Auf dem Weg durch die Zeit. Detleff Jones

Auf dem Weg durch die Zeit - Detleff Jones


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der oberen Etagen statt, wo der Kunsthändlerverband seine Jahresversammlung abhielt. Nach einer geraumen Wartezeit wurden wir vorgelassen. Heubel stellte mich als seinen „Sachbearbeiter für Kunsthändlerfragen“ vor – wobei ich erst auf der Fahrt zur Messe von ihm erfahren hatte, worum es eigentlich gehen sollte. Ich fühlte mich ziemlich fehl am Platz, und meine größte Furcht war, irgendwelche Fragen gestellt zu bekommen und dann bar jeder Ahnung zu sein. Doch diese Furcht sollte unbegründet sein, denn Heubel schaffte es, sich ganz alleine um alle Chancen zu bringen! Er hielt erst einen Vortrag, in dem er Martin Luther King zitierte … „ich hatte einen Traum….“ Die anwesenden Kunsthändler sahen sich verwundert an. Und als sein Vortrag immer ausschweifender zu werden drohte, schnitt ihm der Vorsitzende das Wort ab und meinte „so, das reicht jetzt, Herr Heubel, wir haben genug gehört. Was sagen sie denn zu dem Fall Attendorn?“ Jetzt hatte es meinem Chef offenbar die Sprache verschlagen, denn er stammelte irgendetwas von Missverständnissen, die ohne weiteres ausgeräumt werden könnten. Doch dann ging alles ziemlich schnell. Es wurde mit Handzeichen abgestimmt, und der Antrag auf Aufnahme in den Verband wurde einstimmig abgelehnt. Wie begossene Pudel schlichen wir uns hinaus. Ich wagte Heubel nicht zu fragen, was es mit dem „Fall Attendorn“ auf sich gehabt habe, erfuhr aber später von dritter Seite, dass ein Mann namens Attendorn eine sehr teure Statue von Heubel gekauft hatte, die später von einem französischen Spezialisten als Fälschung identifiziert worden war. Attendorn hatte daraufhin den Kunsthändlerverband hierüber informiert, da Heubel ihm gesagt habe, er sei Mitglied in diesem Verband – offenbar, um mehr Seriosität auszustrahlen. Wie Heubel nach diesem Vorkommnis noch den Nerv besaß, sich um eine offizielle Aufnahme in eben diesen Verband zu bemühen, blieb mir immer schleierhaft.

      In den folgenden Wochen ging es dann an die Vorbereitung einer ersten Auktion. Es sollte um antike Waffen gehen – ein Spezialgebiet, das sich Anfang der 1970er Jahre bei Sammlern immer größerer Beliebtheit erfreute. Mit der fachlichen Unterstützung von Heubels Vater, einem „Fachanwalt für Steuerrecht“, formulierte ich die gesetzlichen Versteigerungsbedingungen – ein unheimlich aufwendiger, mir völlig fremder und nicht zuletzt sehr trockener Verwaltungsakt. Es ging letztlich darum, in Worte zu fassen, was das Gesetz verlangte und dabei nicht genau das Gleiche hineinzuschreiben wie andere Versteigerungshäuser, also musste ich eigene Formulierungen verwenden. Ich hasste diese Termine im Haus des Anwalts, zudem war dieser ein sehr schneidender und uncharmanter Herr. Fremden stellte er sich stets als „ich bin der Doktor Heubel“ vor, und er bestand auch immer darauf, mit seinem Titel angesprochen zu werden. Wir saßen uns dann in seiner dunklen, mit mächtigen Gründerzeitmöbeln ausgestatteten und nach abgestandener Luft und kaltem Zigarrenrauch riechenden Kanzlei stundenlang gegenüber – er musste immer das letzte Wort haben – und rangen um Formulierungen. Das heißt, sobald ich etwas halbwegs flüssig hingeschrieben hatte, wollte er alles wieder ändern. Aber irgendwann war das Werk vollendet – und man könnte es übrigens noch heute anwenden, denn es war sozusagen wasserdicht.

      Während der folgenden Wochen trafen dann immer mehr alte Waffen ein: Nürnberger Radschlossflinten aus dem 16. Jahrhundert, Steinschloss- und Perkussionswaffen, Rapiere, Degen, Schwerter und Säbel, mittelalterliche Rüstungen sowie ein sehr bedeutendes Paar Dresdner Radschlosspistolen. Nun mussten all diese Objekte katalogisiert werden, und dafür war nun ich verantwortlich. Ich kannte mich damals recht gut mit diesen Dingen aus, aber bei Blankwaffen etwa (alles, was eine Klinge hat), zog ich externe Experten hinzu. Mit meinen Beratern saß ich oft nächtelang über diesen Waffen, wir stöberten in der Fachliteratur, und ich formulierte nach und nach die Beschreibungen auf einem mobilen Diktiergerät. Dieses Medium wurde mit Folien bestückt, die eine Sekretärin am nächsten Tag abhörte und dann das Diktierte zu Papier brachte. Ich kann sagen, dass ich mir in diesen Sitzungen ein enormes Fachwissen aneignete. Noch Jahre später wurde ich von Sammlern aus dem In- und Ausland immer wieder um Rat gebeten. In den folgenden Jahren führten wir so eine Vielzahl an Auktionen durch, die meisten ziemlich erfolgreich. Doch zurück zur ersten Auktion: Fast alle Waffen kamen aus den USA. Dort gab es (und gibt es noch immer!) einen sehr aktiven Sammlermarkt, und an bestimmten Wochenenden fanden sogenannte Gun Shows statt, auf denen Heubel ständiger Gast war.

      Zu dieser Zeit war das Waffengesetz in Deutschland noch sehr locker, und unter den Begriff „Sammlerwaffen“ fielen auch Waffen, für die heute zumindest eine Waffenbesitzkarte erforderlich wäre, wenn nicht gar ein Waffenschein. Und den zu bekommen, ist ja hierzulande – zum Glück! – beinahe ausgeschlossen.

      Wenn Heubel von einer Einkaufsreise in die USA zurückkam, folgte ihm wenige Tage später immer eine Luftfrachtsendung von mehreren langen und sehr schweren Waffenkoffern. In ihnen steckten Winchester Gewehre, Revolver, Pistolen, Blankwaffen – alles, was das Sammlerherz begehrte, und all dies landete normalerweise in den Vitrinen der Firma, um dann an Sammler verkauft zu werden. Doch diesmal wurden die Waffen im Büro ausgelegt – der Boden war komplett bedeckt, so dass man sich im Büro kaum noch bewegen konnte. Stück für Stück bekam dann in meinen nächtlichen Sitzungen (ich arbeitete an den Katalogbeschreibungen fast ausschließlich nachts, weil ich nur dann Ruhe hatte und nicht abgelenkt wurde) seine Nummer, wurde beschrieben und ging dann wieder zurück in einen der Koffer. Zur Auktion fanden sich auch einige Amerikaner ein – die Besitzer der teuersten und wertvollsten Stücke, die Heubel mit der Aussicht auf einen hohen Erlös bei seiner Auktion geködert hatte. Denn eines war klar – er verfügte zwar immer über einige Mengen an Bargeld – diese Waffen jedoch, vor allem die Radschlosswaffen aus dem 16. Jahrhundert – hätten sein Budget auf jeden Fall überfordert. Es kamen also ein amerikanischer Gebrauchtwagenhändler aus Florida, Marke Mafiosi: weißer Anzug, schwarz-weiße Lackschuhe und Gucci Sonnenbrille, Goldketten am Handgelenk und um den Hals. Aber Eric war ein sehr zuvorkommender und freundlicher Mensch, und er war innerhalb weniger Tage zu sagenhaftem Reichtum gekommen, als nämlich der Goldpreis stark angestiegen war und er ohne eigenes Zutun vom wohlhabenden Mann zum Millionär geworden war. Oder Fred – ebenfalls ein sehr netter Mensch von etwa 60 Jahren, aber entsetzlich schusselig. Fred war früher beim Geheimdienst tätig gewesen – vielleicht aber auch nur im diplomatischen Dienst – vielleicht war es ja auch das Gleiche! Die Asche seiner Zigarette – man sah ihn eigentlich nie ohne Zigarette – verteilte er überall. Und wenn er ein Glas mit einem Drink in der Hand hatte, hielt ihn das keineswegs davon ab, beim Sprechen auch die Hand mit dem Glas zu bewegen, so dass er regelmäßig eine Spur der Verwüstung hinter sich herzog! Von Fred habe ich übrigens meinen Spitznamen – er nannte mich immer „Jonesey“ – und so werde ich noch heute von meiner Frau genannt.

      Diese beiden Amis kamen also kurz vor dem Auktionstermin in Köln an. Ich hatte die Ehre, sie am Flughafen abzuholen. Für solche Anlässe durfte ich auch Heubels Rolls Royce fahren – einen älteren Silver Shadow, von dem noch zu erzählen sein wird. Das Auto trug allerdings eher zur halbseidenen Reputation Heubels bei, denn wenn ein Kunde bei uns einkaufte und mitbekam, wem der Schlitten im Hof gehörte, konnte er sich in der Regel sicher sein, zu viel bezahlt zu haben!

      Meinem Katalog lag eine Liste mit den Schätzpreisen bei. Diese waren von Heubel persönlich festgesetzt worden, und die Preise waren ziemlich willkürlich angesetzt – und in fast allen Fällen deutlich zu hoch. Doch bei Auktionen gelten ohnehin andere „Gesetze“ – die angegebenen Preise bedeuteten lediglich Richtwerte, und wenn man etwas für deutlich weniger ersteigerte, was in diesem Fall vielleicht immer noch zu teuer gewesen wäre, sollte dem Kunden zumindest das Gefühl vermittelt werden, ein Schnäppchen gemacht zu haben, obwohl der normale Marktwert in aller Regel noch wesentlich unter dem Zuschlagpreis bei der Auktion lag. Die Presse berichtete groß im Vorfeld, und auch während der Auktion waren Fernsehkameras dabei – es war ein echtes Highlight in der Antiquitätenszene, und wir waren mittendrin!

      Bis zu dieser Auktion hatte ich ja noch nie eine Versteigerung live und dann auch noch hinter den Kulissen miterlebt. Diese hier hatte ich zwar vorbereitet und in zahllosen Stunden organisiert, ich hatte die Presse eingeladen, die Räume im Intercontinental Hotel an der St. Apern Straße angemietet – praktisch alle Vorbereitungen waren komplett und ausschließlich über mich gelaufen. Und doch musste ich einsehen, dass ich nur ein kleines Rad in Heubels Getriebe war – zumindest aus seiner Sicht. Aber das machte mir nichts aus – ich liebte den Job, und es blieb für alle, die Heubel im Laufe der Jahre um sich scharte, immer ein gefühltes Privileg, für ihn bis zur Selbstaufgabe arbeiten


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