unsere Chefin, Frau Dr. Martens. Wenn du mich fragst, ich glaube, zwischen dem Vater des Jungen und unserer Chefin bahnt sich etwas an.«
»Geh, Laurie, du spinnst ja. Unsere eiserne Jungfrau und ein Mann, nein, da hast du aber verkehrt gesehen.«
»Aber Jenny, sag doch nicht immer eiserne Jungfrau. Wenn dich jemand hört.«
»Mich hört schon niemand. Schwester Elli ist in der Mittagspause, und wir zwei sind, bis sie zurückkommt, allein. Wenn die Chefin da im Krankenzimmer ist, so muss es noch lange nichts bedeuten. Sie unterhält sich sicher nur mit dem Vater des Jungen über seine Krankheit, mehr nicht.«
»Was ich gesehen habe, das habe ich gesehen, Jenny. Aber wenn du mir nicht glaubst, reden wir nicht weiter darüber. Du wirst es schon auch noch merken. Was machst du am Wochenende, am Samstagabend? Hast du nicht Lust, mit nach Wintorf in die Disco zu gehen? Du hast doch auch am Sonntag frei. Eine gute Gelegenheit, mal wieder auszugehen, da wir ja beide am Sonntag ausschlafen können. Nun sag schon ja und überleg nicht erst lange.«
»Ich kann es dir heute noch nicht sagen. Aber ich sag dir schon noch rechtzeitig Bescheid … Einverstanden?«
»Einverstanden. Aber ich glaube, es ist wieder so weit. Ich werde anfangen, das Geschirr in den Zimmern einzusammeln, damit wir fertig sind, wenn unser Dragoner aus der Mittagspause zurückkommt. Ich hab inzwischen schon ordentlichen Hunger bekommen. Du nicht auch?«
»Na klar doch, also fangen wir an. Ich möchte nachher wenigstens noch ein Viertelstündchen hinaus in den Park.«
Beide Schwestern verließen die Teeküche und holten die Tabletts mit dem benutzten Geschirr aus den Zimmern der kleinen Patienten. Ausnahmsweise war seit ein paar Tagen kein Kind dabei, das von den Schwestern gefüttert werden musste. Aber zur Verwunderung Schwester Lauries war die Chefin noch immer in Svens Krankenzimmer anwesend.
Während Schwester Laurie anschließend den Essenwagen