Auf dem Weg durch die Zeit. Detleff Jones
sich potentielle Käufer ein Bild von den zu versteigernden Artikeln machen konnten. Dabei wurden dann auch – wie international üblich – schriftliche Gebote abgegeben – von Interessenten, die nicht selbst zur Auktion kommen konnten - etwa, weil sie verhindert waren. Ein solches schriftliches Gebot nennt immer einen Kaufpreis, zu dem der Käufer bereit ist zu kaufen. Dieser angegebene Kaufpreis darf aber vom Versteigerer nur soweit ausgereizt werden, wie im Saal mitgeboten wird, also jeweils eine Stufe über dem jeweils vorliegenden Gebot. Wenn also jemand etwa 1.000 DM oder heute Euro schriftlich bietet, kann es durchaus sein, dass er den Zuschlag schon für 500 erhält, weil eben niemand im Saal bereit war, mehr als 450 zu bieten. Dies ist die Regel, nach der jedes seriöse Auktionshaus handelt. Der Käufer vertraut dem Versteigerer also sein persönliches Limit an – in der Erwartung, dass dieser es auch nur dann ausschöpft, wenn wirklich ein anderer Bieter erst kurz vor Erreichen dieses Limits aussteigt. Jedoch ist der Versteigerer, also der Auktionator, zu einem gewissen Prozentsatz an jedem Verkauf beteiligt – er verdient also immer mit. Daher lief bei Heubel auch alles etwas anders. Bei der Versteigerung saß ich neben ihm, und ich hatte wie er alle schriftlichen Gebote vor mir liegen. Und ich glaubte meinen Augen und Ohren nicht zu trauen – denn beim ersten schriftlichen Gebot – es war eine Steinschlosspistole mit einem Schätzpreis von etwa 1.500 DM – lag ein schriftliches Gebot von 1.200 DM vor. Doch schon bei 700 DM war offenbar niemand bereit, mehr zu bieten. So sehr sich Heubel auch bemühte – alle Hände blieben unten. Daher hätte er dem schriftlichen Bieter den Zuschlag zu 750 oder bestenfalls 800 DM geben müssen. Doch plötzlich steigerte Heubel weiter – zeigte in den Raum und rief „750, da hinten links 800, rechts habe ich 850….“ – erst bei 1.150 hörte er auf. Wohlgemerkt – niemand hatte da geboten! Er hatte nur das schriftliche Gebot, an dem er schließlich mitverdiente, ausreizen wollen, so gut es eben ging. Er sagte mir später einmal, dass dies normale Praxis bei Auktionshäusern sei – „da bieten die Wandlampen und die Bilder an den Wänden alle mit!“ Ich habe in den vergangenen Jahren selber hin und wieder auf Auktionen gekauft und dort auch schriftlich geboten, und ich kann sagen, dass es durchaus nicht die übliche Praxis ist, Gebote „in den Himmel zu ziehen“, obwohl es hier und da vorkommen mag. Man tut also gut daran, sich als Käufer sein persönliches Limit abzustecken und vor allem – sich seinen Auktionator gut auszusuchen!
Wir hatten vor der Auktion ausgemacht, dass er die erste Hälfte oder auch 2/3 der Auktion leiten würde, dann sollte ich ihn ablösen. Aber er badete im Erfolg und fand offenbar Gefallen daran, im Licht der Scheinwerfer zu stehen und ließ nicht mehr los, was aber verständlich war. Ohnehin – das habe ich ja bereits erwähnt - waren seine Zusagen das Papier nie wert, auf dem sie gemacht worden waren. Heubel war gierig, egozentrisch, und sein Humor hörte immer dann abrupt auf, wenn es um seine Person ging. Dies verstand ich nie, denn von meinem Vater hatte ich immer das genaue Gegenteil gelernt. Nach außen blieb mein Chef aber immer verbindlich, charmant und durchaus vertrauenserweckend. Immerhin so sehr, dass Kunden ihm sehr teure Stücke abkauften und ihm auch größere Summen liehen, um bestimmte Akquisitionen zu tätigen. Jedoch sahen nicht alle ihr Geld wieder. Heute, viele Jahre später, kann ich sagen, dass es ihm immer und ausschließlich um seinen eigenen Vorteil ging und er sich diebisch freute, wenn er ein Geschäft zum Nachteil eines anderen gemacht hatte. Nicht einmal sein engster Freundeskreis war vor seiner Egomanie sicher. Einer seiner besten Freunde war ein sehr angesehener Musiker. Wenn jedoch irgendjemand sich positiv über diesen Mann äußerte, wiegelte Heubel stets ab – das sei doch nur ein ‚armseliger Fiedler‘. ‚Neben mir keine fremden Götter‘ – dies war seine Devise. Und wehe, man folgte ihr nicht!
Doch all diese Erkenntnisse wurden mir erst viel später im Laufe der folgenden Jahre bewusst. An einem Wintertag – ich glaube, es war im Januar 1972 – rief ein Englisch sprechender Ausländer an. Er wollte von der Straßenbahnstelle in Köln-Dünnwald – etwa 3 km von unserem Büro und Lager entfernt - abgeholt werden. In der Nacht hatte es geschneit, und aus einem kalten grauen Himmel grieselte es leicht. Ich nahm ein Auto und fuhr los, um den Anrufer, von dem wir annahmen, dass es ein Kunde sei, abzuholen. Heubel befand sich zu diesem Zeitpunkt in seinem Geschäft in Zürich – er war also nicht im Büro. Ich hielt an der Straßenbahnhaltestelle Ausschau nach einem Mann, der aussehen könnte wie ein Kunde. Doch da war nur ein in einen Kaftan gehüllter Mann mit einem Turban. Seine nackten Füße steckten in Lederpantoffeln, die nach vorne hin spitz und nach oben zuliefen. Ich sprach ihn an – er war der Mann, nach dem ich suchte. Er fror offenbar, seine Hände waren eiskalt und blaugefroren, und er fragte mich ohne viel Umschweife, wer ich sei und wo Heubel sich befinde. Dabei griff er in sein Gewand und zeigte mir einen langen Krummdolch, den er aus seiner Scheide zog. „Ich werde ihn töten!“ Ich war zu Tode erschrocken. Und dann ließ ich den Mann erzählen.
Heubel hatte in Afghanistan eine große Sammlung von Gandhara Statuen aufgetan. Dabei handelte es sich um Steinfiguren aus dem 3. und 4. Jahrhundert, die nach der Gegend benannt werden, in der sie meist hergestellt worden waren. Gandhara ist eine Region unweit von Peschawar im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan. In den ersten Jahrhunderten des Buddhismus wurde sein Namensgeber niemals als Statue dargestellt, sondern als Sonnenrad, oft auch als Rad auf einer Hand. Erst als Alexander d. Gr. auf seinen Eroberungszügen in die Gegend des heutigen Afghanistan und Pakistan kam, folgten ihm mit der Zeit auch Künstler und Bildhauer, die später die ersten menschenhaften Darstellungen von Buddha anfertigten. Da die Künstler meist aus Griechenland kamen, sahen auch ihre Statuen aus wie hellenistische Kunstwerke. Die Gesichter hatten griechische Züge, und auch der Faltenwurf der Gewänder und die Haartracht waren typisch griechisch. Die Sammlung umfasste etwa 80 dieser Statuen, deren Export aus Afghanistan bei hoher Strafandrohung streng verboten war. Doch fand sich dort immer jemand, der das Unmögliche in den Bereich des Möglichen zu ziehen verstand – gegen Geld, versteht sich. Heubel hatte diesen Mann beim afghanischen Zoll gefunden und mit dem Besitzer der Statuen einen Deal gemacht. Die Sammlung sollte 100.000 DM kosten – eine Summe, die auch Heubel nicht hatte. Doch er überzeugte den Verkäufer, dass er in Deutschland einen möglicherweise noch viel höheren Preis würde erzielen können, und bot ihm an, ihn an diesem Verkauf zu beteiligen. Man einigte sich schließlich darauf, dass Heubel nur den Inhalt würde bezahlen müssen, den der afghanische Exporteur deklarieren würde. Der eigentliche Verkaufserlös sollte dann nach erfolgtem Verkauf geteilt werden. Von all dem wussten natürlich nur der Verkäufer und Heubel selbst.
Irgendwann war ein Container bei uns in Köln angekommen. Als wir ihn öffneten, fanden wir erst einmal nur billigste Rattanmöbel, von Würmern zerfressen und offenbar ziemlich wahllos in den Container gestopft. Ausnahmslos alle wanderten auf den hinter dem Haus auf den Pferdewiesen befindlichen Brennplatz, wo wir Abfälle und alte Holzkisten verbrannten. Damals war dies noch durchaus legal, und das Bewusstsein für die Umwelt wurde ja auch erst in den späteren Jahren geschärft.
Doch nachdem wir diesen Rattanmüll ausgeladen hatten, fanden wir im vorderen Teil des Containers eine Menge vernagelter Holzkisten. Und in ihnen befanden sich in Holzwolle verpackt eben jene Gandhara Statuen – wahrscheinlich waren noch niemals irgendwo auf dieser Erde so viele Originale auf einem Haufen gelegen! Eine war schöner als die andere. Im Laufe der folgenden Wochen hatte Heubel bereits den größten Teil dieser Figuren für enorme Beträge verkauft.
Doch zurück zu meinem Afghanen, den ich an der Straßenbahn abgeholt hatte.
Mit vor Kälte blauen Händen und Knöcheln – seine nackten Füße steckten ja in diesen orientalischen Pantoffeln – stieg er zu mir ins Auto. Er sprach gerade so viel Englisch, dass wir uns verständigen konnten, und er erzählte mir, warum er den weiten Weg nach Deutschland unternommen hatte. Er werde sich ins Unglück stürzen, wenn er Heubel umbringen wolle, sagte ich ihm, denn auf ihn werde unweigerlich ein langer Aufenthalt im Gefängnis warten. „Nichts kann so schlimm sein wie das, was mich zu Hause erwartet, wenn ich wieder zurückkomme“ meinte er, und dann erzählte er mir seine Version einer Geschichte, die Heubel immer anders dargestellt hatte. Demnach hatte der Afghane eine sehr bedeutende Sammlung von Gandhara Statuen zusammengetragen. Die wenigsten gehörten ihm – einige waren aus musealen Quellen, die meisten allerdings von privaten Sammlern, die ihm ihre Stücke zum Weiterverkauf anvertraut hatten. Offenbar hatte er in Kabul einen exzellenten Ruf und genoss dort sehr großes Vertrauen. Mit Heubel hatte er ausgemacht, dass er ihm diese Statuen in einem Container schicken werde, dessen Inhalt