Die Jungfrauen Sammelband. Grace Goodwin
sie Kummer erlitt. Sollte ich sie jetzt zwingen mitzukommen, würde sie mir dann je verzeihen? Mir war nicht klar gewesen, wie nahe sie diesem Herrn Anderson stand. Ihrem Vater.
Auf Everis ging die Familie über alles. Ich wusste, wie sie sich fühlte, auch wenn ich es am liebsten geleugnet hätte.
“Na schön, Cassie. Aber wir gehen zusammen. Sobald er gewarnt wurde, verschwinden wir aus dieser Stadt und gehen zu meinem Schiff. Ich werde die Erde nicht mehr ohne dich verlassen.”
Sie stolperte aus meinen Armen heraus und drehte sich zu mir um. Ihre Augen blickten ungläubig. “Was hast du eben gesagt? Wie meinst du das, du wirst die Erde nicht ohne mich verlassen?”
Cassie
“Ich bin nicht von hier,” verkündete Maddox und legte seine großen Handflächen auf meine Schultern. Meine rechte Schulter wurde sofort heiß, zusammen mit dem Geburtsmal in meiner Handfläche.
“Natürlich nicht,” entgegnete ich leicht verunsichert. Ich sehnte mich zwar nach seiner Berührung, fühlte mich aber zugleich überwältigt und durcheinander. In seiner Gegenwart war es unheimlich schwer, einen kühlen Kopf zu bewahren, wenn er mich mit diesen hellen Augen ansah und so viel tiefer in mich hinein blickte, als irgendjemand zuvor.
Er sprach von Mördern und Partnern und Markierungen und davon, dass er mich nicht auf der Erde zurücklassen würde. Ich hatte etwas Angst vor ihm, auch wenn mein Gefühl mir sagte, dass er ungefährlich war. Ich war sogar auf ihn zugerannt und hatte mich an ihm festgehalten, nachdem dieser Typ—Neron—sich angenähert hatte.
Neron. Ein komischer Name für einen komischen Mann. Er war groß gewesen, genauso groß wie Maddox mit falkenhaften Gesichtszügen und einer langen, spitzen Nase. Seine Augen waren dunkel gewesen, unnatürlich dunkel, wie die Tinte in Herr Andersons Feder und fast ohne weißen Rand um die Pupille. Sein Haar aber war blass gewesen, stumpf, eher wie vergilbtes Papier als das sonnige Gold der Kinderschöpfe in der Kirche. Seine Kleidung hatte ganz normal ausgesehen, Hosen und Stiefel und ein braunes Baumwollhemd. Seine tiefe Stimme aber hatte mir einen Schauer über den Rücken gejagt und er hatte auf meine Hand gestarrt, als die Antworten zu allen Fragen des Universums in meiner Handfläche zu finden waren.
Oder wollte er mich beißen? In seinen Augen hatte ich etwas Raubtierhaftes gesehen; es war kein Verlangen gewesen, sondern etwas Dunkleres. Faszination? Erwartung? Obsession?
Ich war zu Maddox gerannt, denn ich wusste irgendwie, dass er mich beschützen würde. Jetzt aber … jetzt aber musste ich mich fragen, ob der Mann nicht verrückt war. Vielleicht waren wir ja beide verrückt. Er kam nicht von hier?
Es war, als ob Maddox meine Gedanken lesen konnte.
“Ich komme nicht aus Montana oder den Vereinigten Staaten. Von keinem Ort auf dieser Welt. Ich komme nicht von der Erde. Ich komme von einem Planeten namens Everis.”
Sein Gesicht war nah, so nah, dass ich die dunklen Stoppeln an seinen Wangen sehen konnte, die kleine silberne Narbe an seiner rechten Augenbraue, die dunkleren blauen Sprenkel in seinen Augen. Ich musste lachen.
Ich hielt mir die Hand vor den Mund und wollte es ersticken, konnte es aber nicht. Er machte großen Augen, denn mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet. Aber wie sollte ich sonst reagieren? Er sagte, dass er von einem anderen Planeten kam. Er war tatsächlich verrückt. Und einen Moment lang brach dieser Gedanke mir das Herz.
Der erste Mann, den ich wahrhaftig begehrt hatte, der erste Mann, dem ich gestattet hatte, mich zu berühren und er hatte sich als ein Verrückter herausgestellt. Gott, das war mal wieder typisch, oder? Als ob eine Waise und eine Witwe zu sein nicht schon ausreichte. Jetzt hatte ich mich auch noch von einem Verrückten verführen lassen.
Aber mit den Berührungen, den Küssen oder—sonstigem war jetzt Schluss.
Tränen stiegen mir in die Augen, als ich zwei Schritte zurückging und meine Hände vor mich hielt. “Maddox, ich gehe einfach in die Pension zurück und mache mich an die Arbeit. Ich werde vergessen, dass wir dieses Gespräch geführt haben. Dass du denkst, dass du von … woanders herkommst.”
“Ich sage die Wahrheit,” entgegnete er.
Die Beteuerung ließ mich unbeeindruckt. “Na schön. Nehmen wir an, ich glaube dir. Wie kommt es, dass du Englisch sprichst? Ich habe zwar noch nie diese Gegend verlassen, aber Leute aus anderen Ländern sprechen auch andere Sprachen. Du kannst mir nicht weismachen, dass die Leute auf … auf—”
“Everis,” fügte er für mich hinzu.
“—Everis Englisch sprechen.”
Er schüttelte den Kopf, dann drehte er den Kopf und deutete auf einen kleinen Knopf, er war nicht größer als ein Marienkäfer, hinter seinem Ohr. Er drückte einmal drauf und eine seltsame, mir unbekannte Sprache ertönte zwischen uns. Er tippte erneut auf den Knopf und ich hörte Französisch, eine Sprache, die ich von einigen Fallenstellern und Bergarbeitern, die durch die Stadt kamen, kannte. Noch ein Tippen und es wurde wieder still und er senkte die Hand und blickte mir in die Augen. “Das ist ein Osteo-Kommunikationsimplantat. Wir nennen es O-C. Der Rest der Flotte benutzt eine neuere Technik, die neurale Prozessionseinheit, aber auf Everis passen wir uns nur langsam an. Wir sind eine uralte Rasse mit noch älteren Bräuchen und wir mögen keine Veränderungen.”
“Was ist das? Ich verstehe nicht.” Ich hob meine Hand an sein Ohr und zog sie wieder zurück. Wollte ich das Ding anfassen? Ihn anfassen? Nein.
“Es ist ein Übersetzungsgerät, das mir erlaubt, mit allen bekannten Spezies im Universum zu kommunizieren. Damit kann ich alle bekannten Sprachen der Erde und aller Mitgliedsplaneten verstehen und sprechen.”
Ein Übersetzer? Er konnte Englisch und jede andere Sprache der Erde sprechen? Jede Sprache des Universums? Ich biss mir auf die Lippe, damit ich nicht wieder zu lachen anfing. “Was du da sagst, ist völlig lächerlich. Ich bin nicht sicher, ob du einfach nur grausam bist oder es tatsächlich glaubst.” Ich deutete zum Himmel, der jetzt ziemlich hell war. “So oder so … ich muss los. Herr Anderson wundert sich bestimmt schon, wo ich bleibe. Ich muss Kaffee kochen und die Biskuits backen.”
Ich machte auf den Hacken kehrt und marschierte davon. Ich traute mich nicht, zu rennen, denn dann würde er wissen, dass ich ihm nicht nur kein Wort glaubte, sondern dass ich außerdem Angst vor ihm hatte.
Ich war auf der leichten Anhöhe der Prärie angekommen, als er mir nachrief: “Die Markierung an deiner Hand, Cassie.”
Ich rieb mit den Fingern über die Stelle, die sogar jetzt noch kribbelte und hielt an, drehte mich aber nicht um.
“Es ist ein Paarungsmal. Als ich hierhergekommen bin, in deine Nähe, ist es aufgewacht.”
Davon wollte ich nichts hören und lief weiter. Ich wollte nicht einmal daran denken, dass er die Wahrheit sagen könnte.
“Fünf Tage,” brüllte er. “Vier Träume.”
Bilder der lebhaften Träume kamen mir in den Sinn.
“Ich habe sie auch. Diese Träume, die Markierung in meiner Handfläche. Ich weiß, dass du auf der rechten Hüfte ein kleines Muttermal hast. Am linken Ellbogen hast du eine kleine Narbe. Ich weiß, wie du dich anhörst, wenn du kreuz und quer auf meinem Schwanz kommst.”
Seine intimen Kenntnisse über mich ließen mich aufschrecken. Meine Haut heizte sich auf, denn es stimmte, was er da sagte. Ich wusste, wie sich sein Schwanz anfühlte.
“Du kannst versuchen vor der Wahrheit davonzurennen, aber die Träume werden nicht lockerlassen. Und ich genauso wenig.”
Darauf schlug ich die Flucht ein. Ich packte den Saum meines Kleides und rannte über den Hügel. Ich hielt erst an, als ich die Hintertür erreichte. Mir war klar, dass er mir folgte und so sehr ich mich auch dafür hasste, verlangsamte ich mein Tempo, damit ich nicht alleine nach Hause zurückkehrte. Maddox’ verrückte Worte hatten