Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk
Euch die Zeit davon, dass Ihr es eilig habt?« Er sollte nicht glauben, dass sie keine ebenso spitze Zunge besaß wie er.
Omeon verschränkte lediglich die Arme und sah sie erwartungsvoll an.
»Er hat es bereits getan«, eröffnete sie ihm.
»So schnell? Aber Ihr sagtet doch …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe«, fiel sie ihm ins Wort. »Natürlich musste ich davon ausgehen, dass er nach dem Krieg gegen die Drachen eine Weile brauchen würde, um seine Herrschaft zu festigen und ein neues Heer aufzustellen, bevor ich ihn um diesen Gefallen bitten kann.«
»Was hat Euch bewogen, Eure Meinung zu ändern?«
»Nichts!«, schnappte Chria und wandte sich ab. Dieser Punkt zählte zu den ärgerlichsten Eigenmächtigkeiten, die sich je einer ihrer Mitstreiter erlaubt hatte. Der verfluchte Sphinx hatte Athanor das Schwert mit großer Geste an den Hof in Ehala bringen sollen, um seinen Anspruch auf die Kaysarwürde zu unterstreichen. Wie sie von den Meermännern erfahren hatte, war Athanors Schiff jedoch von einem Seedrachen versenkt worden, weshalb sie ihn bewusstlos auf die Insel des Sphinx geschleppt hatten. Was danach geschehen war, wusste ihr niemand zu berichten. Fest stand nur, dass ihre dionischen Schwestern die Knochen des Sphinx in der Wüste vor dem Turm gefunden hatten. Und der Wächter, ein gewaltiger Riese, lag tot in der Nähe.
»Einer unserer Verbündeten hat sich nicht an den Plan gehalten und damit alles aufs Spiel gesetzt«, erklärte sie wütend. »Imeron sei Dank hat Athanor mehr Glück als Verstand und die Aufgabe allein gemeistert.«
»Allein? Gegen den Riesen und Rakkathor?«, krächzte Omeon. »Wollt Ihr mich zum Narren halten? Er ist nur ein Mensch!«
»Der Narr war der Sphinx!«, schimpfte Chria. »Athanor sollte beiden mit einem Heer begegnen. Er hätte sterben können, und unsere Pläne wären zunichte gewesen!«
»Könnte unser Freund nicht einen guten Grund für seine Entscheidung gehabt haben?«
»Glaubt Ihr, darüber hätte ich nicht nachgedacht?« Vor Zorn spreizte Chria die Nackenfedern. »Wie ich es auch drehe und wende, es gibt keinen! Entweder war er dumm und übereifrig, oder er wollte Imeron auf eigene Faust befreien, um seine Gunst zu gewinnen. Was auch immer es war, er hat seine verdiente Strafe dafür erhalten.« Die Vorstellung der bleichen Knochen im Wüstensand besänftigte sie ein wenig.
Omeon hob beschwichtigend die Hände. »Mäßigt Euch! Eure Stimme wird … ein wenig schrill, wenn Ihr Euch ereifert. Wir wollen doch kein Aufsehen erregen.«
Am Liebsten hätte Chria seine Ohren mit einem gellenden Schrei zum Bluten gebracht, aber sie beherrschte sich. Auch wenn die Kräfte des Alten offenbar nachließen, konnte er immer noch nützlich sein. »Dann reizt mich nicht!«, fauchte sie nur.
»Es fällt mir eben schwer zu glauben, dass dieser dahergelaufene Mensch zwei solche Gegner bezwungen haben soll.«
»Er hat zunächst nur den Riesen besiegt. Warum auch immer er Rakkathor entgangen ist, der Drache flog davon und schwang sich zum Anführer des feindlichen Drachenheers auf. Athanor tötete ihn erst in der Schlacht.«
Omeon nickte, als ob ihm diese Erklärung genügte. »Dann steht uns der Turm also offen. Wer hätte gedacht, dass wir am Ende von den Ränken der Drachen profitieren würden … Habt Ihr auch schon einen Plan, wie wir jetzt vorgehen?«
»Mir wäre wohler, wenn ich wüsste, was hinter dem Feldzug der Drachen steckt«, gestand Chria. »Glaubt Ihr etwa, dass es hier nur um Rache geht?«
»Den Drachen? Sicher. Sie handeln stets aus den niedersten Motiven. Aber wenn Ihr es so andeutet, ja, es wäre nicht abwegig zu glauben, dass sie jemand aufgestachelt hat, um sie für seine Zwecke zu benutzen.«
»Aber wer könnte das sein?« Chria war nicht sicher. Es gab viele Götter und noch mehr halbgöttliche Wesen, die seit jeher im Wettstreit um die Macht über Ardaia lagen. »Habt Ihr irgendwelche Anzeichen bemerkt?«
Nachdenklich rieb sich der Elf das Kinn. »Doch, ich habe etwas bemerkt. Ich spreche nicht gern über … gewisse Rituale …«
Und ich bin nicht erpicht darauf, viel darüber zu hören, erwiderte Chria im Stillen. Sie wusste, dass es heuchlerisch war. Ob sie Beute schlug, um zu fressen, oder er tötete, um mit dem Blut sein erbärmliches Leben zu verlängern, spielte für die Opfer keine Rolle. Und doch trieb ihr das Wissen um sein Tun ein Schaudern über den Rücken.
»Die Wirkung hat nachgelassen«, gestand er. »Seit ein paar Monden hält sie nicht mehr so lange an wie zuvor. Ich muss sie in immer kürzeren Abständen wiederholen, sonst erlebe ich Imerons Rückkehr nicht mehr.«
»Könnte es denn nicht sein, dass nur … Eure Kräfte nachgelassen haben?«, fragte Chria gehässig. Nicht nur Drachen fanden an Rache Gefallen.
Omeon straffte die Schultern und reckte überheblich das Kinn. »Zügelt Euren Neid auf jene, die über Magie verfügen, und kommt zur Sache zurück! Wir müssen das weitere Vorgehen planen.«
»Wir können nicht weitermachen, als ob nichts wäre«, entschied Chria. »Die Toten erheben sich. Über den Himmel legt sich ein Schleier und trennt uns von den Kräften des Lichts. Irgendetwas hat sich verändert, und wir haben es – abgelenkt durch die Drachen – viel zu lange nicht bemerkt.«
»Ihr habt recht«, stellte Omeon fest. »Und eine Welt ohne Leben hat für Imeron keinen Reiz. Von uns ganz zu schweigen …«
»Wir müssen diese Entwicklung aufhalten!«, bekräftigte Chria. »Erst dann können wir uns wieder Imerons Befreiung widmen. Seid Ihr …« Skeptisch musterte sie den gebrechlichen Alten. »… in der Lage, nach Anvalon zu reisen? Ich will, dass Ihr nachlest, ob die Chroniken Eures Volkes von ähnlichen Vorgängen berichten.«
»Das wird nicht leicht«, gab der Elf zu. »Das Laufen fällt mir schon lange schwer. Aber ich werde einen Weg finden«, versprach er.
Das will ich hoffen. Sonst würde es mit den Geschenken, die ihm die Faune Imeron zu Ehren brachten, bald ein Ende haben. »Seid bei Euren Nachforschungen vorsichtig! Thuris starb beim Versuch, herauszufinden, was vorgeht.«
»Der alte Zentaur?«
»Er war der beste Schamane in unseren Reihen. Sein Tod könnte ein Zufall gewesen sein, doch darauf dürfen wir uns nicht verlassen. Leichtsinn ist der gefährlichste Gegner von allen.«
* * *
Schon lange hatte Athanor den Morgen nicht mehr so herbeigesehnt. Ungeduldig wartete er auf den Gesang der Drosseln, mit dem sie die Dämmerung begrüßten. Noch hörte er nur Laurions gleichmäßiges Atmen und das leise Wimmern, das Rhea manchmal im Schlaf von sich gab. Athanor kannte es von seinen Nachtwachen auf ihrem Marsch zur Küste. So tapfer das Mädchen tagsüber schien, in den Nächten holten es die Schrecken der Schlacht wieder ein. Oder träumte Rhea von Sethons Geist, der hier irgendwo im Zimmer lauerte?
Verfluchte Zauberer! Wie konnte Laurion seelenruhig schlafen? Bemerkte er den Blick des Toten nicht auf sich? Athanor glaubte, Sethons Gegenwart beinahe körperlich zu spüren. Es war zu kalt im Raum, die Luft zu dick. Bei jeder Regung fühlte er sich beobachtet. Wahrscheinlich ergötzte sich der verdammte Mörder daran, dass er ihn um den Schlaf brachte.
Obwohl Mahanael bei Mondaufgang aufgestanden war, um die Wache zu übernehmen, hatte Athanor kaum ein Auge zugemacht. Auch Nemera wälzte sich unruhig unter ihrer Decke. Athanor wusste nicht, wie er Rhea und ihr mehr Sicherheit geben sollte. Er konnte nicht mehr tun, als sie alle im Blick zu behalten, indem er sie in einem Raum schlafen ließ.
Hol’s der Dunkle! Wenn er ohnehin wach war, konnte er ebenso gut aufstehen. Barfuß ging er zu Mahanael hinüber. Der Elf lehnte am Türrahmen und sah auf den von Ruinen umgebenen Hof hinaus, der nur noch umgestürzte Säulen und verkohlte Sträucher beherbergte. Auf die Drosseln hätte ich lang warten können, erkannte Athanor. In ganz Sarna gab es keinen einzigen Garten mehr.
»Treibt dich die Drohung