Auf dem Weg durch die Zeit. Detleff Jones

Auf dem Weg durch die Zeit - Detleff Jones


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kommst…“). Dort war ich aber auch nur einer von vielen – und die hatten fast alle ähnliche Anfangsprobleme mit dem Drill und dem strammen Ton, der dort herrschte. Doch auch, wenn man vieles in der Vergangenheit Erlebte oft und gern idealisiert und in der Erinnerung schöner färbt, als es in Wirklichkeit war („damals war alles besser!“), behaupte ich doch, dass die 3 Monate der Grundausbildung zu den wichtigsten in meinem Leben gehören und auch zu denen, an die ich heute sehr gerne zurückdenke. Denn ich erlebte dort etwas, das ich bis dahin noch nie gekannt hatte: Kameradschaft – etwas anderes als Freundschaft. Man stand füreinander ein – unabhängig davon, ob man sich kannte oder gar mochte, trotz eigentlich unüberbrückbarer Unterschiede, was Bildung und Ausbildung sowie Intellekt anging, und man erlebte eine Gemeinsamkeit, aus der eine große Stärke wuchs. Ich weiß nicht, ob dies ein beabsichtigtes Element in der Ausbildung von Soldaten ist (ich kann es nur hoffen!), aber es stellt sich ganz einfach ein, wenn man eine Gruppe von jungen Männern einem gewissen Druck aussetzt, in dem sie sich zu behaupten lernen, in dem sie auch lernen, miteinander umzugehen und sich bei Laune zu halten. Ich wohnte in einer „Stube“ mit drei „Kameraden“ – alle vier entstammten wir aus völlig unterschiedlichen sozialen und intellektuellen Verhältnissen, aber gerade diese Verschiedenheit erforderte einerseits eine hohe Toleranz und andererseits ein Aufeinander - Zugehen. Ich war ja eigentlich ein verwöhntes Einzelkind – war meine Schwester doch fast 4 Jahre älter als ich. Verwöhnt von Mutter und Oma – bei jedem Wehwehchen war jemand dagewesen, der mich als Kind getröstet hatte, und die meisten Konfrontationen waren von mir ferngehalten worden. Doch hier in Goslar musste ich sehen, wie ich zurecht kam – hier war ich auf mich selbst gestellt – und das zum ersten Mal überhaupt, aber in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.

      Gleich zu Beginn meiner Grundausbildung wurden Soldaten gesucht, die ein Instrument spielen konnten. Nach einigem Zögern (jemand anderes war doch sicherlich viel besser als ich) und nachdem sich niemand sonst gemeldet hatte, meldete ich mich, und ruckzuck wurde ich Mitglied einer Band. Wir nannten uns „Hot Dogs“, hielten regelmäßige Übungsabende im Keller ab und spielten die Hits der 60er rauf und runter. Es gab einen Gitarristen, einen Bassisten, einen Schlagzeuger, einen Sänger und mich an einer Philips Heimorgel – einem winzigen Keyboard. Wenn mich meine Mitspieler fragten, ob ich einen bestimmten Titel kenne - etwa „kennste ‚Venus‘?“ musste ich immer verneinen. Denn ich kannte so gut wie kein Lied mit seinem Titel. Wenn ich es allerdings hörte, wusste ich gleich, was gespielt werden sollte. Alle hatten ihre Noten – außer mir; ich spielte alles nach Gehör – Noten hätte ich damals schon gar nicht mehr lesen können!

      Kurz vor Weihnachten spielten wir dann auf mehreren Kompaniefesten und –bällen. Wir hatten auch ein Lied drauf, das ich komponiert hatte: „Herbstwind“; der Text war von Ralf Siegel senior, dem Vater des „Schlager – Siegel“. Der Text hatte es mir angetan, und so hatte ich eine Melodie dazu geschrieben. Dies war wohl das erste Lied aus meiner Feder, das öffentlich aufgeführt wurde.

      Und dann hatten wir nach einem unserer Auftritte in der Vorweihnachtszeit ein kleines Erlebnis, das mir und auch den anderen Musikern eine Gänsehaut bereitete. Es lag tiefer Schnee, und wir kamen sehr spät zurück in die Kaserne, hatten unsere Instrumente noch im Übungskeller verstaut und trafen uns dann auf ein letztes gemeinsames Bier im Lichthof am Ende des Flures, übrigens genau dem Lichthof, von dem aus ich wenige Wochen zuvor einem Unteroffizier noch meinen Namen hatte zubrüllen müssen! Dort hing ein großer Adventskranz. Wir entzündeten seine Kerzen, und irgendwann fing einer von uns an, „Stille Nacht“ zu singen. Die anderen vier fielen gleich ein, und so standen wir da im Schein der vier Kerzen, eine Flasche Bier in der Hand und sangen à capella fünfstimmig Weihnachtslieder (die wir im Übrigen nie geübt hatten!). Nach kurzer Zeit ging eine Tür nach der anderen auf, und unsere Kameraden standen in Schlafanzügen auf dem langen Flur und forderten Zugaben. Und ich sah bei vielen Tränen der Rührung. Ich bekomme noch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, eine Gänsehaut, wenn ich an diese Momente denke.

      Zum Jahresende erfolgte meine Versetzung nach Köln an den Flughafen Wahn, wo ich den Rest meiner Wehrzeit ableisten sollte. Und wieder hatte ich großes Glück – normalerweise kam man, das hatte man mir gesagt, erst einmal zum Wachbataillon, was nichts anderes bedeutete, als dass man ständig Bereitschaften hatte, sich nachts an einem der Kasernentore die Füße plattstehen und Wache schieben musste. Ich jedoch kam sofort zur Flugbereitschaft des Verteidigungsministeriums, was damals so etwas wie eine kleine private Fluggesellschaft war. Seit meiner frühen Kindheit war ich verrückt nach Flugzeugen, und allein die Nähe zu den großen Silbervögeln bereitete mir Herzklopfen. Die Flugbereitschaft verfügte damals über eine recht ausgedehnte Flotte, zu der vier Langstreckenflieger vom Typ Boeing 707, mehrere Hansajets HFB 320, Lockheed Jetstars C 140, sowie sechs Convair 440 Propellermaschinen gehörten. Eine davon – wenn ich mich recht erinnere, war es das Flugzeug mit der Nummer 1204, hatte Gerüchten zufolge einmal Frank Sinatra gehört, dem man eine Schwäche für Flugzeuge nachsagte. Er hatte sie zeitweise John F. Kennedy für dessen Wahlkampf zur Verfügung gestellt – ein recht illustres Flugzeug also. Und so sah es auch aus: es gab mehrere geschwungene und halbrunde, mit goldfarbenem Stoff bezogene Sofas und Beistelltische, viel Chrom und Gold, und beim Fliegenden Personal hatte das Flugzeug den Spitznamen „Fliegender Puff“. Es wurde bevorzugt für VIP’s eingesetzt – also das höchste politische Personal aus dem In- und Ausland.

      Ich war in dieser Einheit so etwas wie ein Auszubildender – und zwar einer ohne große Jobaussichten, da ich mich ja nicht für längere Zeit bei der Bundeswehr engagieren wollte. Daher wurde ich erst einmal im Büro eingesetzt, wo ich Flugaufträge zu schreiben hatte, die große abwaschbare Plastiktafel beschreiben musste, auf der die Flüge des Tages aufgeschrieben wurden mit Flugzeugnummer, Besatzung, Namen der Fluggäste, Abflugzeit und Ziel. Oder ich musste die riesigen Flugkarten falten – nach einem bestimmten System, bei dem ich mir immer fiese Schnitte an Fingern und Händen zuzog. Man kann aber wirklich nicht sagen, dass ich mich überarbeitet hätte. Es gab dort auch eine kleine Kantine, in der man ein Tagesgericht essen konnte oder Kleinigkeiten wie Rühreier oder Bockwurst o.ä. Die in dieser Kantine Beschäftigten waren ausschließlich Zeitsoldaten, die meisten in meinem Alter, die auch als Kabinenbesatzung sämtliche Flüge mitmachten – als Stewards auf Kurz- und Langstreckenflügen. Die Flugbereitschaft transportierte etwa Familienangehörige nach Texas, wo u.a. ein Teil der Pilotenausbildung stattfindet, aber auch Staatsgäste, Minister, Bundeskanzler und –präsident waren ständige Gäste an Bord. Ich sah diese illustren Personen zum ersten Mal aus allernächster Nähe, wenn sie an unserem Büro vorbeiliefen zum Flugzeug, das draußen auf sie wartete. Und ich durfte sogar an Bord – um sauber zu machen, Sitzgurte ordentlich auszulegen, und um die Kopflätzchen, die nach jedem Flug ausgewechselt wurden, anzubringen und um die Galley zu bestücken. Und wann immer ich konnte, schaute ich voller Sehnsucht und Fernweh den Flugzeugen hinterher, wenn wie zum Start rollten. Bis ich eines Tages einen Entschluss fasste, mich beim Staffelkapitän anmeldete und um ein Gespräch bat. Jürgen Reiss war sein Name, übrigens gleichen Namens wie unser Gitarrist in Goslar - und er war Oberstleutnant. Und nicht nur das – er war auch Kapitän auf der Boeing 707 und ein überaus freundlicher Mensch. Ich erzählte ihm von meiner Lust am Fliegen und fragte ihn, ob man nicht eine Ausnahme machen und mich als Steward einteilen könnte. Meine Flugbesessenheit schien ihm zu gefallen, denn nach ein paar Tagen Bedenkzeit, die er sich ausbedungen hatte, bekam ich eine Mitteilung, dass ich in Kürze ein Sicherheitstraining zu absolvieren habe - mit dem Ziel, als Steward auf ausgesuchten Strecken eingesetzt zu werden. Ich konnte mein Glück kaum fassen! Das Security Programm wurde dann auch zügig durchgeführt – ich musste lernen, wie man eine Notrutsche und die Notausgänge an den verschiedenen Flugzeugmustern betätigt, und ich lernte in einem Schnelllehrgang innerhalb weniger Tage, was ich für meinen neuen Job wissen musste. An einem Freitagnachmittag kam ich von diesem Lehrgang wieder zurück in meine Einheit – diesmal in die Kantine, denn als Steward wurde ich nicht mehr im Büro, sondern in der Kantine eingesetzt, wenn ich nicht fliegen musste. Freitagnachmittag – das war schon damals so, wie es auch heute ist – mit den Gedanken sind alle schon im Wochenende, und man wartete nur darauf, dass der Uhrzeiger auf 16 Uhr, dem Zeitpunkt für Dienstschluss – vorrückte. Kurz, bevor es soweit war, rief mein Vorgesetzter quer durch die Kantine: „Hey – Jones, haben Sie am Sonntag schon was vor?“ Normalerweise verhieß eine solche Frage nichts Gutes:


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