Auf dem Weg durch die Zeit. Detleff Jones

Auf dem Weg durch die Zeit - Detleff Jones


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unten auf die Straße. Doch Robby schaffte es so gerade noch zwischen zwei geparkte Autos, bevor er sich übergab – und zwar ungemein lautstark! Zum Glück waren seine Geräusche keiner Sprache zuzuordnen – ich glaube nicht, dass wir sonst einen positiven Beitrag zur deutsch-französischen Freundschaft geleistet hätten! Danach fühlte sich Robby ziemlich erleichtert und schaffte es aus eigenen Kräften bis ins Hotel. Auf der Treppe mussten wir ihn allerdings wieder stützen – was uns aber nicht davon abhielt, uns im Zimmer noch über die drei geschenkten Flaschen Wein der Hotelbesitzerin herzumachen! Es war ein Weißwein – das weiß ich noch, und dass wir so gut wie nicht geschlafen haben, auch. Denn kurz nach 6 stand schon ein Auto der Deutschen Botschaft vor der Tür, das uns zurück zum Flughafen bringen sollte. Im Hotel hatten wir es gerade noch geschafft, einen Kaffee auf die Schnelle zu trinken. Auf dem Weg zum Flughafen wurde eine Runde Kaugummi nach der anderen geschmissen – wir hatten größte Bedenken, dass unsere alkoholgeschwängerten Ausdünstungen auffallen könnten. Zu seiner Ehrenrettung sollte ich allerdings erwähnen, dass der Copilot der einzige von uns dreien war, der nicht mitgesoffen hatte – und der Bordfunker (Robby) kam ohnehin nicht oder kaum mit den Passagieren in Kontakt. Bei mir sah das allerdings schon anders aus! Aber unsere Befürchtungen sollten sich als völlig unnötig erweisen. Denn als der schwarze Mercedes den Kanzler an die Gangway brachte, stellte sich heraus, dass Brandt noch in einer ähnlichen Verfassung war wie Robby in der Nacht zuvor! Zwei Leibwächter schleiften ihn mehr oder weniger die Treppe hinauf ins Flugzeug, setzten ihn auf seinen Platz und schnallten ihn fest. Und dort blieb er – in komatösem Tiefschlaf versunken – sitzen, bis wir ihn nach der Landung in Köln – Bonn wieder wecken mussten.

      Manchmal flogen wir den Verteidigungsminister, damals Helmut Schmidt, nach Brüssel zu irgendwelchen NATO Sitzungen. Die waren bei uns immer berüchtigt, weil sie oft bis tief in die Nacht andauerten, während der die Flugzeugbesatzungen den Flughafen von Brüssel nicht verlassen durften, um jederzeit abflugbereit zu sein. Wenn Schmidt dann mitten in der Nacht an Bord kam, war er meist aschfahl, abgespannt und sichtlich erschöpft. Dennoch hatte er immer ein freundliches Wort für den Steward übrig – mich verwickelte er einmal in ein Gespräch, er wollte wissen, was ich vorhatte nach der Bundeswehr und was ich bis jetzt so gemacht hatte. Ausgerechnet auf diesem Flug hatten wir einen Triebwerksausfall und landeten dann mit nur einem Motor in Hamburg. Der Minister nahm es mit Fassung.

      Im September 1970 rief mich ein Kamerad von der Flugvorbereitung an. Ob ich schon gehört habe, wer demnächst mit der Flugbereitschaft fliegen werde? Ich hatte keine Ahnung. Es war Udo Jürgens. Die Flugbereitschaft sollte ihn von Fürstenfeldbruck bei München nach Ostfriesland zum Fliegerhorst Jever bringen, weil er dort als Passagier in einer F 104 G – dem schon damals berüchtigten Starfighter – mitfliegen sollte. Der Starfighter war ein äußerst problematisches Flugzeug für die Luftwaffe, die insgesamt 269 Muster der F 104 G durch Abstürze verlor – eine unglaubliche Anzahl! Und tragischerweise waren 116 Piloten bei diesen Unfällen ums Leben gekommen. Udos damaliger Manager Hans R. Beierlein hatte diese Mitfluggelegenheit mit Hilfe des Vier-Sterne-Generals Johannes Steinhoff, dem damaligen Inspekteur der Luftwaffe, eingefädelt, und es war sehr wahrscheinlich für beide Teile – die Bundeswehr und auch für Udo – ein bemerkenswerter PR Gag, der natürlich auch das Starfighter Image aufpolieren sollte. Udo war damals enorm erfolgreich, war Idol einer ganzen Generation. Und wenn er sich für die Bundeswehr interessierte, dann würde dies sehr wohl auch eine positive Wirkung in der Gesellschaft hinterlassen. Und umgekehrt stand es einem Star ja auch ganz gut zu Gesicht, wenn er einen Flug in einem dieser so legendären wie gefürchteten Silbervögel absolvierte, die mehr einer Rakete als einem Flugzeug glichen.

      Man wusste in meiner Einheit, dass ich ein glühender Udo Fan war, und so war es nicht schwer, meinen Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass ich diesen Flug bekommen sollte! An einem sonnigen Spätsommertag flogen wir mit einer Convair 440 früh morgens nach Fürstenfeldbruck bei München. Dort stiegen nicht nur Udo Jürgens mit einem Begleiter, sondern auch mehrere Generäle ein. Udos rotes Halstuch wehte im Wind, unter dem Arm trug er eine Bildzeitung, die er aufschlug, nachdem er es sich im hinteren Teil der Maschine bequem gemacht hatte. Die Generäle stiegen ein paar Minuten später ein. Der ranghöchste Offizier, ein Viersterne-General und Udo begrüßten sich kurz, wobei der Soldat auf die Bildzeitung blickte, und ziemlich herablassend bemerkte „aha – Sie lesen Bild – naja – ich lese lieber meine FAZ!“ Udo stammelte dann noch etwas von einem Brand in seinem Haus, worüber die Bild in dieser Ausgabe groß berichtete, aber der General ließ ihn stehen und setzte sich auf seinen Platz weiter vorne. Zwischen den beiden gab es im weiteren Verlauf des Fluges keine weitere Kommunikation.

      In der Tat war Udos Kitzbüheler Haus ein oder zwei Tage vorher vollständig ausgebrannt, und die BILD brachte Fotos und einen großen Bericht. Ich erinnere mich noch an ein Foto, auf dem man sah, wie der Flügel aus dem Haus herausgetragen wurde und so den Flammen entkommen war. Wie bei jedem Flug machte ich meine Ansage, wobei ich die Passagiere mit „sehr geehrter Herr Jürgens, verehrte Fluggäste“ begrüßte.

      Zwei Wochen später wurde ich zum Staffelkapitän gerufen. Der teilte mir mit einem Augenzwinkern mit, dass der Viersterne-General sich wegen dieser Ansage bei ihm beschwert habe – dieser Udo Jürgens sei persönlich begrüßt worden, er als General hingegen nicht!

      Niemals hätte ich gedacht, dass dies einen General derart beschäftigen würde – und mein Staffelkapitän teilte diese Meinung unverhohlen! Mein fauxpas blieb also ohne Folgen.

      Nachdem ich ihm eine Fanta gebracht hatte, gab es während des Fluges Gelegenheit, mit Udo zu reden. Aber ich glaube, ich war viel zu aufgeregt, ihn all das zu fragen, was ich ihn eigentlich hatte fragen wollen. Aber bei unserem nächsten Zusammentreffen, das sechs Jahre später stattfinden sollte, erinnerte er sich tatsächlich noch an unser erstes Gespräch auf dem Flug nach Jever!

      Eigentlich war ich ja nur so etwas wie „Hilfssteward“ – dadurch allerdings setze man mich auf allen möglichen Reisen und Flugzeugtypen ein, auf denen es von Vorteil war, wenn jemand dabei war, der gut Englisch und einigermaßen gut Französisch sprach. Auf den Langstreckenflügen, damals mit der guten alten Boeing 707, lernte ich den Kollegen Rolf Stolte kennen, Steward auf der 707 und Zeitsoldat mit längerer Verpflichtungszeit. Rolf war wie ich Hobbymusiker, wobei er sich aufs Singen verlegt hatte, während ich mich mehr für das Liederschreiben interessierte. Er schlug mir vor, ihm doch ein Lied zu schreiben, denn im kommenden Winter sollte es in Bonn ein Fest des Bundeministeriums der Verteidigung zugunsten der „Aktion Sorgenkind“ geben, auf dem große Künstler auftreten würden und er vielleicht die Chance bekommen könnte, als Bundeswehrangehöriger einen Auftritt abzustauben. Naja – ich war natürlich nicht abgeneigt. Und schrieb ihm daraufhin das Lied „Warum“ – und wenn ich heute daran zurückdenke, war dies vielleicht – sehr wahrscheinlich sogar - mein allererstes Lied, das ich komplett mit Text und Musik schrieb! Den Text habe ich mittlerweile vergessen, die Melodie aber habe ich noch im Kopf. Es war jedenfalls kein reiner Schlager, aber es als Chanson zu bezeichnen, wäre auch sicher übertrieben. Rolf war eigentlich ein reiner Schlagersänger und daher für diesen Song nicht unbedingt prädestiniert. Aber wir bekamen es eigentlich ganz ordentlich hin, und er bewarb sich um eine Teilnahme an dem besagten Abend. Als wir Wochen später vor einer Jury spielen mussten, um die Zulassung für das Bundeswehrfest zu bekommen, waren alle hellauf begeistert. Es ging ja auch darum zu zeigen, dass die Bundeswehr nicht nur eine Kampfmaschine ist, sondern ein sehr lebhafter Teil der Gesellschaft, aus der selbst Musiker hervorgehen können.

      Der Abend wurde in der Lokalpresse groß angekündigt, und auch das Fernsehen sollte einige Minuten lang übertragen. Ich war natürlich schrecklich aufgeregt, denn ich sollte Rolf am Klavier begleiten. Zum ersten Mal bekam ich live mit, welch ein Apparat hinter einer solchen schlichten Veranstaltung steckt – Beleuchter, Techniker, Monteure, Regisseure und Redakteure – alle liefen dort durcheinander. Man musste über riesige Kabelstränge klettern – es wurde akribisch gearbeitet und in Szene gesetzt, und – das muss man dem Bund lassen – sehr professionell vorbereitet. Ich weiß nicht mehr, wo der Abend stattfand, ich glaube, es war in Bonn, aber die Halle war restlos ausverkauft. Irgendwann wurden wir angekündigt, ich setzte mich ans Klavier und spielte die ersten Töne. Rolfs Einsatz klappte gut – das war meine größte Sorge gewesen, dass er die Stelle verpasste, an der er anfangen musste zu singen!


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