Interlaken. Silvia Götschi
gefolgt sein.» Max machte Notizen auf seinem iPhone. «Wang Yuyun und Tong Shenmi.» Er wandte sich an Fede. «Ihre Pässe sind auf diese Namen ausgestellt.» Er flüsterte Fede zu. «Logisch, waren die Frauen auf dem Touristenbüro nicht bekannt, wenn man sie unter Xìngshì sucht. Ich verstehe nicht, warum die Auftraggeber uns diesen Aspekt verschwiegen haben.»
«Sie haben von Anfang an nicht mit offenen Karten gespielt.» Fede verdrehte die Augen, dass nur Max es sehen konnte. «Haben die Brüder Xìngshì nicht gesagt, die Muttersprache ihrer Frauen sei Kantonesisch?» Sie spitzte ihren Mund. «Kantonesisch wird im südlichen China gesprochen. Okay, lassen wir uns deswegen nicht verrückt machen. Finden wir heraus, wo die Frauen die Nächte vom Sonntag bis heute verbracht haben. Gehen wir noch einmal zum Tourist Office, gemeinsam.»
Max händigte Daria seine Visitenkarte aus. «Sollte Ihnen noch etwas einfallen, erreichen Sie mich jederzeit unter meiner Handynummer.»
Draussen wehte ein trockener Wind, der den Geruch nach gebratener Wurst über die Strasse trieb. Max verspürte zum ersten Mal Hunger. Er hatte das Frühstück auf dem Campingplatz kaum angerührt, obwohl Fede sich in ihren Kochkünsten übertroffen hatte. In die Omelette hatte sie Champignons gemischt, etwas, das Max auf Teufel komm raus nicht ausstehen konnte. Er sehnte sich nach einem Stück Fleisch.
Fede war früh auf gewesen, hatte wohl nach Levi Bromberg geforscht. Erste Informationen hatte sie kurz angetönt. Es war an der Zeit, dass Max mehr über ihn erfuhr, vor allem aus dem Grund, weil Milagros mit ihm zu tun hatte.
«Wollen wir uns eine Bratwurst holen? Dort drüben ist ein Stand.»
«Ich esse keine Würste.» Fede schlenderte fröhlich drauflos. «Aber etwas zu trinken wäre nicht schlecht.»
«In Engelberg hast du auch Würste gegessen.»
«Das ist lange her. Ich bin Vegetarierin mit fleischlichen Gelüsten.»
«Sporadisch, gerade so, wie es dir in den Kram passt.» Max konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mittlerweile hatte er sich an Fedes unmögliche Essgewohnheiten gewöhnt. Sie ass, wenn sie Hunger hatte, auch nachts. «Was hast du über Bromberg herausgefunden?»
Sie überquerten die Bahnhofstrasse, stellten sich in die Schlange wartender Touristen vor dem Essstand.
«Sagt dir der Name ‹Libertatem› etwas?»
«Ich habe davon gehört, weiss aber nicht, in welchem Zusammenhang.»
«Das sind eine Art Freimaurer. Es ist ein international tätiger Orden auf humanitärer Basis. Sie sind den Menschenrechten und dem Frieden verpflichtet. Ein Geheimbund, in dem nur Männer Mitglieder sein können. Sie bezeichnen sich politisch und konfessionell als neutral.»
Max hatte den Verkaufstresen erreicht und bestellte sich eine Bratwurst mit Brot. «Und zwei Apfelschorlen», sagte er, die Frage des Verkäufers beantwortend.
«Levi Bromberg ist Mitglied.»
«Steht das auf der Website?»
«Natürlich nicht.» Fede schenkte Max ein verschmitztes Lächeln. «Ich gelangte über Umwege auf die Mitgliederliste und fand heraus, dass er gebürtiger Amerikaner ist, der sich vor Jahren in Interlaken hat einbürgern lassen, lange bevor er im Palace Luzern als Küchenchef arbeitete. Er hat hier in Interlaken die Kochlehre gemacht. Seine Eltern stammen aus Deutschland, leben wahrscheinlich noch immer in den Staaten.»
«Du hast also wieder einmal einen Hackerangriff gestartet.» Max nahm Wurst, Brot und die Getränke entgegen, während sein Gegenüber ihn mit Glotzaugen anstarrte. «Da, halt mal, ich muss bezahlen.»
Fede nahm Speis und Trank in ihre Hände. «Das ist übertrieben.»
Max reichte dem Verkäufer zwei Zehnernoten. «Der Rest ist für Sie.» Sie entfernten sich vom Stand.
Fede reichte Max das Essen. «Allein in Interlaken sind dreiundzwanzig Mitglieder aufgelistet. Möglicherweise sind sie über das ganze Berner Oberland verteilt.»
«Sie sind harmlos, oder? Etwa so wie die Rotarier, die Lions oder die Odd Fellows, die hier in Interlaken sogar einen ganzen Häuserblock geerbt haben.»
«‹Libertatem Bern› ist bloss eine Untergruppe in einem internationalen Geflecht. Wie es scheint, ist jede Fraktion autonom, was Entscheidungen betrifft.»
«Und die sicher die Ärmsten in ihrem Einflussbereich unterstützt.» Max biss in die Wurst. Vom Kalb und braun gebraten. Er liebte es.
«Ja sicher.» Fede schnappte sich etwas vom Brot.
«Du vermutest etwas anderes, oder?»
«Dieser Bromberg scheint sehr einflussreich zu sein. Ich werde herausfinden, wo er überall die Finger im Spiel hat.»
«Was hat dies mit unserer Aufgabe zu tun?»
«Ich suche nach Verbindungen, das wolltest du doch auch.»
«Zu Shenmi und Yuyun?»
«Zu den Chinesen.»
Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinanderher. Max hatte zwar die Ermittlungen in Richtung Bromberg angezettelt, dennoch vermochte er nicht, sich einen Reim darauf zu machen, weshalb Fede von ihm plötzlich so besessen war. Er hatte einen Bissen verzehrt, als sie fortfuhr: «Erinnerst du dich an die Überbauung am Brienzersee?»
«Ich habe, ehrlich gesagt, nicht so sehr darauf geachtet.»
«Egal, die Häuser werden über die Bromberg-Immo AG verkauft. Möglicherweise stecken auch die Xìngshìs mit drin. Ich werde es herausfinden.»
Max stoppte den Schritt, wandte sich frontal ihr zu. «Wir suchen zwei vermisste Frauen. Ihre Männer wenden sich an Bromberg.»
«Genau, sie würden es nicht tun, wenn er ihnen fremd wäre.»
Das Tourismusbüro von Interlaken lag in der Nähe des Centralplatzes. Es war kurz vor dem Mittag, als Max und Fede die Tür zum Büro öffneten. Eine Frau kam ihnen entgegen und fächerte mit einem Journal Luft in ihr rotes Gesicht. Sie wies darauf hin, dass das Office zwischen zwölf und zwei geschlossen sei.
«Wir beanspruchen bloss fünf Minuten», sagte Fede in einer Art, welche der Frau ein Lächeln entlockte.
Schweissperlen rannen über ihre Stirn. «Sie waren gestern schon einmal da.»
«Sie haben ein gutes Gedächtnis, trotz all der Leute, die Sie täglich zu sehen bekommen.»
Die Frau fühlte sich offensichtlich geschmeichelt. «Was also kann ich noch für Sie tun?»
«Wir suchen nach zwei Chinesinnen.»
«Da kann ich Ihnen beim besten Willen nicht weiterhelfen. Seit gestern hat sich nichts geändert.» Die Frau blieb in der Nähe der Tür stehen.
«Wir haben jetzt ihre richtigen Namen. Es handelt sich um Shenmi Tong und Yuyun Wang. Sie müssen hier in einem Hotel in Interlaken logieren oder zumindest ein oder zwei Nächte übernachtet haben.»
Widerwillig kehrte die Frau zu ihrem Pult zurück. Sie setzte sich und starrte auf den Bildschirm ihres Rechners, den sie mit einem Klick aus dem Stand-by-Modus geweckt hatte. «Shenmi und … wie sagten Sie?»
Fede buchstabierte die Namen.
«Ja, da habe ich eine von ihnen … Wang Yuyun, ist für eine Nacht im Aparthotel Goldey registriert, für zwei Personen. Sie hat über Trivago gebucht.»
«Und wo befindet sich das Hotel?», fragte Fede.
«In Unterseen, direkt an der Aare.»
«Wann war das?», erkundigte sich Max.
«Was?» Die Frau sah verdattert auf.
«Von wann bis wann waren sie dort?»
«Vom 22. auf den 23. Juni.»
«Gibt es von gestern auf heute keinen Eintrag?»
«Es