Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk
brüllte vor Wut und Schmerz. Mit der Faust schlug er dem Untoten den Schädel ein. Der Ork wankte, doch er fiel nicht, holte stattdessen zum nächsten Hieb aus. Vor Zorn trübte sich Orkzahns Sicht. Dennoch fanden seine Hände den toten Körper und zerrissen ihn, schleuderten die kalten, schlaffen, blutlosen Teile in alle Richtungen. Kleiner und kleiner wurde die Masse aus Knochen und Fleisch, Haut und Innereien, bis seine Finger mit einem Mal ins Leere griffen. Es war nichts übrig. Der Wiedergänger lag in zuckenden Fetzen über die Lichtung verstreut.
Keuchend sah sich Orkzahn um und ließ mit einem Grunzen die Arme sinken. Für den Augenblick hatte er alle Gegner besiegt. Die beiden Aufgespießten kämpften noch darum, sich aus ihrer Lage zu befreien. Der auf dem Baum hatte es fast geschafft. Orkzahn ging hinüber und stieß ihn zurück. Um eine frische Leiche zu verbrennen, war sein Feuer zu klein. Wenigstens die unter den Felsbrocken Eingeklemmten saßen für die Ewigkeit fest. Aber der Zerrissene würde sich zusammensetzen, als ob sich seine Teile auf magische Weise gegenseitig anzogen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Orkzahn begann, die Fetzen in die Flammen zu werfen. Wenn er diesen erledigt hatte, würde er sich um die anderen kümmern. Er brauchte ein größeres Feuer. Es war möglich, dem Spuk ein Ende zu bereiten, indem er sie aß. Stiernacken hatte es in Theroia getan. Aber was sollte er mit so viel Fleisch anfangen? Er konnte Rotwange keinen untoten Braten bringen. Vielleicht fuhr dann der Geist eines Orks in sie. Widerspenstiges Pack! Sie waren tot und hatten es gefälligst zu bleiben.
3
Es hat Vorzüge, Kaysar zu sein. Genüsslich brummend ließ sich Athanor in die Bronzewanne aus dem zerstörten Fürstenpalast sinken. Die Flüchtlinge hatten sie in ein anderes Anwesen getragen, dessen einziger halbwegs bewohnbarer Trakt nun als Residenz für den Kaysar diente. Wie alle Herrenhäuser Dions war auch dieses um einen Innenhof herum angelegt worden, der unter eingestürzten Mauern begraben lag. Von der einstigen Pracht kündeten nur noch rußgeschwärzte Malereien an den Wänden. Nach dionischem Brauch gab es nicht einmal Fenster, und ein Vorhang ersetzte notdürftig die im Feuer vergangene Tür.
Nemera schloss ihn, nachdem die letzte Magd mit leerem Eimer gegangen war. Da die Sonne noch hoch am Himmel stand, fiel genug Licht durch den dünnen Stoff, um den Raum zu erhellen. Für einen großen Mann war die Wanne etwas zu eng, doch Athanor machte es sich so gemütlich wie möglich. Für eine Weile wollte er die Menschen dort draußen samt ihren zahllosen Problemen vergessen. Schweren Herzens hatte er ihnen gestattet, den verdursteten Priester in einem der Totenhäuser vor der Stadt beizusetzen. War der Kerl nun endgültig tot? Athanor traute der Sache nicht, doch nachdem Rhea den letzten Wunsch des Toten verkündet hatte, wäre ein Scheiterhaufen zu grausam gewesen. Soll sich Laurion darum kümmern. Vielleicht war der Magier so übel gelaunt, weil er sich nutzlos fühlte.
»Du siehst durch mich hindurch«, stellte Nemera amüsiert fest. Schon ihre dunkle Stimme ging Athanor unter die Haut. Sie trug das schwarze Haar aufgesteckt, was ihren langen Hals und das schmale, fast schon hagere Gesicht betonte. Ihr Kleid ließ die Arme unbedeckt und wurde nur von zwei Spangen auf den Schultern gehalten. »Was kann einen Mann mehr beschäftigen als eine Frau, die sich vor ihm auszieht?«
»Wenig«, gestand Athanor schmunzelnd. Durch halb geschlossene Lider sah er zu, wie sie die erste Spange löste und der Stoff bis unter eine der kleinen Brüste hinabfiel. Vielleicht war er doch nicht so müde, wie er geglaubt hatte. »Es ist nur manchmal nicht leicht, ein Gott zu sein.«
Lächelnd öffnete Nemera die zweite Spange und ließ das Kleid zu Boden gleiten. »Der Kaysar ist nun einmal Herr über die Welt«, meinte sie, nahm einen Schwamm und trat zu ihm an die Wanne. »Wie könnte er da kein Gott sein?«
»Dein Volk kann nicht ernsthaft glauben, dass ich über mehr als diesen jämmerlichen Haufen hier herrsche.«
Nemera beugte sich vor, um den Schwamm ins Wasser zu tauchen. Sie duftete nach dem kostbaren Öl, das aus einer der Kammern unter dem Regentenpalast in Ehala stammte. »Weshalb wundert dich das so?« Sanft begann sie, Schweiß und Staub von seiner Haut zu waschen. »Du bist auf einem Elfenschiff über den Ozean gekommen und fliegst auf einem Drachen in die Schlacht.«
Athanor verdrehte die Augen. »Hältst du mich deshalb gleich für einen Gott?«
»Hm, nein, ich glaube, ein Gott nickt nach dem Beischlaf nicht einfach so ein.«
»Ha! Elende Ketzerin!«, rief er und griff nach ihr, doch sie wich lachend vor dem Wasser zurück, das aus der Wanne schwappte. Gähnend wartete er darauf, dass sie wieder in Reichweite kam. Er würde seine Menschlichkeit heute wohl wieder unter Beweis stellen.
* * *
Gedankenverloren stocherte Laurion in seinem Linseneintopf herum. Nach außen bemühte er sich um Gelassenheit, doch in seinem Innern gärte es, und das Schlimmste war, dass er mit niemandem darüber sprechen konnte. Von Nemera abgesehen, waren alle seine Freunde tot. Falls er überhaupt so vermessen sein durfte, die Regentin zu seinen Freunden zu zählen.
Sicher, er hatte Rhea, die ihm die meiste Zeit wie ein Schatten folgte. Auch jetzt hockte sie ganz in der Nähe auf einem Kissen und löffelte im Gegensatz zu ihm eifrig die Suppe in sich hinein. Nach dionischer Sitte aßen sie auf dem Dach der Ruine unter dem Sternenhimmel zu Abend. Von hier hatten sie sogar Blick auf den Hafen und das im Mondlicht schimmernde Meer. Laurion schenkte Rhea ein tapferes Lächeln. Sie beide hatten Familie und Zuhause verloren, aber für das kleine Mädchen wog der Verlust ungleich schwerer. Solange sie um ihn war, vergaß er nie, dass andere schlimmere Schicksale erlitten hatten als er.
»Du siehst traurig aus.«
Dass Kinder immer so geradeheraus sein mussten … »Könnte daran liegen, dass ich traurig bin«, erwiderte Laurion und bekam ein schlechtes Gewissen, als Rhea sogleich besorgt aussah. »Es ist nichts Schlimmes«, versicherte er. »Ich bin nur ein bisschen wehmütig, weil niemand mehr einen Magier braucht.« Das war zwar nicht der Grund für seine Zerrissenheit, aber wahr genug, um davon abzulenken.
»Jeder braucht einen Zauberer. Zauberer können doch Wünsche erfüllen.«
Laurion lächelte nachsichtig. Meine eigenen Wünsche erfüllen zu können, wäre für den Anfang nicht schlecht. »Da hast du recht. Bevor …« … die Drachen kamen, wollte er sagen, aber das hätte Rhea nur an jenen schrecklichen Tag erinnert. »Also, früher haben sich die Leute ständig etwas von mir gewünscht. Die Bauern wollten, dass ich Donnervögel rufe, damit es auf ihren Feldern regnet. Großmeisterin Thegea erwartete, dass ich alle Zauber lerne, die sie beherrschte. Und die Regentin …« Unwillkürlich sah er zu Nemera hinüber, die mit Mahanael und dem Kaysar an einem anderen Tisch saß. »… musste ich vor bösen Magiern beschützen, die sich in den Palast schleichen wollten.«
Rhea sah ihn mit großen Augen an. »Gibt es denn keine bösen Zauberer mehr?«
»Nein, kleine Schwester, der Große Drache und der Kaysar haben sie alle … gefangen und bestraft.«
»Ich bin deine Schwester?«, fragte sie erstaunt.
»Alle Magier und Magierinnen sind Brüder und Schwestern«, behauptete Laurion. Zumindest nannten wir uns so. »Und da du die Stimme dieses toten Mannes gehört hast, glaube ich, dass du eine Magierin werden kannst.«
Diese Aussicht gab Rhea offenbar so viel zu denken, dass sie schweigend weiterlöffelte und vollkommen abwesend aussah. Nemeras Lachen lenkte Laurions Aufmerksamkeit wieder auf die Regentin. Der Kaysar schien gerade etwas Amüsantes gesagt zu haben, denn auch Mahanael lachte. Wie ein glühendes Stück Kohle brannte sich die Eifersucht in Laurions Herz. Seit der Schlacht um die Ordensburg hatte Nemera nur noch Augen für Athanor. Dass sie Laurion schon zuvor kaum Beachtung geschenkt hatte, zählte nicht. Auch wenn er nur einer von vielen jungen Männern am Hof gewesen war, hatte er zu ihren Vertrauten gehört und sich eingebildet, dass sie mehr als nur freundlich zu ihm war. Die Verhältnisse am Hof und die ständige Bedrohung durch Sethon hatten eben nicht mehr Nähe zugelassen, ohne einen Skandal oder Sethons Rache zu provozieren. Habe ich mir das alles nur eingebildet?
»Laurion!«, rief Athanor und gab ihm