Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk

Athanor 3: Die letzte Bastion - David  Falk


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Kaum mehr als die Knochen war übrig geblieben. Es stank so stechend nach verbranntem Haar, dass Nemeras Zofe würgte. Erst jetzt wagte Athanor, von Sethon abzulassen.

      »Es … es tut mir leid«, stammelte Laurion. »Ich wusste nicht, dass Untote zaubern können.«

      Athanor nickte. »Er hat uns alle getäuscht.« Und wie hättest du ihn schon aufhalten können? Er war der Schlimmste von allen.

      Sichtlich erschüttert blickte Nemera auf die Klinge hinab, die neben den Knochen lag. »Das ist Hamons Dolch. Der Dolch, mit dem ich Sethon umgebracht habe.«

      »Wahrscheinlich wollte er sich rächen«, schätzte Athanor und betastete seinen zerkratzten Hals. »Aber nun ist es vorbei.«

      »Nein«, sagte Rhea leise unter dem Tisch hervor. »Er ist hier. Und er will nie wieder fortgehen.«

      * * *

      Chria glitt auf leisen Schwingen durch die Nacht. Im Mondlicht breiteten sich die Wälder der Elfenlande wie dunkles Moos unter ihr aus. Die fahle Scheibe war hell, beinahe wie immer, und doch bemerkte die Harpyie den Schleier, der wie kaum wahrnehmbarer Dunst zwischen ihr und den Gestirnen hing. Das Antlitz Hadons, des dunklen Gotts, spiegelte nicht länger ungetrübt das Licht seines Bruders Aurades. Zu viele Nächte hintereinander hatte sie es gesehen, um noch an eine Laune des Wetters zu glauben. Ein Vorbote. Doch für was?

      An dem Riemen, den sie im Schnabel trug, ruckte es. Wärme und ein verlockender Duft stiegen auf. An jedem Ende hing eines der Farnhühner, die den Faunen in die Schlingen gegangen waren, und sie am Leben zu lassen, war eine Qual. Die meiste Zeit rührten sie sich nicht. Sie hatten sich längst in ihr Schicksal ergeben. Doch von Zeit zu Zeit kehrte ein Funken Lebenswille zurück, und sie flatterten, wenn auch nur noch schwach.

      Chria stieß einen unwilligen Laut aus, den der geschlossene Schnabel dämpfte. Der Drang, die Krallen in diese zappelnden, raschelnden Federbündel zu schlagen, packte sie wie eine Windböe. Quälte sie mit Erinnerungen an frühere Beute, deren Leben unter ihren Klauen zerronnen war. An die Lust, den Schnabel in frische Eingeweide zu tauchen und einen blutigen Brocken herauszuzerren. Mühsam kämpfte sie dagegen an. Diese Gabe war nicht für sie bestimmt.

      Vor ihr kamen im Zwielicht die Heiligen Acht in Sicht. Die gewaltigen Bäume bildeten die Ecken der großen Halle Ardareas, und ihre silbrigen Kronen dienten als Dach. Wenn die Elfen aus der Sippe Ardas Häuser errichteten, bezogen sie bis heute kleinere Nachkommen der Acht in die Gebäude mit ein und ließen sich von ihnen gegen Sonne und Regen beschirmen. So ähnelte ihre Stadt einem mit Lichtungen durchsetzten Wald.

      Um nicht gesehen zu werden, schwang sich Chria höher in den Himmel hinauf, denn Elfen schliefen wenig. Sie nutzen die ruhigen Stunden zu Müßiggang und Besinnung. In etlichen Fenstern schimmerte deshalb noch Licht. Eine Weile kreiste Chria über der Stadt und vergewisserte sich, dass niemand um Omeons Haus herumstrich. Es stand einsam und düster, als sei es verlassen. Als ob der Schleier vor dem Mond dort dichter wäre.

      Lautlos landete Chria im Garten vor dem Haus und stakste zur Tür. Nervös sah sie sich dabei um. Am Boden fühlte sie sich unbeholfen und war sich ihres watschelnden Gangs bewusst. Sie hatte lange geübt, um die Unsicherheit vor den Elfen zu verbergen, aber über einem Abgrund, in den sie sich rasch fallen lassen und dann davonfliegen konnte, fiel es doch leichter als hier.

      Als sie auf die Schwelle trat, klickten ihre Krallen auf dem Gestein. In der Dunkelheit kam es ihr verräterisch laut vor. Wieder sah sie sich um. Wenn sie jemand beobachtete, würde man Omeon unangenehme Fragen stellen, und noch brauchte sie den alten Widerling. Leise klopfte sie mit dem Schnabel an. Die Tür gab nach. Chria musste sie nur aufdrücken, um ins Haus zu gelangen.

      Bei ihrem Eintreten hörte sie Omeons Gewänder rascheln. Er kam ihr entgegen, ein hoher, schlanker Umriss im nur vom Mondlicht erhellten Raum. »Willkommen, werte Freundin. Wie aufmerksam von Euch, mir ein Geschenk mitzubringen.« Gierig griff er nach dem Riemen und zog ihn ihr förmlich aus dem Schnabel. Die Farnhühner flatterten matt, als spürten sie die Nähe ihres baldigen Mörders.

      »Ein kleines Zeichen unserer ’ertschätzung«, gab Chria zurück. Ohne Lippen konnte sie bestimmte Laute nicht formen und ließ sie einfach aus. Es war klüger, Omeon nicht daran zu erinnern, dass er von diesen Geschenken abhing wie ein Bach von seiner Quelle. Umso wirkungsvoller konnte sie diesen Trumpf ausspielen, wenn sie ein Druckmittel brauchte.

      Während Omeon die Tiere nach nebenan trug, stakste Chria durch den zentralen Raum des Hauses, in dessen Mitte sich nach elfischer Sitte eine Feuerstelle befand. Die Glut darin war erloschen. Chria warf einen Blick durch eines der hohen Fenster in den Wänden, die aus schlanken, durch Magie aus dem Boden gewachsenen Steinsäulen und Baumstämmen bestanden. Die Abkömmlinge Ardas schätzten die Verbundenheit mit der Natur und verabscheuten die Glasfenster ihrer Verwandten aus der Blutlinie Piriths. Um Regen und Wind zu brechen, setzten sie nur kunstvolle Gitter ein.

      »Wir sind allein«, versicherte Omeon. »Ich habe seit Sonnenuntergang hier gesessen und nichts Verdächtiges gehört.« Weder seine Robe noch der von Besuch zu Besuch kahlere Schädel hoben sich von den Schatten des Zimmers ab. Es war fast, als hätte sie einen Geist vor sich. Doch wenn er die Augen bewegte, glänzten sie im Mondlicht und bewiesen, dass er noch lebte. Noch. »Seid Ihr sicher? Was ich zu berichten habe, ist nur für Eure Ohren bestimmt.«

      Kraftlos ließ sich Omeon auf die Bank fallen, die halbkreisförmig die Feuerstelle umgab. Chria legte den Kopf schief, um den Elf genauer zu betrachten. Er war alt, älter als jeder andere Elf zwischen den Trollhügeln und dem Fallenden Fluss, aber hatte er bei ihrer letzten Begegnung schon so gebrechlich gewirkt?

      »Ihr könnt frei sprechen«, behauptete er. »Ich habe im Lauf der Jahre … gewisse Vorkehrungen getroffen, die mich vor ungebetenen Gästen warnen. Wie macht sich mein neuer Schüler? Hat er das geheimnisvolle Dion erreicht?«

      »Er ist tot.«

      »Hm. Das … ist ein wenig enttäuschend.«

      »Davaron war sein ganzes Leben lang eine Enttäuschung«, befand Chria. »Wenigstens hat er sich am Ende als nützlicher Idiot erwiesen und Athanor tatsächlich über den Ozean gelockt.«

      »Wenn auch anders, als Ihr es geplant hattet«, stichelte Omeon.

      Obwohl er es im Zwielicht vielleicht nicht bemerkte, warf Chria ihm einen kalten, herablassenden Blick zu. »Meine Pläne zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch dann gelingen, wenn sich die Dinge unerwartet entwickeln.«

      »Das müsst Ihr mir erklären. Ihr hattet doch so ehrgeizige Ziele für Elanyas ungeborenen Bastard.«

      »Zweifellos wäre es besonders vorteilhaft gewesen, einen König auf Dions Thron zu setzen, der die Kaysarwürde der Menschen mit elfischem Blut vereint.« Seine Untertanen hätten ihm zu Füßen gelegen, gerade weil er eine Chimäre war, ein durch Magie entstandenes Mischwesen wie sie selbst, und doch einer von ihnen. »Mit den richtigen Beratern an seiner Seite wäre es leicht gewesen, ihn für unsere Zwecke einzuspannen.«

      »Und was ist stattdessen geschehen, dass Ihr dennoch von einem Erfolg sprecht?«, hakte Omeon nach. Auch seine Stimme war seit dem letzten Zusammentreffen brüchiger geworden. Der Dunkle ließ sich anscheinend doch nicht beliebig lange zum Narren halten, bevor er sich eine Seele holte.

      »Nun, Davaron hat Athanor nach Dion geführt, und nun haben sie ihn zum Kaysar ausgerufen – ganz, wie ich es vorgesehen hatte.«

      »Er hat die Drachen besiegt?«, staunte Omeon. In gewohnt elfischer Arroganz hatte er prophezeit, dass Dion wie Theroia enden würde.

      Sehr weit sind wir davon allerdings nicht entfernt. Chria war davon ausgegangen, dass der Große Drache Athanor rechtzeitig beistehen und das Volk Dions in größerer Zahl retten würde. Doch irgendein Narr hatte den Beschützer des Landes getötet und damit die verbündeten Drachen erzürnt. So dumm konnte wohl nur ein Mensch sein. Nach allem, was ihr die Schwestern aus den Donnerbergen berichtet hatten, wären die aufgebrachten Echsen beinahe davongeflogen. Erst die Fürsprache des Sohns des Großen Drachen hatte die meisten zum Bleiben gebracht. Doch das musste Omeon nicht


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