Sexuelle Gewalt gegen Frauen. Daniela Pollich
durch den Straftatbestand der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB) und die Straftaten aus Gruppen (§ 184j StGB) (siehe genauer Abschnitt 2.2.2).
Bundesrat und Bundestag stimmten der Instanbul-Konvention am 17. Juli 2017, somit nach Einführung des neuen Sexualstrafrechts, zu.52 Nach dieser Ratifizierung trat die Instanbul-Konvention am 01. Februar 2018 für Deutschland in Kraft.
2.2.2Aktuelle Straftatbestände
Mit dem 50. StrÄndG wurde das Sexualstrafrecht 2016 grundlegend verändert. In dem folgenden Abschnitt werden die relevanten rechtlichen Bestimmungen zu Sexualdelikten in der aktuellen Fassung ausführlich dargestellt.
Der neue § 177 StGB „Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ ist im Vergleich zum vorhergehenden Straftatbestand deutlich reformiert worden.53 Hierbei hatte die Implementierung der so genannten Nichteinverständnislösung („Neinheißt-Nein“-Lösung) höchste Priorität. Entscheidend für die Strafbarkeit der Handlung ist nun der erkennbare entgegenstehende Wille des Opfers.
Nach § 177 Abs. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft,
„wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt“.
Sexuelle Handlungen sind gem. § 184h StGB nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind.
Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle auf den Begriff der Nötigung verzichtet. Dieser setzte die Überwindung des entgegenstehenden Willens des Opfers mit Zwangsmitteln voraus. Folglich wird nun kein Finalzusammenhang mehr zwischen dem Einsatz des Nötigungsmittels und der sexuellen Handlung verlangt. Ob der entgegenstehende Wille des Opfers erkennbar ist, ist aus der Sicht eines objektiven Dritten zu beurteilen. Dafür wird entweder eine ausdrücklich, das heißt verbale Erklärung oder ein konkludentes Verhalten, wie z.B. Weinen, vorausgesetzt.54
Ist der entgegenstehende Wille des Opfers nicht erkennbar, wird der Täter ebenso bestraft, wenn die in § 177 Abs. 2 StGB genannten Umstände vorliegen. Dies trifft zu, wenn
„1. der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2. der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3. der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4. der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5. der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.“
Wurden dem Opfer beispielsweise sog. K.O.-Tropfen beigebracht, sind in der Regel die Voraussetzungen gem. § 177 Abs. 2 StGB erfüllt.55
Waren in der alten Fassung des § 177 StGB sämtliche Tatbestände, mit Ausnahme der minder schweren Fälle gem. Abs. 6 (a.F.), als Verbrechen (Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr) klassifiziert, so verwirklichen die rechtswidrige Taten nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB in der neuen Fassung Vergehenstatbestände (Freiheitsstrafen von 5 Monaten bis zu fünf Jahren). Der Gesetzgeber trug mit dieser Veränderung des Strafrahmens der Vielzahl an möglichen und erwartbaren Fallkonstellationen Rechnung, denen eben keine Nötigung des Opfers mehr voraus gegangen sein muss.56
Die Grundtatbestände des § 177 Abs. 1 und 2 sind nach Abs. 3 StGB im Versuch strafbar. Der Versuch beginnt mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Vornahme der sexuellen Handlung bzw. mit dem unmittelbaren Ansetzen zur Einwirkung auf das Opfer.57
Ist die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf eine Krankheit oder Behinderung des Opfers zurückzuführen, so ist die Freiheitsstrafe gem. der Qualifikation nach § 177 Abs. 4 StGB nicht unter einem Jahr zu erkennen.
Gemäß § 177 Abs. 5 StGB ist ebenfalls auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr zu erkennen, wenn der Täter bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2 StGB
„1. gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.“ 58
Regelbeispiele des § 177 Abs. 6 StGB benennen zwei besonders schwere Fälle bei der Verwirklichung der Grundtatbestände nach § 177 Abs. 1 und 2. Vollzieht der Täter mit dem Opfer den Beischlaf, lässt er diesen vollziehen oder nimmt er ähnlich sexuelle Handlungen an dem Opfer vor, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung) oder lässt er diese vornehmen, ist ein Strafrahmen nicht unter zwei Jahren vorgesehen. Während der Gesetzestext des § 177 Abs. 6 StGB zwar nahezu wortgleich mit § 177 Abs. 2 StGB a.F. gestaltet wurde59, begeht der Täter allerdings „nunmehr auch dann eine Vergewaltigung, wenn er ohne eine Nötigung die Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 erfüllt, sodass es zu einer Loslösung von Ausübung von ‚Gewalt‘ im strafrechtlichen Sinne kommt“60. Gleicher Strafrahmen ergibt sich, wird die Tat von mehreren Personen gemeinschaftlich begangen.
Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist gem. § 177 Abs. 7 StGB zu erkennen, wenn der Täter
„1. eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.“
Verwendet der Täter bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug, misshandelt er das Opfer bei der Tat körperlich schwer oder bringt er das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes, sieht der Strafrahmen des § 177 Abs. 8 StGB eine Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vor. Nach Reformierung des Sexualstrafrechts mit Hilfe des 50. StrÄndG unterscheidet sich die textliche und damit inhaltliche Ausgestaltung des § 177 Abs.7 und 8 StGB nur unwesentlich von § 177 Abs. 3 und 4 StGB a.F.
§ 177 Abs. 9 StGB regelt die minder schweren Fälle für die Grunddelikte aus Abs. 1 und 2 sowie die Qualifikationen des Abs. 4 bis 8. Insbesondere kommt dessen Anwendung in Betracht, wenn eine sexuelle Handlung nur geringfügig über der Erheblichkeitsgrenze des § 184h StGB liegt.61 Wurde in der alten Fassung des § 177 StGB bei minder schweren Fällen (des Absatzes 1) auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren erkannt, so liegt der Strafrahmen in der neuen Fassung betreffend minder schwerer Fälle im Sinne der Absätze 1 und 2 bei drei Monaten bis zu drei Jahren und betreffend minder schwerer Fälle im Sinne der Absätze 4 und 5 bei sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Der Strafrahmen bezüglich minder schwerer Fälle der Absätze 7 und 8 liegt bei einem Jahr bis zu zehn Jahren und hat sich im Vergleich zur alten Fassung (§ 177 Abs. 3 und 4 StGB a.F.) nicht verändert.
Verursacht der Täter durch eine in § 177 StGB unter Strafe gestellte Handlung wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so liegt der Strafrahmen gemäß § 178 StGB bei nicht unter zehn Jahren oder lebenslanger Freiheitsstrafe. Im Zuge der Reformierung dieser Vorschrift wurde lediglich der Tatbestand des sexuellen Übergriffs hinzugefügt. Leichtfertigkeit bezeichnet in dem Zusammenhang einen erhöhten Grad an Fahrlässigkeit, die nahezu an den Vorsatz grenzt.62 Tötet der Täter das Opfer bei der Begehung eines Sexualdeliktes unter gleichzeitiger Verwirklichung von Mordmerkmalen,