Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk

Athanor 3: Die letzte Bastion - David  Falk


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allzu gequält aussah. Ja, der Kaysar war manchmal schroff und ungeduldig. Und er hielt Magier für nutzlose Memmen, die er ständig aus Gefahren retten oder umbringen musste. Doch Laurion wollte nicht ungerecht sein. Ein hartes Schicksal hatte Athanor zu dem gemacht, der er war, und dafür, dass er die Drachen und Nekromanten besiegt hatte, verdiente er jedes erdenkliche Glück. Aber musste es ausgerechnet Nemera sein?

      Seufzend stand Laurion auf, um zu ihnen hinüberzugehen. Athanor war nun einmal der Kaysar. Wie es die alten Überlieferungen geboten, hatte Nemera in seinem Namen über Dion regiert. War es da nicht selbstverständlich, dass sie nun seine Königin wurde?

      Laurions Blick fiel auf die wenigen Lichter der ansonsten dunklen Ruinenstadt. Manche waren nicht mehr als der matte Widerschein eines Dungfeuers auf eingestürzten Häusern, andere loderten heller, doch stets markierten sie einen Ort, an dem Flüchtlinge ihr karges Mahl teilten. Umso überraschter hielt Laurion inne, als er eine Art Fackelzug bemerkte, der sich wie ein kleiner Schwarm aus Lichtern auf das Anwesen zubewegte. Er musste wohl beunruhigt aussehen, denn sofort fragte Athanor: »Ist da unten etwas?«

      Laurion trat an die niedrige Mauer, die das gesamte Dach umgab. »Es scheint eine Gruppe Leute herzukommen, aber ich kann noch nicht viel erkennen. Einige tragen Fackeln und Öllampen.«

      »Neuankömmlinge?« Nemera klang hoffnungsvoll, als sie mit Athanor und Mahanael an Laurions Seite kam. Sie freute sich über jeden Dionier, der den Drachen entgangen war und nun den Weg nach Sarna fand.

      »Eilig haben sie es jedenfalls nicht«, stellte Athanor fest.

      Leise Stimmen drangen herauf. Sie klangen weder aufgebracht noch fröhlich. Laurion glaubte, im Lichtschein einige bekannte Gesichter zu erkennen. »Ich sehe mal nach, was sie wollen«, beschloss er, denn es ziemte sich nicht, dass die Regentin oder gar der Kaysar selbst an die Tür gingen, um Bittsteller nach ihrem Begehr zu fragen. Dass ausgerechnet er sich an die höfische Etikette klammerte, hätte er nie von sich erwartet, aber wenn er Nemera nicht einmal als Haushofmeister dienen konnte, gab es keinen Vorwand, ständig in ihrer Nähe zu sein.

      Er stieg die Treppen hinab und ging zu der Tür, die einst nur eine Seitenpforte gewesen war. Nachdem das große Tor jedoch mit dem gesamten Ostflügel in Trümmern lag, gab es keinen anderen Eingang mehr.

      Im Anwesen herrschte Stille. Die meisten der wenigen Bediensteten kehrten abends zu den anderen Flüchtlingen zurück, und Nemera fühlte sich zu sehr als Teil der Notleidenden, um Palastwächter zu ernennen. Sie besaß nichts mehr, das zu rauben sich gelohnt hätte. Laurion fand es dennoch etwas leichtsinnig, aber wer war er, der Regentin zu widersprechen? So näherte er sich allein der Tür, und die im Feuer zersprungenen Bodenfliesen knirschten unter seinen Füßen.

      Als er öffnete, blendete ihn der Schein der Fackeln, sodass die Gestalt vor der Schwelle eine dunkle Silhouette blieb. Sofort fiel ihm auf, dass alle anderen Abstand von dem Mann hielten, der ein Schwert und eine Rüstung trug. Gespanntes Schweigen lag über den Versammelten, als warteten sie darauf, wie Laurion den Fremden aufnehmen würde. Eine Andeutung von Moder und Verwesungsgestank wehte Laurion in die Nase. Gütiger Drache! Instinktiv wich er einen Schritt zurück. Was sollte er gegen einen Untoten tun?

      Doch der Wiedergänger stand reglos vor ihm. Allmählich konnte er das Gesicht des ausgedörrten Leichnams sehen, doch es war zu entstellt, um ihn an jemanden zu erinnern. Aber dieser Helm … das Schwert … »Hamon?« Der Erste Krieger Dions. Nemera hatte erzählt, dass der Oberbefehlshaber in der Schlacht von einer Drachenklaue durchbohrt worden war. Schwer verwundet hatte er versucht, die Regentin auch vor dem Angriff der Untoten zu beschützen, und sie bis in den Tod verteidigt. Laurions Blick wanderte zum Bauch des Wiedergängers hinab. Das Loch im Kettenhemd war nicht zu übersehen. Draußen raunten sich die Flüchtlinge Hamons Namen zu und stellten sich zweifellos dieselbe Frage wie Laurion. Was hat das zu bedeuten?

      »Er möchte die Regentin sehen.« Rheas Stimme ertönte so unerwartet hinter ihm, dass Laurion zusammenzuckte.

      »Natürlich. Was sonst.« Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Aber sollte er es dem Untoten gestatten? Bei allen Göttern, es ist Hamon! Der alte Recke hatte bereits Nemeras Vater treu gedient. Laurion wich dem Blick der leeren Augenhöhlen aus, die unter halb geschlossenen Lidern verborgen waren. »Tretet ein, Herr!« Mit einer einladenden Geste gab er den Weg frei und ließ den Wiedergänger an sich vorüberschreiten, bevor er die Tür wieder schloss.

      Der untote Erste Krieger wartete nicht auf ihn. Steif marschierte er den Gang zur Treppe entlang, als ob er wüsste, wohin er sich wenden musste. Hastig eilte Laurion hinterher, um ihn zu überholen. Er durfte Nemera diesen Anblick nicht ohne eine Warnung zumuten.

      Atemlos erreichte er das Dach und keuchte: »Hamon. Es … ist … Hamon.«

      Athanor runzelte die Stirn, während Nemera entsetzt die Augen aufriss.

      »Der Erste Krieger?«, fragte Mahanael verwirrt.

      Laurion nickte. »Er ist tot. Untot«, platzte er heraus, als der Wiedergänger auch schon auf den obersten Stufen erschien.

      Die Regentin wich zurück und schlug sich eine Hand vor den geöffneten Mund, als müsste sie einen Schrei ersticken. Wie ein Mann traten der Kaysar und der Elf vor, um sie abzuschirmen. Keiner von ihnen trug bei Tisch eine Waffe. Selbst Athanor, den Laurion kaum jemals ohne Kettenhemd gesehen hatte, war nur in die Gewänder eines einfachen Mannes gekleidet. Doch der Untote rührte sein Schwert nicht an. Stumm hielt er auf Nemera zu, die sich fasste und zwischen ihren Beschützern hervortrat.

      »Wird deine Robe auch schwarz, wenn du tot bist?«, fragte Rhea.

      Wie kam sie jetzt bloß auf eine schwarze … Nein! Für einen Lidschlag stand Laurion wie erstarrt, dann stürzte er hinter dem Untoten her. »Passt auf! Es ist Sethon!«

      * * *

      Orkzahn stapfte durch den Herbstwald. Für den Besuch bei Rotwange hatte er seine beeindruckendste Keule geschultert – einen Oberschenkelknochen des untoten Drachen, den sie in Theroia besiegt hatten. Er hoffte, unterwegs noch einer passenden Beute zu begegnen, damit er auch ein Geschenk mitbringen konnte. Mürrisch trat er gegen einen menschenkopfgroßen Stein, der raschelnd im Gesträuch verschwand. Unter dem nachlässig gegerbten Bärenfell, das er um die Hüften trug, juckten die Käferzangen in der Axtwunde. Seine Nieren schmerzten, und beim Pissen hatte er Blut im Strahl entdeckt. Verfluchte Orks! Aber Rotwange würde wissen, welches widerliche Grünzeug er kauen musste, um rasch gesund zu werden. Darüber machte er sich keine Sorgen.

      Stattdessen kreisten seine Gedanken ständig um die untoten Orks. Wie hatten sie ihn am helllichten Tag angreifen können? Die theroischen Wiedergänger waren vor der Sonne in ihre Grabkammern geflohen. Hatte sie das Licht überrascht, waren sie einfach umgefallen. Tot. Gewöhnliche, reglose Leichen, an denen nichts verriet, dass sie sich bei Dunkelheit wieder erheben würden. Warum galt das nicht für diese Orks? Weshalb liefen sie überhaupt als Untote herum, anstatt sich in ihr Schicksal zu fügen?

      In Theroia hatte dieser alte Elf gestanden, dass er die toten Menschen durch irgendeine Zauberei zu Wiedergängern gemacht hatte. Dafür war er von den Trollen bei lebendigem Leib zerrissen und roh verschlungen worden. Doch wer hatte die Orks wiedererweckt? Orkzahn war am nächsten Tag auf die Suche nach einem Verantwortlichen gegangen. Er mochte kein guter Fährtenleser sein, aber nichts deutete darauf hin, dass sich irgendein zaubermächtiges Wesen in der Gegend befand. Konnten die Orks einfach so wieder aufgestanden sein, um sich an ihm zu rächen? Das hatten sie doch sonst nie getan. Es musste einen Grund dafür geben. Es gab für alles einen Grund. Aber ihm fiel keiner ein, und so drehten sich seine Gedanken immer weiter im Kreis. Er war kurz davor, sich die eigene Keule überzuziehen, um endlich wieder Ruhe zu haben.

      Wenn ich weiter vor mich hingrüble, werde ich gar nichts erlegen, erkannte er und achtete wieder auf seine Umgebung. Seit dem Kampf gegen die untoten Orks zweifelte er ständig, ob die Stille des Waldes um ihn herum noch üblich oder bereits wieder Vorbote neuen Unheils war. Der Wind rauschte zwar im bunten Laub, aber waren auch Vögel zu hören? Gelbe und rote Blätter segelten zu Boden, doch schwirrten auch noch Fliegen herum? Orkzahn grunzte. Neben ihm glitt


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