Auf dem Weg durch die Zeit. Detleff Jones
ich ‚ja‘ gesagt, wären sie gefragt worden. „Ok, Jones, sie fliegen am Sonntag für eine Woche nach Skandinavien!“ Große Augen allerseits! Diese Einwochenflüge waren heiß begehrt, denn in der Regel fanden sie nur mit wenigen, manchmal auch ohne Passagiere statt. Das hieß, man wurde sozusagen in den Urlaub kommandiert! Meine militärische Laufbahn nahm zwar damit keine Wende, aber dies sollte der Anfang einer geradezu unglaublichen Zeit für mich werden, während der ich in zahllose Länder fliegen sollte und dazu noch gekrönten und ungekrönten Häuptern den Tee zu servieren hatte! Vielleicht halfen mir ja auch ein wenig mein halbwegs manierliches Auftreten und natürlich meine Sprachkenntnisse, denn im Englischen machte mir sowieso keiner was vor, und bei den vielen internationalen Fluggästen war man offenbar so manches Mal froh, mich vorschieben zu können. Ich genoss diese Zeit, und die Warnungen meiner Eltern vor „dem Militär“ hatten sich mittlerweile völlig in Luft aufgelöst und als unrichtig erwiesen.
Wenn ich gerade nicht fliegen musste, hatte ich Dienst in der Kantine. Da kam es des öfteren vor, dass ich mich gerade auf den Feierabend vorbereitete, als ein Anruf kam und man mir sagte: „Jones – sie fliegen noch mit dem „BuKa“ (Bundeskanzler) nach London“. Oder nach Stockholm, Brüssel, Madrid, nach Paris oder Amsterdam, in die USA, was dann eine knappe Woche dauerte, oder mit „BuPrä“ und Außenminister auf Staatsbesuch nach Venezuela, Ecuador und Bolivien. Es nahm kein Ende, und ich wurde des Fliegens nie müde. Wenn keine Passagiere an Bord waren, hielt ich mich meist im Cockpit auf und sah den Piloten zu oder ließ mir jeden Handgriff erklären. Ein Kindheitstraum hatte sich erfüllt – hautnah bei der Fliegerei dabei zu sein, was mich auch heute noch begeistert. Einmal flogen wir ohne Passagiere mit einer Jetstar von irgendwo zurück nach Köln. Die Jetstar - „Lockheed C 140“ war die offizielle Bezeichnung – war ein vierstrahliges Geschäftsflugzeug mit 8 Sitzen und von der äußeren und inneren Aufmachung nicht nur ein sehr teurer, sondern ein selten gesehener und überaus eleganter Flieger. Mit seinen 4 Triebwerken im Heck gehörte es zu den damals leistungsstärksten Privatflugzeugen überhaupt. Wir waren zu dritt im Cockpit, als eine Anweisung von der Flugaufsicht kam, die uns eine höhere Flugfläche zuwies. Der Pilot gab Gas und zog den silbernen Flieger steil nach oben. Man sagte der Jetstar Steigfähigkeiten nach, die einem Düsenjäger sehr nahekamen. Und als der Pilot dem Tower schon nach kürzester Zeit das Erreichen der neuen Flughöhe durchgab, kam von dort ein „Wow – that is incredible!“ Auf demselben Flug flogen wir eine Rolle. Dabei dreht sich das Flugzeug um seine Längsachse. Der Pilot fragte uns, ob wir was dagegen hätten, und alle (es waren ja nur der Copilot und ich) waren einverstanden. Und bevor ich wusste, was geschah, war der Himmel auch schon unten und die Erde oben, und dann war alles wieder dort, wo es hingehörte. Es war einfach unglaublich – dieses Zusammenspiel von Kraft, Tempo und fliegerischer Eleganz. So etwas hätte natürlich niemals stattgefunden, wenn wir einen Passagier an Bord gehabt hätten!
Mit einer Jetstar mussten wir einmal an einem Sonntag um 7 Uhr den Bundeskanzler und seine Begleitung von Köln nach Memmingen und später wieder zurück nach Köln bringen. Man hatte mich gewarnt, dass Willy Brandt ein ausgesprochener Morgenmuffel sei, und ich solle auf der Hut sein und nicht zu viel reden. Aber was heißt schon „nicht zu viel reden“, wenn man dem Bundekanzler lediglich einen Kaffee oder Tee zu servieren hat – dachte ich. Pünktlich brachte die schwarze Staatskarosse den Kanzler wenige Minuten vor 7 an das Flugzeugtreppchen. Brandts Begleiter, ein hochgewachsener, kräftiger Mann, stieg vor dem Kanzler aus und trug eine aufgefaltete „Times“ vor sich, unter der er etwas verbarg. Er kam ans Flugzeug, sah mich in meiner weißen Jacke und reichte mir die Zeitung, bzw. den Gegenstand, den er darunter verbarg. „Bring‘ das mal nach hinten und pass gut drauf auf!“ Ich nahm das Ding entgegen und sah, dass es eine Maschinenpistole war. Der Mann war Brandts Leibwächter! Ich verstaute die MP hinten in meiner Galley – peinlich darauf achtend, dass sie gesichert blieb! Die beiden Passagiere sanken dann in die Sitze entgegen der Flugrichtung. Nach dem Start - mittlerweile war es kurz nach 7 - ging ich zu Brandt und fragte ihn, was er trinken wolle. „Cognac!“ krächzte er. Zum Glück hatte ich eine Flasche Asbach an Bord – eigentlich hatte ich damit gerechnet, Kaffee servieren zu müssen. Aber Cognac oder in diesem Falle Asbach war ja einfacher – auch wenn es erst frühmorgens war! Ich servierte den Asbach in einem kleinen Cognacschwenker und stellte ihn vor Brandt, worauf dieser ihn zurückschob und mich anraunzte „das ist Scheiße, das Glas muss voll sein!“ Ich entschuldigte mich, nahm das Glas wieder zurück und verschwand in meiner Galley, wo ich ein Wasserglas nahm und es randvoll goss mit Asbach. Dieses Glas stellte ich vor den Kanzler, der es zufrieden annahm. Die Flasche behielt er dann auch da, und als wir eine knappe Stunde später in Memmingen landeten, musste ich eine neue Flasche besorgen, denn die alte war leer.
Ein anderer Flug – wieder mit Brandt, ging nach Paris. Diesmal flogen wir mit der guten alten Convair 440, einem zweimotorigen Propellerflugzeug. Nach der Ankunft in Paris am Nachmittag war der Besatzung für abends freigegeben worden, denn der Rückflug sollte erst am nächsten Morgen um 8 stattfinden. Unser Kommandant Oberstabsfeldwebel Stachel war ein älterer Pilot, der schon im 2. Weltkrieg Einsätze geflogen war. Ihm war in Paris nicht nach Ausgehen zumute – zumal er extrem geizig war. Er brachte immer seine eigene Verpflegung in Form von belegten Broten mit und machte damit auch in Paris, der Hauptstadt des guten Essens, keine Ausnahme. Aber immerhin kannte er ein Hotel in der Rue Washington unweit der Champs Elysées, das bei deutschen Soldaten sehr beliebt war. Die Besitzerin des Hotels hatte im Krieg offenbar mit der Wehrmacht kollaboriert und dadurch in der Nachkriegszeit sehr große Unannehmlichkeiten mit den Behörden der Stadt erfahren. Man hatte ihr allerdings nie eine Straftat welcher Natur auch immer nachweisen können. Aber die Animositäten ihrer Landsleute hatten die Dame offenbar in die Arme ihrer deutschen Freunde zurückgeschickt! Denn jeder deutsche Soldat, der in ihrem Hotel abstieg, wohnte dort zu einem Sonderpreis und bekam zur Begrüßung eine Flasche Wein geschenkt. Da unser Kommandant sich sofort nach unserer Ankunft in sein Zimmer zurückgezogen hatte, waren wir nur noch zu dritt: der Copilot, der Bordfunker (ja – diese Position gab es damals noch!) und ich. Und so zogen wir also los – zuerst in ein Restaurant, in dem wir gut aßen und dann ins Crazy Horse. Der Funker, nennen wir ihn Robby, war ein echter Freund der schönen Dinge und ein sehr lebensbejahender Mensch mit einem ausgeprägten und äußerst ansteckenden Humor. Seine Lachanfälle waren legendär, und wenn er einmal loslegte, lachte zum Schluss jeder in Hörweite, und kein Auge blieb trocken. Das geschah auch im Crazy Horse, diesem exklusiven Pariser Nightclub mit Legenden – Status. Wir drei waren nach Apéritif, reichlich Wein zum Essen und einem anschießenden Digestif schon ziemlich angeschlagen, aber durchaus noch im Besitz unserer geistigen und körperlichen Kräfte. Vielleicht war es der Champagner im Crazy Horse, vielleicht auch tatsächlich die Show selbst, in der ein sehr lustiger Magier auftrat, jedenfalls brachte irgendetwas Robby zum Lachen. Er begann meist leise, in kurzen Stößen und wurde dann immer lauter – so laut, dass bald die ersten Zuschauer anfingen mitzulachen. Immer mehr wurden es, und schließlich lachten auch einige der Tänzerinnen auf der Bühne los – bis der komplette Saal aus vollem Hals lachte, Robby war zu diesem Zeitpunkt bereits vom Stuhl gerutscht uns saß unter dem Tisch. Uns allen liefen die Tränen herunter – die Show wurde unterbrochen, das Licht ging an und der schwere rote Vorhang sank auf die Bühne. Diese Show in der Show dauerte einige Minuten, bis einsetzende Atemnot bei den Lachenden dem Ganzen schließlich ein sanftes Ende bereitete und die eigentliche Show über die Runden gebracht wurde.
Nach der Show wurden wir beim Hinausgehen von einem Herrn im schwarzen Anzug zur Seite gebeten. Ich dachte schon, jetzt gäbe es Ärger. Aber im Gegenteil – er fragte uns überaus höflich, ob wir nicht am nächsten Abend wiederkommen wollten – als Gäste des Hauses. Das mussten wir leider ablehnen – auf uns wartete ja der Bundeskanzler!
Aber die Nacht war noch nicht zu Ende! Vom Crazy Horse, das unweit der Seine auf der Avenue Georges V liegt, war es ein Spaziergang von vielleicht einer halben Stunde bis zu unserem Hotel in der Rue Washington. Und die frische Luft machte natürlich durstig… Unterwegs kehrten wir in einer Bar ein, tranken weiter und kamen erst am sehr frühen Morgen am Hotel an. Gegenüber hatte noch ein Lokal geöffnet, und obwohl Robby da schon mächtig neben der Kappe war, kehrten wir ein weiteres Mal ein. Wir mussten dann nur noch die Straße überqueren, um unser Hotel zu erreichen. Doch bei Robby war an Gehen nicht mehr zu denken. Und während wir ihn links und rechts unterhakten und hinüberschleppten, fing er plötzlich an zu