Bus nach Bingöl. Richard Schuberth

Bus nach Bingöl - Richard Schuberth


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und sie werde Speis und Trank holen. Sie müsse üben, ergänzte sie, denn noch nie in ihrem Leben habe sie einen Mann bedient.

      Er blickte ihr nach. Und war bereits etwas verschossen in sie. Markierte sie die Ulknudel, weil sie spürte, dass er sie für ein verwöhntes Mädchen hielt? Dabei waren dieser sorglose Humor und die schlagfertige, aber kindliche Koketterie doch das sicherste Indiz für ihre Verwöhntheit. Gut nur, dass er bei Elazığ ausstieg, wo würde das noch enden? Auf der Hacienda ihres Vaters?

      Ahmet erinnerte sich plötzlich des kleinen Rekruten und suchte nach ihm. Der saß einige Tische weiter, mampfte traurig seinen Bohneneintopf und ließ sich nicht anmerken, dass er Ahmets Blicke bemerkte.

      Die Kemalistin kam mit zwei Pagoden dampfender Pommes frites zurück, die beiden Bierdosen hatte sie zwischen Teller und Brust geklemmt. Ahmet half ihr beim Abstellen.

      Sie fragte ihn, was er in Wien so mache.

      Er habe Philosophie und Politikwissenschaften studiert und eine Zeit lang an der Universität unterrichtet, das habe nicht viel eingebracht, er sei nun Sozialarbeiter, unterrichte an Volkshochschulen politische Bildung, lektoriere Diplom- und Doktorarbeiten und reiche hie und da ein Projekt ein.

      Dilek fand das alles höchst interessant. Sofort offenbarte sie ihre Vermutung, dass er in der Türkei ein linker Widerstandskämpfer gewesen sei. Ahmet aß die Pommes zu schnell, während Dilek nach einigen Minuten noch immer dasselbe Stück zwischen den Fingern hielt und zum Gestikulieren verwendete.

      Sie finde solche Leute wie ihn unglaublich interessant, jemanden, der Prinzipien und Werte habe, für die es sich zu kämpfen lohnt, ja, für die er sein Leben zu geben bereit sei.

      Viele ihrer Freunde hätten die Türkei nur aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, sie selbst habe zwei Präsentationen in der Schweiz gehabt, eine in Basel, eine in Fribourg. An Angeboten habe es beileibe nicht gemangelt. Aber man müsse im Leben kämpfen. Auch wenn sie nicht so aussehe, auch sie habe Durststrecken durchlaufen, ehe sie mit ihrem Start-up Erfolg hatte. Es sei so einfach, einem zurückgebliebenen Land wie der Türkei den Rücken zu kehren und dem Ruf des besseren Angebots, der besseren Nachfrage zu folgen. Mutiger sei es doch, sich der Herausforderung zu stellen, im eigenen Umfeld etwas auf die Beine zu stellen.

      Ahmet konnte nicht einmal ärgern, dass sie ihm da – unabsichtlich zumal und indirekt – Fahnenflucht vorgeworfen hatte, da wäre ihr hektisches Nachhaken gar nicht nötig gewesen, dass sie damit keinesfalls ihn meine, der – so zumindest ihre Annahme – aus politischen Gründen das Land verlassen musste. Ahmet nickte lächelnd und schluckte.

      Sie und ihre Freundin Özlem hatten die Idee, eine Art Fair-Trade-Kampagne für kleine Textilproduzenten aufzuziehen und auch das Self-Empowerment bäuerlicher Produzentinnen zu fördern. Aber, sagte sie entschieden und stach mit ihrer Pommes ein Loch der Aufmerksamkeit in Ahmets Blickfeld, glauben Sie, diese armen, unterdrückten Geschöpfe Gottes würden sich helfen lassen.

      Letzten Sommer fahre ich extra nach Kappadokien raus in eines dieser Yörükdörfer. Sie wissen schon, die sesshaften Nomaden. Natürlich wissen Sie. Verzeihen Sie. Die stellen in Heimarbeit diese wunderschönen Hamamtücher her. Großartige Arbeit. Wirklich. Wir wollten Pareos und Kleider daraus machen. Für so was sind die noch nie verwendet worden. Diese Mädels waren wirklich super. Keine Frage. Total freundlich und trotzdem stolz und eigenwillig. Aber leider auch sehr dumm. Die verkaufen das Zeugs pro Stück zu fünf Euro an ihre Cousins in Antalya, die sie um 20 Euro oder mehr weiterverkaufen. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ja? Dreihundert Laufmeter zu 1500 Euro. Das ist unsere Schmerzgrenze.

      Ahmet nickte mit vollem Mund und versuchte, sein Schmatzen zu dämpfen.

      Sie berät sich mit den anderen Frauen, kommt zurück und sagt brühwarm Nein. Nein. Stellen Sie sich das vor. Okay. Ich versuch’s mit Argumenten. Rechne Ihnen vor, was für einen Gewinn sie dadurch machen. Was für Prestige ihr Dorf bekommt. Was sie sich dadurch leisten könnten. Sie sagt mir, nein, nein, wir sind zufrieden damit, wie es ist, und wollen keine Großproduktion anfangen. Ich sage ihr, liebe Frau, ich kenne eine chinesische Firma, die stellt den Laufmeter für 40 Cents her, aber voll Turkish Style. Wissen Sie, was sie mir geantwortet hat? Das freut mich aber, sagt sie, dann lassen sie doch die Chinesen ihre Ware herstellen. Ich weiß nicht mehr, vielleicht bin ich etwas lauter geworden. Aber was macht sie? Sie drückt mir drei Handtücher, in jeder Farbe eines, in die Hand, sagt, das sei ein Geschenk, und wünscht mir einen guten Tag und dass Allah mich beschütze. Sie hat mich mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem Dorf geschmissen. Verpiss dich. … Ja, ja, ich weiß, super, super, an Ihrem stillen Lächeln, so blöd bin ich auch nicht, merke ich, dass sie die Frauen toll finden, ja, stolz, unabhängig, klar. Verstehe schon. Mir geht es ja genauso. Toll, wie die sich dem freien Markt versperren. Ja, Rebellinnen. Aber sie kennen doch als gebildeter Mensch sicher den Ausdruck rebel without a cause. Und in diesem Fall ist die Rebellion nämlich gar nicht cool. Vom ökologischen Standpunkt, vom Frauenstandpunkt her … und … nun, der dritte Standpunkt fällt mir nicht ein. O Gott, das Bier wirkt schon. Sehen Sie meine Wangen? Die müssen total glühen. Zumindest fühlt es sich so an. Ich brauche nur einen Schluck von dem Zeug nehmen, und schon beginne ich zu glühen.

      Nein, Frau Demir, Ihre Wangen haben bloß einen leichten Anflug von Abendröte. Man merkt es kaum und es sieht sehr reizvoll aus.

      Na da sieh her. Ist das Viennese Style? Çok güzel. Schauen Sie, ich weiß vieles nicht und benehme mich manchmal total daneben. Aber auf meine Menschenkenntnis lasse ich nichts kommen. Ich hab Sie von Anfang an durchschaut.

      Nun waren es Ahmets Backen, die sich röteten.

      Machen Sie mir nichts vor, ich kenne euch kurdischen Krieger. Ich weiß, was Sie von mir halten.

      Und was halte ich von Ihnen?

      Ja, ja, stehen Sie dazu, Sie halten mich für eine verwöhnte Taksim-Tusse aus der Ausbeuterklasse, selbstbezogen, dämlich, unerträglich laut und schnatternd wie eine Ente. Eine gottverdammte luxuriöse Platzverschwendung. Eine, die noch nie was Richtiges erlebt hat, und deshalb den Mund umso voller nimmt. Eine, der es einmal richtig besorgt gehört, von uns wütenden Klassenkämpfern.

      Nein, danke, dafür besteht kein Bedarf.

      Sehr witzig.

      Liebe Dilek, seitdem uns Ihre Verteidiger der Säkularität und des Fortschritts täglich Elektroden an die Schwänze hängten, sind wir völlig impotent. Sie haben also nichts zu befürchten.

      Dilek warf ihm ein Stück Pommes ins Gesicht.

      Verzeihen Sie.

      Verzeihen Sie, ich wollte zunächst nur einen Scherz machen. Es tut mir leid, dass unser nettes Gespräch diesen Verlauf genommen hat. Aber ja, ich gebe zu, dass ich, bevor ich Sie kennen lernen durfte, einiges von dem, was Sie soeben sagten, geglaubt habe. Wenngleich nicht so drastisch, wie Sie es ausdrücken.

      Dilek Demirs Gesicht nahm einen spöttischen Ausdruck an.

      So, so, und was hab ich bis jetzt Superkluges von mir gegeben, dass Sie Ihre Meinung geändert haben?

      Ich finde Sie klug und selbstkritisch.

      Küsschen, Küsschen. Sagen Sie mal, da ich mal einen echten Indianer vor mir habe. Was mich schon immer interessiert hat, wie ist das mit euch Kurden? Ich meine, ihr habt ja diese verschiedenen Dialekte, nicht wahr. Ich habe einen kennengelernt, der bestand darauf, kein Kurde zu sein, sondern … wie hieß das Zeug noch?

      Zaza?

      Genau, so klang das. Zaza. Zazaki. Lustiges Wort.

      Gut. Kurdisch besteht im Großen und Ganzen aus zwei Großdialekten, Kurmandschi und Sorani. Sorani wird eher im Irak und im Iran gesprochen. Dann gibt es noch das Gorani im Iran und das Zazaki, mit welchem ich aufgewachsen bin. Bei uns in Dersim spricht man sowohl Zazaki als auch Kurmandschi. Ein bisschen verwirrend ist, dass wir dazu nicht Zaza sagen, sondern Kırmancki, in Ost-Dersim nennen sie es Dımıli, und Kurmandschi nennen wir Kırdaşki, was so viel wie Sprache der Kurden heißt, was eigentlich ein Beweis sein könnte, dass wir Kirmancki- oder Zazakisprecher uns nicht als Kurden empfinden. Da aber außerhalb Dersims unsere Sprache


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