Der Fußball-Lehrer. Malte Oberschelp

Der Fußball-Lehrer - Malte Oberschelp


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Kaiser Wilhelm I. stattfand.

      Das war nur der Anfang. „Weit reger ist die allgemeine Teilnahme, weit lebendiger der Eifer, nicht bloß der Mitspielenden, sondern auch der Zuschauer bei den Wettspielen, wenn dieselben aus dem engern Kreise der einzelnen Schule hinaustreten, wenn sich Schüler verschiedener Schulen im Wettkampfe messen“, erklärte Koch 1886 vor dem Nordwestdeutschen Turnlehrer-Verein.14 Denn die Entwicklung am Martino-Katharineum war in Braunschweig nicht unbeobachtet geblieben. Dass am Vorzeige-Gymnasium im Sommer Cricket und im Winter Fußball gespielt wurde, sorgte für Aufsehen.

      Anfang der 1880er Jahre folgten die Oberrealschule und die Günther’sche Privatschule dem Beispiel und führten den Fußball ein. Später kam das Neue Gymnasium hinzu, das zur Entlastung von Kochs Anstalt gegründet worden war. Zwischen allen Schulen entwickelte sich ein reger Spielverkehr. „Da sind es nicht künstlich gebildete oder zufällig sich zusammenfindende Parteien, die einander entgegentreten, sondern ein inneres Band hält sie zusammen und ein Gefühl erfüllt sie“, schrieb Koch, „es gilt ihnen nicht so sehr sich persönlich hervorzuthun, als für die Ehre ihrer Schule das Beste zu leisten.“15 Koch wusste sehr gut, dass solche Wettspiele die perfekte Werbung für die englischen Spiele waren.

      Das wirkte sich auch außerhalb der Schulen aus: Sobald der Fußball einmal Fuß gefasst hatte, zog er immer mehr Menschen an. „Auch die sonstige Jugend der Stadt tritt oft den Ball und stellt sich, wo sie Platz findet, ihre Thore zum Cricket auf “, schrieb Koch 1882.16 Gemeinsam mit August Hermann hatte er die englischen Spiele in seiner Heimatstadt etabliert. Beide Pädagogen arbeiteten bereits daran, sie überregional zu verbreiten.

      Sie begannen damit auf der achten Deutschen Turnlehrerversammlung 1876 in Braunschweig. Hermann stellte dort folgende These vor: „Unser deutsches Turnen, so wie es sich bis jetzt gestaltet hat, genügt nicht, um die Leibesübungen zur Volkssitte zu erheben.“ Einfacher ausgedrückt: Turnen ist kein Volkssport geworden. Um dieses Ziel zu erreichen, hieß es im Antrag weiter, sei eine Kursänderung nötig. Nämlich die, „das Spiel als nothwendige Ergänzung des Turnens mehr auszubilden und mit der Jugend zu pflegen“.17 Dabei verwies Hermann etwa auf die seit Jahren sinkenden Mitgliedszahlen der Turnvereine. Dem entgegen stellte er die guten Erfahrungen, die er und Koch mit der Einführung der „echt importirten“ englischen Spiele Football und Cricket in Braunschweig gemacht hatten.18

      Hermanns und Kochs Öffentlichkeitsarbeit für die englischen Spiele ist vor dem Hintergrund einer Entwicklung zu sehen, die die Historikerin Christiane Eisenberg als „Krise des Turnbetriebs am Ende des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet hat.19 Der Verzicht auf Wettkämpfe und die Eintönigkeit der Turnübungen führten häufig zu Beschwerden und Vereinsaustritten. Noch dazu hatte es das Turnen nicht geschafft, die Mittelschicht für sich zu gewinnen. Stattdessen entdeckten die Angestellten und Kaufleute den Sport für sich. Koch und Hermann dagegen wollten den Turnbetrieb durch Fußball und Cricket modernisieren. Zumal Ballspiele zu Jahns Zeit ein wichtiger Bestandteil auf dem Turnplatz gewesen waren, sich seit dem Hallenturnen aber weitgehend aus dem Kanon der Übungen verabschiedet hatten.

      Gleichwohl gab es auf der Versammlung Kritik an Hermanns These. Der Direktor der Turnlehrerbildungsanstalt in Karlsruhe, Alfred Maul, sah darin „einen unverdienten Tadel“ des Turnens.20 Dazu wurden die Argumentationslinien sichtbar, die in den folgenden Jahren die Einführung des Fußballs begleiteten. Moritz Kloss, der Hermann als Turnlehrer ausgebildet hatte und die „Neuen Jahrbücher für die Turnkunst“ herausgab, befürwortete mehr Spiele aber es sollten deutsche Spiele sein. Auch Carl Euler, der Herausgeber von Jahns Werken, verwandte sich gegen das „Importiren“ von Spielen anderer Völker.

      Ihnen widersprach Friedrich Reck, der Initiator der Braunschweiger Fußballversuche. Er plädierte unter Verweis auf seine England-Aufenthalte dafür, „das Gute dort zu nehmen, wo wir es finden“ eine Formulierung, die sein Schwiegersohn Koch später oft benutzte. Reck sah im Turnen einen weiteren Schwachpunkt: Er gab zu bedenken, „die fröhliche Jugend nicht schon vor dem Eintritt in das Heer mit militärischer Uebung und Strenge zu drillen“.

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      Sie brachten den Ball ins Rollen: August Hermann (Zweiter von rechts) und Konrad Koch (rechts) bei den Braunschweiger Sedan-Festspielen, 1902.

      Tatsächlich war das Schulturnen, wie es Adolf Spieß entwickelt hatte, sehr streng organisiert. Jede Spontaneität der Schüler war ausgeschlossen. Spieß hatte den Kommandoton in den Turnhallen eingeführt, indem er die Schüler ohne Geräte in geordneten Formationen antreten und üben ließ. Für Kloss („Der Drill hat unsere Armee groß gemacht“) war und blieb dieses Turnen die Grundlage der deutschen Wehrfähigkeit. Er befürchtete, die englischen Spiele könnten den Gegnern des Schulturnens in die Hände spielen. Deshalb sprach er sich mit Bestimmtheit dafür aus, „das Schulturnen nicht in die Form des Spieles zu kleiden“. Obwohl der Fußball sich in den ersten Jahrzehnten seiner Entwicklung stark mit dem Militär verbandelte, sahen manche Kritiker in ihm offenbar die Gefahr der Verweichlichung.

      Nach wortreichen Änderungsvorschlägen ein Antrag, die Redezeit auf zehn Minuten zu begrenzen, wurde abgelehnt nahm die Turnlehrerversammlung schließlich eine von Otto Heinrich Jäger ins Spiel gebrachte Umformulierung von Hermanns These an. Sie lautete: „Um die Leibesübungen zugleich zur Volkssitte zu erheben, sollte die deutsche Turnschule 1) die Volkswettübungen, 2) das Spiel (zur Ergänzung des Turnens) mehr üben und pflegen“. Unter Volkswettübungen verstanden die Turnlehrer etwas, das man heute als Leichtathletik bezeichnen würde. Nun war das Spiel ausdrücklich als vernachlässigter Bestandteil der Leibesübungen definiert. Welche Spiele das sein sollten, blieb jedoch offen.

      Um den Kollegen aus ganz Deutschland eine Vorstellung zu geben, dass es sich dabei nicht bloß um Schlagball oder Bockspringen handeln musste, hatten Koch und Hermann am zweiten Tag der Versammlung eine Praxisvorführung organisiert. „Der frühe trübe Morgen rief die Theilnehmer auf den Spielplatz bei St. Leonhard, wo eine Schar Tertianer und Quartaner des Gymnasiums unter Leitung der Gymnasiallehrer Hermann und Dr. Koch Thor- und Fussballspiel vornahmen“, vermeldete der Berichterstatter der Turnlehrerversammlung. Lange konnten die Schüler des Martino-Katharineums aber nicht vorspielen:

      „Ein plötzlich herniederstürzender Regen machte leider der Spiellehre und Freude ein schnelles Ende.“

      Der letzte Satz galt auch im übertragenen Sinne. Die Turnlehrerversammlung 1876 führte nicht zum Durchbruch der englischen Spiele in den Turnverbänden. In Braunschweig machte die Eingliederung von Fußball und Cricket in den Schulbetrieb zwar weitere Fortschritte. Doch Koch erkannte, dass eine bloße Vorführung der Spiele nicht ausreichte. Er machte sich deshalb daran, die Vorteile der neuen englischen Spiele theoretisch zu begründen.

      In den folgenden Jahren veröffentlichte Koch in mehreren Turn-und Lehrerzeitschriften Aufsätze über die pädagogische Bedeutung der englischen Spiele. 1877 erschien in der Leipziger Fachzeitschrift „Pädagogisches Archiv“, einer Monatsschrift für Erziehung, Unterricht und Wissenschaft, eine größere Abhandlung über Fußball. Sie war in Deutschland die erste ihrer Art und trug den schlichten Titel „Fußball, das englische Winterspiel“.

      Auffällig ist, dass Koch auf die Kritik der Turnlehrerversammlung reagierte und behauptete, es ginge bei der Einführung des Spiels gar nicht um einen Import. Die deutsche Jugend, schrieb er, „wird mit dem Fußballe, wenn sie ihn erst nur erhält, schon auf ihre Weise umspringen und sich bald ein Spiel gestalten, das mit Vermeidung der Rohheiten mancher englischen Spielweisen die Eigenthümlichkeit deutscher Art zum Ausdruck bringt“.21 Zum anderen wurde der Fußball gegen das Unwesen des „Stubenhockerthums“22 sowie Alkohol in Stellung gebracht. „Sobald der Fußball eingeführt ward, wurden die Kneipen von ihren unbesonnenen Besuchern leer, alle lasterhaften Vergnügungen in jener Zeit wurden aufgegeben“, schrieb Koch.23 Selbstorganisierte Schülerverbindungen, die nach dem Vorbild der Studenten Saufgelage veranstalteten, waren damals ein großes Problem an den Schulen. Der Reiz des englischen Spiels, so hoffte Koch, werde sie davon abhalten können.

      Darüber hinaus bot „Fußball, das englische Winterspiel“ eine sehr


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