Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk
kein besserer Ort ein, um die Klinge für immer verschwinden zu lassen.
Zwischen den beiden Hafenmauern erstreckte sich ein Stück Strand. Das Skelett eines zukünftigen Fischerboots lag dort, und die Zimmerleute, die sich auf Nemeras Geheiß zusammengefunden hatten, um dem einzigen Bootsbauer zur Hand zu gehen, brachten gerade die ersten Planken an. Ihr Hämmern hallte über den Strand. Die Regentin sah ihnen zu und ließ sich etwas erklären. Verglichen mit dem Gedränge hungriger Flüchtlinge, die beim Anlegen der Fischer stets schnell zusammenströmten, lag der Hafen geradezu ausgestorben da.
Nemeras Lächeln, als sie Athanor entdeckte, versetzte Laurion einen Stich. Es war, als ob Rhea und er neben dem Kaysar nicht existierten. Wie hätte er neben einem Gott auch bestehen können? Halbgott, wagte er einzuschränken. Wenn überhaupt. Unwillkürlich warf er Athanor einen Seitenblick zu, ob jener die ketzerischen Gedanken bemerkte. Von klein auf hatte man ihm beigebracht, an diesen fernen Kaysar zu glauben, aber es war doch offensichtlich, dass dieser Mann weder mystische Kräfte hatte, noch unsterblich war.
Nemera kam ihnen einige Schritte entgegen. »Ist es nicht großartig, wie schnell sie vorankommen?« Die Regentin strahlte vor Stolz, als hätte sie selbst Hammer und Hobel geschwungen. Sicher gab ihr der Bootsbau das Gefühl, etwas bewirken zu können. Laurion verstand sie nur zu gut.
»Ja, sehr hilfreich«, erwiderte Athanor im Vorübergehen.
»Seid Ihr denn nicht hergekommen, um nach dem Schiff zu sehen?«, fragte die Regentin irritiert.
»Nein.«
Laurion brachte es nicht über sich, Nemera so gekränkt stehen zu lassen. »Er kann es Euch vor den Männern nicht sagen«, raunte er ihr zu.
»Oh.« Nemera nickte verstehend und schloss sich ihnen an.
Als sie außer Hörweite waren, hielt Athanor ihr kurz das in grobes Leinen eingeschlagene Päckchen hin, das er in einer Hand trug. »Niemand soll wissen, was ich gleich versenken werde.«
»Was ist das?«
»Der Dolch.«
Die Regentin runzelte die Stirn. »Warum hast du ihn nicht dem Totenpriester gegeben?«
Athanor brummte nur.
»Der böse Zauberer hat das Messer auf den Kaysar geworfen«, sprang Rhea ein, während sie die wenigen Stufen auf eine der Hafenmauern emporstiegen. »Er will ihn umbringen, weil du jetzt seine Frau bist.«
Nemera erbleichte. »Aber wie … Kann er etwa …«
»Ich glaube, dass er nur Macht über diesen besonderen Dolch hat«, erklärte Laurion rasch. »Von Blutmagie verstehe ich zwar nicht so viel, aber er wurde mit dieser Klinge getötet, und ein Blutopfer setzt von allen Ritualen die stärkste Magie frei.«
»Bist du sicher, dass er nicht als Nächstes Athanors Schwert ziehen wird?«
Verlegen wich er ihrem Blick aus. »Ich kann es nicht gänzlich ausschließen. Niemand weiß, welche Zauber er beherrscht, und er kann sie immer noch anwenden. Wir müssen wohl eher fürchten, dass er wieder Untote beschwört, als Waffen zu lenken.« Nemeras Blick verriet ihm, dass er ihr damit nur noch mehr Angst machte, statt sie zu lindern.
»Aber du bist sicher, dass er den Dolch nicht aus dem Wasser fischen wird«, vergewisserte sich Athanor.
»Nicht, solange er an dem schweren Stein hängt. Über den Stein gebietet er nicht.«
Der Kaysar holte den Backstein, an den sie den Dolch mit mehreren Lederriemen geknotet hatten, aus dem Tuch. »Wollen wir hoffen, dass du recht hast«, sagte er und schleuderte den Stein ins Hafenbecken hinaus. Niemals hätte Laurion etwas so weit werfen können. Vielleicht war an den übermenschlichen Kräften doch etwas dran.
Platschend schlug der Stein auf und verschwand sofort unter der Oberfläche. Rasch sah Laurion zu den Handwerkern am Strand, doch es starrte niemand auffällig zu ihnen herüber.
»Das sollte das Letzte gewesen sein, was dich an ihn erinnern kann«, wandte sich Athanor an Nemera.
»Ich habe die Waschfrauen auch angewiesen, den Ruß von den Fliesen zu schrubben«, fügte Laurion eifrig hinzu. Der Fleck war zwar kaum von den Schäden durch das Drachenfeuer zu unterscheiden und würde sich nicht völlig entfernen lassen, aber der Versuch zählte.
»Geht er weg, wenn wir ihn vergessen?«, fragte Rhea mit kindlichem Ernst.
»Das darf …« Nemera verstummte beim Klang eines Horns.
Ein Drache! Schon hörte Laurion weitere Hörner in die Warnung einstimmen.
»Lauft zu den Zisternen und versteckt Euch!«, rief Athanor und rannte Richtung Palast davon. »Ich muss mich bewaffnen.«
Laurion wollte bereits loseilen, doch als sich Nemera nur zögernd in Bewegung setzte, rang er seine Angst nieder und wartete.
»Bestimmt ist es nur Akkamas, der zurückkehrt«, hoffte sie, klang aber selbst nicht überzeugt. Während sie Rhea bei der Hand nahm und eilig die Hafenmauer verließ, kehrte ihr besorgter Blick ständig zu dem unfertigen Boot zurück. Die Zimmerleute waren längst geflohen.
Laurion musste sich zwingen, Nemera nicht vor sich herzuschieben, damit sie schneller lief. »Herrin, auf diesem Strand bieten wir ein prächtiges Ziel!«
Noch einmal warnten die Hörner: Drachen in Sicht! Endlich rannte Nemera, aber sie blickte unglücklich zurück. »Sie werden es verbrennen. Es war alles umsonst!«
»Es ist nur ein Boot!«
Nemera sah so getroffen aus, dass Laurion seine Worte auf der Stelle bereute. Ein weiteres Schiff stand für mehr Nahrung, für eine Zukunft, und in der niedergebrannten Stadt gab es ohnehin kaum Holz … »Also schön.« Laurion blieb abrupt stehen. Überrascht hielt die Regentin inne, obwohl Rhea an ihrer Hand zog.
»Ich werde versuchen, das Boot zu retten«, versprach er, »aber bringt Euch endlich in Sicherheit!«
Nemera sah fragend aus. Sie öffnete bereits den Mund, besann sich jedoch, nickte nur und rannte endlich, so schnell Rhea konnte. Laurion zwang sich, ihr nicht nachzustarren, sondern zum Strand zurückzulaufen. Ich muss vollkommen bescheuert sein. Er hatte noch nie etwas so Großes vor den Blicken anderer verborgen, und ihm blieb nicht viel Zeit. Wie sollte er das schaffen? Wirkten Illusionen bei Drachen überhaupt? Sie tun es, fiel ihm ein. Sethon hatte den Großen Drachen in Gestalt des Obersten Priesters ermordet.
Gehetzt bückte er sich und schaufelte mit den Händen Sand, den er über das Schiffsskelett streute. Die wenigen Körner konnten es nicht tarnen, doch sie würden seinem Zauber einen Halt in der Wirklichkeit geben. Du bist Sand, flüsterte er dem werdenden Boot im Stillen zu. Mit aller Vorstellungskraft, die er im Lauf der Jahre erworben hatte, warf er einen Mantel aus Sand darüber, deckte es zu, als hätte der Wüstenwind eine Düne herbeigeweht. Immer deutlicher sah er nur noch Sand vor sich und ebnete ihn mit unsichtbaren Händen ein, bis nichts mehr an ein Schiff erinnerte. Er schloss die Augen und wandte sich ab. Jede hektische Bewegung, jeder falsche Gedanke konnte das Trugbild zerreißen, bevor es fest in der Welt verankert war. Erst als er ihm den Rücken zuwandte, öffnete er die Lider. Der Zauber wirkte am besten, wenn er ihn jetzt vergaß.
Eine Bewegung lenkte seinen Blick zum Himmel. Oh, verdammt … Über den Ruinen des Palasts schwebte der Drache. Er musste dort irgendetwas gesehen haben, denn er bäumte sich in der Luft auf und öffnete den Rachen wie zu einem Schrei. Doch Laurion hörte nichts. Ungläubig starrte er das Ungeheuer an. Die gewaltigen Schwingen waren zerrissen. Sie hingen in Fetzen, die bei jedem Flügelschlag flatterten wie makabre Fahnen. In der Schuppenhaut über den Rippen klaffte ein so großes Loch, dass Laurion dahinter den Himmel sah. Er ist tot. Und doch gleißte vor dem Maul ein Flammenstrahl auf.
* * *
Athanor hetzte in seine armselige Residenz. Das zweite Hornsignal bestätigte seine Ahnung, dass Akkamas nicht so unerwartet schnell zurückgekehrt war. Atemlos zog er das Kettenhemd über und gürtete sich mit den beiden Schwertern – dem