So schön war die Insel. Bericht aus der West-Berliner Regierungszentrale. Walter Laufenberg

So schön war die Insel. Bericht aus der West-Berliner Regierungszentrale - Walter Laufenberg


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im Falle Vogel, Streisand und Co. weit über den Bereich der Nasenflügel hinausgegangen ist, überhaupt nicht mehr zu halten in seinem Explorationsdrang, hat es der Nase einen Doppelhutzel aufgesetzt, der im Profil vielleicht ein wenig drollig wirkt und an eine Kartoffelnase erinnert. Von vorn gesehen jedoch ein seltsamschönes Gesicht, weil es das Siegeszeichen triumphierend auf der Nasenstumpfe trägt.

      Ganz deutlich: Vogel kann mit dieser Nase gut leben. Weniger gut mit seinem Abteilungsleiter Dr. Hecht, wie Orpheus schnell herausfindet. Der eine warnt ihn vor dem anderen, der ihn vor jenem. So weiß Orpheus gleich, zwischen welchen Stühlen er sitzt. Denn dieser Vogel, so erfährt er, war bisher für die Aufgabe zuständig, die jetzt seine sein soll: die Hebung des Images Berlins. Was dem Kollegen an Zuständigkeit verblieben ist, wird mit Koordinierung umschrieben und bleibt im übrigen unklar. Erst allmählich wird Dr. Orpheus Schmitt erfahren, daß der Begriff Koordinierung in diesen Kreisen stets für Entmachtung steht, aber auch, daß nicht jede Entmachtung voll gelingt, weil es bei den verschiedenen Tätigkeiten und Kontakten Erbhöfe gibt, an die mit Rücksicht auf Außenstehende nicht gerührt werden kann. Dr. Schmitts eigene Stellung erweist sich schnell als die eines Puffers zwischen den beiden so unterschiedlichen Nasen. Dabei hilft ihm wenig, daß er sich die wechselseitige Animosität der beiden erklären kann, auf seine Weise, nämlich damit, daß eine Doppelpultnase nun einmal keine Victorynase riechen kann – und umgekehrt.

      Orpheus muß sich daran gewöhnen, daß in seiner neuen Umgebung andere Kategorien gelten als in seinem früheren Dasein. Dr. Hecht gibt ihm mit einer abfälligen Bemerkung über Aufsteiger das Sesamöffne-dich zur Erkenntnis. Aufsteiger, versteht er, ist – den positiven Wortbestandteilen auf und steigen zum Trotz – ein negativer Begriff. Wenigstens wenn Dr. Hecht ihn benutzt. Und das mit recht. Wenn Orpheus sich in den geerbten Ordnern den Schriftverkehr ansieht, den Vogel geführt hat: da ist nicht ein einziger Brief, der in korrektem Deutsch abgefaßt wäre – von den Tippfehlern der Sekretärin ganz abgesehen. Alles immer dicht an der richtigen Ausdrucksweise vorbei, und das offensichtlich nicht einmal absichtlich, nicht aus werbetaktischer Raffinesse. Nein, einfach aus mangelnder Vertrautheit mit der Sprache. Vogel selbst trägt den Aufsteiger dagegen fast wie ein Adelsprädikat vor sich her. Der Unterschied liegt wohl in der Stellung innerhalb der Bildungspyramide, und damit in der Blickrichtung, folgert Orpheus: Von unten betrachtet wirkt der Aufsteiger groß, von oben betrachtet klein. Und weil Orpheus selbst oben steht, lautet sein Resümee: Der Aufsteiger ist das, was man früher als Emporkömmling oder Parvenü bezeichnete. Doch so geschickt, so werkeltagstauglich, solch eine Erkenntnis für sich zu behalten, ist er bereits.

      Dabei belustigt ihn, daß er immer mehr durchschaut und doch nichts daraus macht, daß er nicht mehr schreibt – außer gelegentlich Tagebuch. Jetzt bin ich ein geistiger Bodybuilder, den Kopf voller Muskelpakete und ohne eine Idee wozu. Aber wie sollte ich jetzt noch schreiben? Mit Fettstiften, mit Wurstfingern geldklimpernde Sätze auf Papier mit Goldrand werfen? Keine Chance mehr als Satiriker, ein Sattiriker jetzt, einer mit Doppeltee. Gute Zeiten sind nun mal schlechte Zeiten für die Dichtung.

      8.

      Die erste große Aufgabe, die Dr. Hecht seinem neuen Mitarbeiter überträgt, erscheint dem so schmeichelhaft wie schwierig. Als Nichtberliner sei er genau der richtige Mann, wird ihm Motivation serviert. Er solle eine Broschüre zusammenstellen über die vielfältigen Leistungen, die Berlin – natürlich Berlin (West) – für die Bundesrepublik Deutschland erbringt. Der Hintergrund sei, erklärt Dr. Hecht: „Etwa die Hälfte des Berliner Etats wird auf der Einnahmenseite mit Geldern der Bundesrepublik abgedeckt. Das sieht schlecht aus und führt immer wieder zu hämischen Bemerkungen von Politikern im übrigen Bundesgebiet über diese allmählich unerträglich werdende Last Berlin. Das geht bis zu so unsachlichen Bemerkungen wie, man sollte Berlin doch einfach den Polen überlassen.“

      Dem soll nun entgegengehalten werden, wieviel Berlin für den Bund tut. Da geht es selbstverständlich um das hohe Steueraufkommen, das die Berliner Wirtschaft erarbeitet; neben dem Pekuniären wären aber auch andere Werte zu berücksichtigen, etwa die Berliner Mode; da wären die rund achtzig wissenschaftlichen Institute Berlins zu benennen: Forschen für Deutschland; und es müßte auch in die Rechnung aufgenommen werden, daß Berlin die weitaus meisten Studenten hat: Bildungsarbeit für die anderen Bundesländer mit.

      Endlich eine richtige Aufgabe, bei der es darauf ankommt, schwierige Sachverhalte so auszudrücken, daß die Leser für Berlin eingenommen werden. Also los! Dr. Orpheus Schmitt geht mit Begeisterung ran, erarbeitet und nimmt auf und Stellung und benennt und bewertet und wägt ab und berücksichtigt auch, gibt zu Bedenken, stellt mit Befriedigung fest und setzt ins richtige Licht, resümiert – und macht daraus den Entwurf einer hübschen Broschüre. Plötzlich ist Berlin nicht mehr das arme Nehmerland, das Häme auf sich zieht, sondern ein tüchtiges Geberland, auf das man stolz sein kann. Hoch klingt das Lied vom braven Berlin. Alles mit Zahlen belegt, hieb- und stichfest. Damit wären die Kritiker erledigt, kann er sich sagen. Es geht halt immer nur um die Darstellung. Orpheus ist mit Recht stolz auf sein Werk. Doch leider kommt diese Wunderwaffe nie zum Einsatz. Das Opus wird nicht gedruckt. Die Spitze des Hauses, so hört Orpheus, habe Bedenken, ob eine so positive Darstellung der Leistungskraft Berlins, selbst wenn sie noch so richtig ist, nicht dazu führen könnte, daß die Bundeshilfe gekürzt wird.

      Nun ja, das sei so was wie höhere Gewalt; sie ändere nichts an der Leistung, die er erbracht habe, redet Dr. Hecht ihm gut zu. Von solchen Rückschlägen dürfe er sich nicht beeindruckt zeigen, sich nur nicht zu schnell mundtot machen lassen. Werde ich auch nicht, nimmt Orpheus sich fest vor. Und nimmt das Nein zu seiner Berlin-Broschüre schweigend hin und schreibt in sein Tagebuch: Berlin prahlt damit, die größte Industriestadt zwischen Moskau und Paris zu sein, vergleicht sich in der Kunst mit New York und serviert seinen Gästen Schnitzel Wiener Art. Das kommt immer gut an. Berlin ist halt eine Weltstadt. Berlin ist aber auch eine Art Troja, in dem der schnelle Hektor nur noch ein Hund ist, die unkende Cassandra ein Raubdruck. Die schöne Helena ist zur Birne Hélène veredelt und Paris, der Genießer, zum Pariser. Die Belagerer aber, draußen vor der Mauer, werden unter ihrem König Agamemnon, einer mittleren Konfektionsgröße, je mehr Dekaden ins Land ziehen, um so deutlicher sichtbar zu Nachbarn, die zornig an ihrer Achillesferse massieren und ihr trojanisches Pferd verzweifelt mit Bayer-Basileum behandeln – gegen Holzwurmfraß.

      Schon sehr bald beginnt Dr. Schmitt mit Doppeltee, Eigeninitiative zu entfalten, wie man das in seiner neuen Umgebung nennt, was man von ihm erwartet. Er bietet dafür ja die denkbar beste Voraussetzung: Seine Begeisterung für Berlin ist echt. So findet er bei seinen Bemühungen, die Stadt als großartig, einmalig und unvergleichlich herauszustellen, schnell die richtigen Argumente. Richtiger gesagt: die aufregendsten. Aufregung erregt er zum Beispiel mit seiner Anregung, Berlin als frühe Seemacht zu feiern. Darauf haben ihn eine U-Bahn-Station und eine Dampferfahrt auf dem Wannsee gebracht. Hat doch der Große Kurfürst schon vor gut dreihundert Jahren nach seinem Sieg über die Schweden bei Fehrbellin seinen langgehegten Plan verwirklicht und eine Kriegsflotte gebaut. Orpheus liest es mit Staunen und Hochachtung: Die kurbrandenburgische Kriegsmarine war ein Ruhmesblatt für die Stadt, deren Stern- und Kreisschiffahrt nun nur noch sehr begrenzt hin und her fahren kann, weil die größten Gewässer und dazu alle Schleusen in DDR-Hand sind. Aus diesem Ruhmesblatt müssen wir was machen. Man darf sich nicht einfach ausruhen auf seinem Ruhm.

      Wieder diese Enttäuschung. Der Senatssprecher, also der Chef seines Chefs Dr. Hecht, hat abgewinkt. Abgewunken hat Dr. Hecht zwar gesagt, aber Orpheus hat verstanden, was er meinte. „Aber warum nicht einmal ein Marinestück? Berlin ist doch eine Insel.“ Dr. Hecht ohne jedes Verständnis: „Eben deshalb.“ Erst nach längerem Bohren erfährt Orpheus, warum seine Idee nicht gefallen hat: „Eine Kriegsmarine paßt nicht ins Bild des heutigen Berlin, nachdem wir mit Mühe und Not die schimmernde Wehr von Kaiser Wilhelm Zwo und den U-Boot-Krieg des Dritten Reiches aus der Erinnerung verdrängt haben.“

      Dr. Schmitt muß bei aller Enttäuschung doch das überlegene Geschichtsbewußtsein bewundern, das hinter solcher Strategiestrenge steht, und denkt neu los. Natürlich reizt es ihn nun, sich gerade auf diesem Gebiet der Berlin-Historie auszuzeichnen. So schlägt er vor, das dreihundertjährige Jubiläum eines Ereignissen zu feiern, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten sei: 1683 wurde Groß-Friedrichsburg


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