Bus nach Bingöl. Richard Schuberth

Bus nach Bingöl - Richard Schuberth


Скачать книгу
Liberalen, Pazifisten, selbst die Revolutionäre würden sich von mir abwenden, weil solche Gedanken ja doch nur dazu beitrügen, Linke als stalinistische Massenmörder darzustellen und die Rechten als eigentliche Humanisten. Aber Benedikt und Dalai und Johnny hätten vielleicht eine winzige Chance: Sie würden in Anbetracht ihrer schrecklichen Erfahrungen aus der Zukunft sofort Privatarmeen rekrutieren und zur gleichen Zeit in alle Chefetagen der neoliberalen Schaltzentralen eindringen und alles bis auf die mittlere Ebene niedermetzeln. Und die Sicherheitskräfte wären dann plötzlich in der unangenehmen Situation, den Papst, den Dalai-Lama und Mr. Depp zu erschießen, und bevor die das Feuer eröffnen, werden die drei ihnen zurufen: Um Himmels willen, geht nach Hause und vertraut uns, wir müssen das tun, um die Welt zu retten. Man wird sagen, dass das ein abscheulicher, bloß symbolischer Akt war, der nur einzelne Menschen geopfert hat, aber das System nicht in seinem Kern traf. Irrtum, das Räderwerk würde kurz stillstehen, lange genug, um zu enteignen und die Drähte aus den Computern zu ziehen. Und es würde Jahre dauern, bis man erkennt, dass sie einen Zug gestoppt haben, der auf den Abgrund zuraste. Aber warum würde ich mich nicht diesen drei Helden anschließen? Weil ich ein feiger Hund bin, Dilek. Und weil ich ein feiger Hund bin, werde ich weiter wählen gehen, meine Rosen gießen und ein blödes Demokratengesicht aufsetzen.

      Du siehst, Schwester, ich kann dir nicht wirklich helfen und bin ebenso ratlos wie du. Und was mir soeben über die Lippen gekommen ist, entlarvt mich auch in deinen Augen als gefährlichen Irren. Verzeih mir, ich war vermutlich noch nie so ehrlich. So, und jetzt müssen wir in den Bus. Der Kaptan, der Fahrer, sucht bereits nach uns.

      Während sie sich gleichzeitig erhoben, lächelte ihn Dilek an.

      Nein, nein, das hat alles schon Sinn.

      Und siehst du, wandte Ahmet ein, das macht mir auch Angst, dass dich meine Gewaltfantasien nicht ängstigen. Du hast zu viel Kill Bill gesehen.

      Ahmet war sehr stolz, dass er mit einer kulturellen Anspielung prahlen konnte, die ihm nichts bedeutete, ihr aber einiges bedeuten könnte.

      Nein, sagte Dilek, du hast mir mehr geholfen, als du ahnst. Und ich habe dich sehr gut verstanden. Ich weiß nicht, wie weit ich gehen kann. Zumindest lass ich mich von meinen reichen Verehrern nicht mehr zum Dinner einladen. Dein Massaker aber, lass dir das von einer Frau vom Fach gesagt sein, hat einen Schönheitsfehler. Es hat zu wenig gute PR. Auch deine drei Musketiere, das wäre wirklich ein amüsanter Actionfilm, bräuchten gezielte Werbestrategien, sonst wäre alles umsonst. Nach meiner Rückkehr werde ich mit den drei Herren mal Kontakt aufnehmen und ihnen vorsichtig das Projekt Save the World unterbreiten. Ich werde dich jetzt nicht länger belästigen. Ich habe gekriegt, was ich wollte. Du setzt dich an deinen Platz, ich an meinen. Und dort werde ich sehr viel nachdenken. Sag mir, falls es mir bei meinem Vater zu langweilig wird, darf ich dich in Dersim mit meinem neuen Jeep besuchen kommen? Wie heißt dein Dorf?

      Natürlich darfst du. Mein Dorf heißt Holike, nördlich von Elazığ zwischen Hozat und Pertek.

      Die beiden küssten einander vor der Station auf die Wangen und bestiegen den Bus. Ohne einander anzusehen. Oktay hatte woanders Platz genommen und wich Ahmets Blick aus, als dieser an ihm vorbeiging. Der Deutsche schlief.

       Oktay und die Liberalen

      Ahmet fragte sich nach dem Grund seiner guten Laune. War es das Interesse der jungen Frau an ihm? Oder dass ihm solch ein prägnantes Pamphlet gelungen war, an das er selbst nicht glaubte – noch dazu in einer Sprache, die er nur noch bei seinen Männerabenden in Wien pflegte? Dort redete man nicht nur aus Rücksicht gegenüber den türkischen Freunden Türkisch. Auch nicht deshalb, weil es sich bei den Muttersprachen der Kurden um Dialekte handelte, die untereinander schwer verständlich waren. Und nicht einmal der Umstand, dass die meisten von ihnen von Abstammung her Kurden waren, aber nie Kurdisch gelernt hatten. Einige holten es nach und radebrechten dann in Kurmandschi, obwohl sie aus Gegenden kamen, in denen Zaza üblich war. Die meisten aber plauderten bei ihren Treffen in von Kurden geführten Pizzerias in der Sprache, in der sie politisiert wurden, in der sie Gedichte schrieben und in der auch ihre Helden Nâzım Hikmet, Yaşar Kemal und Aziz Nesin schrieben.

      In theoretischen Belangen hatte sich Ahmet Arslan stets unzulänglich gefühlt. Auch wenn er in Wien von Fachkollegen und -kolleginnen konsultiert wurde, schwärte lange noch diese Wunde in ihm. Seine Organisation damals in İstanbul war leninistisch ausgerichtet gewesen. Viele seiner Genossen aber hatten den maoistischen Weg gewählt, der von all den linken Wegen, die die wenigsten, die darauf schritten, auch wirklich verstanden, der dümmste war. Der chinesische Bauernkommunismus sprach die opferbereiten Dorfburschen am meisten an. Moderne, Industrialisierung, Urbanität und Zivilisation waren ihnen fremde Konzepte, und ihre ersten Marxtexte lasen sie wie epische Dichtungen oder Zaubersprüche, die man eingerollt in Glücksamuletten mit sich herumträgt, am liebsten hätten sie diese zur Saz gesungen, so wie sie auf Kurdisch sangen: Bîrnakim ha bîrnakim, riya Lenin bîrnakim – Vergiss nicht, vergiss nicht den Weg Lenins.

      Als die Nachrichten von der Kulturrevolution, von Hungersnöten und Staatsterror auch nach Holike, Çemişgezek oder in die Vororte İstanbuls drangen, wandten sich viele von Mao ab und suchten Ersatz. Da die Leninisten und Trotzkisten zu viel umständliches Zeug redeten, fanden sie ihn in Maos europäischer Filiale, bei Albaniens Diktator Enver Hoxha. Ein Genosse hatte ihm das Verhältnis zu diesem neuen Leitstern einmal folgendermaßen erklärt: Wenn es in Tirana regnete, spannten wir in İstanbul die Regenschirme auf.

      Ahmet Arslan begann ein Politologiestudium an der Istanbuler Universität und trat der Dev-Yol, einer Nachfolgeorganisation der Dev-Genc, bei. In Wien setzte er sein Studium fort. Hatte er in İstanbul die gesamte Theoriegeschichte bis zur Frankfurter Schule rezipiert (die ihm das größte Kopfzerbrechen bereitete, und das nicht nur wegen der schlechten Übersetzungen), so stürzte er sich in Wien mit Ehrgeiz auf all die neuen französischen Lehren, die bereits in der Türkei die Vorherrschaft des Neomarxismus an den Unis zu unterwandern begannen. Doch fand er in ihnen keinen Halt. In der Wiener Szene gab es zwei Intellektuelle, die er bereits in İstanbul gekannt hatte. Er und sie gehörten völlig verschiedenen Welten an, obwohl der österreichische Blick ihrer aufgeschlossenen Bekannten sie ein und derselben zuordnete. Cahir und Alparslan hatten sich in der Heimat schon die neuen Jargons zugelegt. Sie gehörten zu der Schicht, die Ahmet und die anderen anatolischen Landeier belächelte, wenn diese mit unsicherer Leidenschaft halbverstandene Slogans aus dem marxistischen Fundus predigten. Es waren Jungs aus İstanbuler Bürgerfamilien. Linksliberale – Ahmet und die seinen nannten sie etwas abfällig Liboşlar. Dabei bewunderten die Liboşlar sie, die Genossen und Genossinnen aus Dersim, Gaziantep, Erzurum, Diyarbakır, Hakkari, den Tauros- und den Pontosbergen, und suchten ihre Freundschaft. Intellektuell nahmen die Liboşlar sie nicht für voll. Sie waren deren Indianer. Edle Wilde aus dem Osten. .

      Ahmet Arslan verstieg sich wieder einmal in Reflexionen über sein Verhältnis zu den liberalen Genossen, mit denen er noch die eine oder andere Rechnung offen hatte.

      Die Liboşlar versuchten sowohl unsere grobschlächtige Unmittelbarkeit als auch unsere naiv-blumigen Redewendungen nachzuahmen. Wir waren ihre Reservoirs für ihr Selbstbild als Revolutionäre: Männlichkeit, Ehre, verträumte Rauheit, Brüderlichkeit, Sazspiel. Sie klaubten uns die Distelkletten von den speckigen Jacketts und steckten sie sich auf ihre bunten Pullis. Mit ihren langen Haaren und Bärten sahen sie wie Banditen aus den Bergen aus, während wir Bergbanditen lange Zeit unsere Scheitel kämmten und Schnurrbärte stutzten, bis wir selbst der Mode erlagen. Dennoch scherzten wir darüber, wie ihre Mütter ihnen vor den Demonstrationen die Mähnen und Schnauzer frisierten und sie sich diese dann, kaum außer Haus, wieder zerrupften. Ausgiebig naschten sie von unserer Entschlossenheit im Straßenkampf. Doch während wir uns mit den Grauen Wölfen Schusswechsel lieferten, warteten sie lieber mit gezückter Pistole hinter der Ecke ab, wie die Schlacht ausging. Trieben wir die Feinde in die Flucht, und meistens taten wir das, kamen sie aus ihren Deckungen hervor, umarmten uns und feierten mit uns den gemeinsamen Sieg. Der Unterschied: Sie gingen nach der Aktion, nach der Demonstration, nach der Schießerei nach Hause, weil Mamas Abendessen auf sie wartete und sie Dallas nicht versäumen wollten. Das, wie mich mein kluger Freund Erol Sentürk aufklärte, gar nicht so dumme Kapitalismuskritik sei,


Скачать книгу