Kinderärztin Dr. Martens Box 1 – Arztroman. Britta Frey
entschuldigen würdest. Ich muss das alles erst einmal innerlich verarbeiten.«
Schon an der Tür drehte Knut sich noch einmal um und sagte zu Kay: »Ich danke auch Ihnen für die offenen Worte, Herr Dr. Martens.«
Ehe Kay etwas darauf erwidern konnte, fiel schon die Tür hinter Knut zu, und Kay und Hanna waren erneut allein.
»Was soll man noch sagen? Er ist ein erwachsener Mann, er wird sich wieder fangen.«
»Ich werde ihm dabei helfen, Kay. Aber zuerst möchte ich mich ein wenig um den Jungen kümmern. Wenn es für den Rest des Nachmittages weiterhin so ruhig im Haus bleibt, ist ja wohl nichts dagegen einzuwenden, nicht wahr?«
»Geh nur, Hanna, der Junge wird sicher auf seinen Vati warten. Und was deinen Knut betrifft, wirst du ihm schon dabei helfen, damit fertig zu werden.«
*
Nachdem Knut das Sprechzimmer Kays verlassen hatte, war er so eilig an Martin Schriewers vorbeigelaufen, dass dieser ihm kopfschüttelnd nachsah und leise murmelte: »Der hat es ja so eilig, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her.«
Er sah noch, wie Knut Berkel mit seinem Wagen in rasender Fahrt davonfuhr. Da musste wohl etwas Ernstes vorgefallen sein.
Knut aber fuhr eine Weile ziellos durch die Gegend und achtete nicht auf die Zeit. In ihm war nur der quälende Gedanke an seinen kleinen Sohn. So wie er die Ausführungen von Hannas Bruder verstanden hatte, war auf die Dauer gesehen eine Herzoperation die einzige Chance für seinen Jungen. Als Knut endlich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, stellte er erschrocken fest, dass er fast zwei Stunden ohne Ziel umhergefahren war. Er hatte dabei nicht mehr daran gedacht, dass Sven ja oben in seinem Zimmer auf ihn wartete. Sein Gewissen meldete sich, und er beeilte sich, zur Klinik zurückzukommen.
Hanna aber war, wie sie Knut versprochen hatte, zu Sven gegangen, um sich eine Weile mit ihm zu beschäftigen. Mit leuchtenden Augen begrüßte Sven Hanna. Aber dann wollte er doch von ihr wissen: »Wo ist denn Vati, Tante Hanna? Vati wollte doch nur für ein paar Minuten fortgehen.«
»Dein Vati hat noch etwas Wichtiges zu erledigen, mein Junge«, sagte Hanna mit einem beruhigenden Lächeln. »Er wird bestimmt bald zurückkommen.«
»Hat Vati dich denn schon gefragt, ob ihr hier in der Klinik noch einen Jungen habt, der genauso alt ist wie ich?«
»Warum wollte dein Vati mich danach fragen, Sven?« Hanna sah überrascht auf den Jungen.
»Damit ich hier im Zimmer mit jemandem spielen kann und nicht immer allein bin, wenn Vati einmal keine Zeit für mich hat. Hier ist doch noch ein Bett frei.«
»Möchtest du denn auch gern einen Zimmerkameraden haben, Sven?«
»Ja, Tante Hanna, ich möchte es.«
»Gut, dann kann ich dir deinen Wunsch auch erfüllen. Ein paar Zimmer weiter liegen zwei Jungen in deinem Alter auf einem Zimmer, der Karli und der Tim. Der Karli darf morgen wieder nach Hause, dann ist der Tim allein. Ich werde Schwester Laurie Bescheid sagen, dass sie den Tim morgen früh nach der Visite hierher zu dir ins Zimmer bringt. Tim ist ein netter Junge, und du wirst dich bestimmt gut mit ihm vertragen. Ich weiß ja, dass auch du ein lieber und vernünftiger Junge bist.«
»Wo bleibt der Vati denn, Tante Hanna?«
»Du musst nicht ungeduldig werden, mein Junge, er wird schon kommen. Noch habe ich ja Zeit für dich.«
»Du sagst auch nur immer, dass du Zeit für mich hast, lässt mich aber immer allein. Genau wie meine Mutti, die will mich auch nicht mehr haben. Sie hat mich auch nicht mehr lieb. Sonst hätte sie Vati und mich nicht allein gelassen. Niemand hat mich mehr richtig lieb.«
Es lag auf einmal so viel kindliche Bitterkeit in seinen Worten, dass Hanna ihn spontan in ihre Arme zog und mit weicher Stimme sagte: »Aber, Sven, Junge, dass ist doch nicht wahr. Dein Vati hat dich sehr lieb, und ich auch. Und deine Mutti hat dich bestimmt auch lieb, sie kann es dir nur nicht sagen. Bei erwachsenen Menschen ist es manchmal so, dass sie sich nicht mehr einig sind und auseinandergehen. Wenn du erst einmal ein paar Jahre älter bist, wirst du es besser verstehen. Soll ich dir etwas aus deinem Buch vorlesen?«
»Ich mag nicht, Tante Hanna, aber ich habe Durst. Habt ihr auch Limo? Ich mag nicht immer nur Tee.«
»Ich lauf rasch hinunter in die Kantine und hole dir eine kleine Flasche Fanta. Einverstanden?«
Der Achtjährige nickte zustimmend, und Hanna verließ das Zimmer, um für Sven das Getränk zu holen: Als sie das Zimmer nach wenigen Minuten erneut betrat, war Sven eingeschlafen.
Mitfühlend sah sie in sein Gesicht, das an diesem Tag besonders blass wirkte, und dachte: »Nein, mein Kleiner, ich weiß jetzt, dass du den Verlust deiner Mutter noch lange nicht überwunden hast.« Sanft streichelte sie seine Wange und schlich leise aus dem Zimmer. Dabei hoffte sie, dass Sven bei seinem nächsten Erwachen seinen Vater vorfinden würde. Sie selbst musste sich noch um ein paar andere Dinge kümmern. Es war nur gut, dass Knut seinen Jungen darauf gebracht hatte, dass man das andere Bett mit einem Zimmerkameraden belegen konnte. Tim war ein netter, lebhafter Junge und vor einer Woche neun Jahre alt geworden. Die Gegenwart von Tim würde Sven ablenken und dazu führen, dass Sven nicht nur auf den Besuch seines Vaters wartete.
Da Schwester Elli, die Oberschwester, noch im Haus weilte, gab Hanna sofort die nötigen Anweisungen für Tims Verlegung in Svens Zimmer an sie weiter. Danach machte sie noch eine letzte Runde durch die anderen Krankenzimmer, und sie konnte sich nach oben in die Privaträume zurückziehen, wo Kay sie schon erwartete.
Vom Fenster aus sah Hanna Knuts Wagen zurückkommen und atmete erleichtert auf.
Kay hatte schon Kaffee gekocht und dazu ein paar Stücke Kuchen aus der Kantine besorgt. Lächelnd sagte er zu Hanna: »Da du den Abend bestimmt wieder mit Knut Berkel verbringen wirst, habe ich mir gedacht, dass du vorher sicher eine Kleinigkeit essen möchtest. Marike hat heute für den leckeren Apfelkuchen gesorgt, da habe ich rasch ein paar Stücke für uns organisiert. Also, greif zu, Hanna, und lass es dir schmecken.«
Hanna nahm dem Bruder gegenüber Platz und trank ihren Kaffee. Mit sichtlichem Genuss verzehrte sie ein Stück Apfelkuchen.
Kay sah ihr schweigend zu, bis sie den Teller zurückschob.
»Danke. Das hat gutgetan.«
»Will ich auch hoffen. Aber etwas anderes. Warum bringst du Herrn Berkel nicht einmal mit zu uns in die Wohnung? Ich will mich ja nicht aufdrängen, aber gegen ein Gespräch, einmal nicht nur über medizinische Belange, hätte ich nichts einzuwenden.«
»Ich werde ihn bestimmt einmal mit heraufbringen, Kay. Du wirst noch Gelegenheit genug bekommen, Knut auch privat ein wenig näher kennenzulernen. Solange Knut seine Scheidung noch nicht durchgesetzt hat, haben wir es nicht eilig.«
»Hast du überhaupt schon einmal daran gedacht, wie es mit dir und Knut Berkel weitergehen soll?«
»Wie meinst du das? Wie soll ich deine Frage verstehen?«
»Ganz einfach, so, wie ich es gefragt habe. Hannover und Ögela, die Entfernung ist nicht gerade ein Katzensprung. Hast du vor, hier alles aufzugeben, auch deinen Beruf?«
»Wie kommst du denn auf den Unsinn, dass ich meinen Beruf aufgeben könnte? Nein, darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich will ja auch nicht gleich heute oder morgen heiraten. Ich möchte erst noch diese Liebe zu Knut, die für mich etwas ganz Wunderschönes ist, erleben, ihn nur fühlen. An die Zukunft habe ich dabei noch nicht gedacht. Es wird sich alles noch finden. Reden wir von etwas anderem, bis ich dich für heute wieder allein lasse.«
Hanna erzählte Kay noch, dass sie den neunjährigen Tim in Svens Zimmer verlegen ließ, dann wurde es für sie auch langsam Zeit, sich für das Treffen mit Knut umzukleiden.
*
Kurz nach zwanzig Uhr verließ Hanna das Klinikgebäude und trat zu Knut, der schon auf sie wartete.
»Sollen wir wieder ein Stück hinausfahren, Liebes? Ich möchte erst mit dir zum Essen