Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk

Athanor 3: Die letzte Bastion - David  Falk


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einbildet, aber …«

      »Sie hat ihn als Einzige erkannt.«

      Athanor nickte. Laurion hatte den Anstand besessen, Rheas Verdienst nicht als den eigenen auszugeben. Doch das war es nicht allein. Seit Rhea wie aus dem Nichts aufgetaucht war und den fliehenden Davaron zu Fall gebracht hatte, umgab sie etwas Rätselhaftes, das Athanor Respekt einflößte. Sie war nicht irgendein Kind. Wissentlich oder nicht – sie hatte ihm zu seiner Rache verholfen und keine Angst vor ihm gezeigt, obwohl er Davaron vor ihren Augen die Kehle aufgeschlitzt hatte. Wenn jemand unheimliche Fähigkeiten besaß, dann sie.

      »Vielleicht kann sie mit ihm sprechen und ihn dazu bringen, sich in sein Schicksal zu fügen«, hoffte Mahanael.

      Athanor schnaubte. »Der Dreckskerl hat Nemera seit Jahren bedroht. Er hat ihren Vater auf dem Gewissen und Hunderte Unschuldige abschlachten lassen, um sie gefügig zu machen. Glaubst du ernsthaft, dass er verschwindet, nur weil ihn ein kleines Mädchen darum bittet?«

      Mit einer Geste mahnte ihn Mahanael, die Stimme zu dämpfen, damit sie die anderen nicht weckten. »Es klingt nicht, als könnte irgendetwas sein Herz erweichen, aber welche Wahl haben wir? Ich verstehe nichts von Geistern. Wir Elfen gehen ins Ewige Licht, oder unsere Seelen werden von den Jägern aus der Schattenwelt geraubt.« Bereits die Vorstellung ließ Mahanael schaudern.

      »Wir Menschen mögen kein Ewiges Licht haben, aber Hol’s der Dunkle bedeutet genau das: Seine verfluchten Diener sollen die Toten ins Schattenreich bringen! Nur dann gehen sie nicht unter den Lebenden um. Seit wann erledigen sie ihre verdammte Aufgabe nicht mehr? Und vor allem warum?«

      Der Elf nickte nachdenklich. »Ich mag nur ein Seemann sein, aber ich weiß, dass sich die Götter den niederen Wesen niemals erklären. Wir bedeuten ihnen nicht mehr als einem Fischer die Algen im Meer. Wenn wir Antworten wollen, müssen wir die Wahrheit selbst ergründen.«

      4

      Kurz nach Sonnenaufgang kam endlich der Totenpriester. Zu Athanors Bedauern war es der einzige Götterdiener unter den Flüchtlingen. Gern hätte er ihn gegen eine heilkundige Priesterin der Urmutter Kaysa eingetauscht, die wenigstens nützlich gewesen wäre. Aber wenn es dem Mann gelang, ihnen Sethon vom Hals zu schaffen, würde er ihn gnädiger beurteilen.

      Als der Priester eintraf, lungerten schon Neugierige um das Anwesen herum und verdrehten sich die Hälse, um einen Blick auf ihren Kaysar oder die Regentin zu erhaschen. Die Geschichte von Sethons hinterhältigem Anschlag hatte sich ausgebreitet wie Flammen in einer Scheune. Der Totenpriester schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Athanor beobachtete vom Dach aus, wie er durch die Schaulustigen stolzierte. Ähnlich wie die Drachenpriester, von denen Athanor ebenso wenig hielt, trug der Mann nur einen ärmellosen schwarzen Mantel und einen ebenso dunklen Rock, der fast bis zu den Knien reichte. Der Schädel schien jedoch nicht geschoren, sondern von Natur aus kahl, was wohl der umso dichtere, akkurat geschnittene Bart wettmachen sollte. Um den Hals und an den Armen glänzten goldene Amulette. Wer als Flüchtling so viel Zeit für sein Äußeres hatte, packte wohl kaum beim Wiederaufbau der Stadt mit an.

      »Ich ertrage das nicht«, sagte Nemera neben ihm und deutete auf Sethons Überreste, ohne den Blick darauf zu richten. »Es raubt mir die Luft.«

      Athanor fragte sich, ob es an der Nähe des Geists lag, die er in der Nacht gespürt hatte.

      »Ich werde beim Bau des neuen Boots nach dem Rechten sehen«, beschloss Nemera. »Wenn ich zurückkomme, wird hoffentlich nichts mehr an … ihn erinnern.«

      Mitfühlend strich er ihr über den Arm, bevor sie ging. Er wusste, er hätte sie umarmen oder küssen sollen, doch er war nie ein guter Heuchler gewesen. Er empfand einfach nicht genug für sie. Sie mochte klug, schön und im richtigen Augenblick tapfer sein, aber sie war nicht Elanya.

      Als er Stimmen hörte, wusste er, dass sie unten dem Priester begegnet war. Kurz danach führte Laurion den Mann die Treppe herauf. Ehrerbietig fiel der Priester vor Athanor auf die Knie und berührte mit der Stirn beinahe den Boden. Athanor hörte das goldene Amulett, das dem Mann um den Hals baumelte, auf den Fliesen klappern. Es zeigte das Schiff, auf dem die Toten über den Ozean in die Alte Heimat fuhren, während die Armreife zu den Drachen geformt waren, die das heilige Boot angeblich beschützten.

      »Euer ergebenster Diener liegt Euch zu Füßen, Herr«, verkündete der Priester. »Mein Herz fließt über vor Freude, Euch leibhaftig zu begegnen.«

      »Schon gut, Ihr könnt Euch erheben. Wie heißt Ihr?«

      Etwas umständlich stand der Dionier wieder auf. Als Mann von Rang hatte er wohl wenig Übung darin, vor anderen im Staub zu kriechen. »Mein Name ist Menep, Ehrwürdiger Kaysar.«

      Athanor nickte. »Menep, ich habe Euch rufen lassen, weil Ihr Totenpriester seid und wir hier einen Toten haben.« Er bedeutete Menep, ihm zu den verkohlten Klumpen und rußigen Knochen zu folgen, für die sich nicht einmal die Krähen am Himmel interessierten. »Er war ein Schlächter und Leichenschänder, den ich den Hunden verfüttern würde, wenn wir noch welche hätten. Aber er bleibt selbst im Tod ein gefährlicher Mann, deshalb müsst Ihr dafür sorgen, dass sein Geist nicht länger umgeht.«

      Menep erbleichte. »Ihr wünscht eine Bestattung in einer Gruft für … einen Nekromanten?«

      Athanor ahnte, was in dem Priester vorging. Jahrelang hatten die Leichenschänder alles mit Füßen getreten, woran Menep glaubte, und seine Arbeit ins Gegenteil verkehrt.

      »Wir wollen alles, was Ihr aufbieten könnt«, erklärte Laurion. »Besticktes Totenhemd, Amulette, Weihrauch und jeden Tag Gebete für die sichere Überfahrt seiner Seele.«

      Da Athanor nicht viel über die dionischen Bestattungsriten wusste, vertraute er dem Magier und nickte.

      »Aber, Herr«, wandte Menep ein, »Ihr seid es doch, der den Toten eine sichere Überfahrt gewährt. Wenn Ihr diesen Geist nicht zu bannen vermögt, wie sollte ich es da können?«

      * * *

      Orkzahn hatte den Jungen gefragt, woran Rotwange gestorben war, doch er hatte keine Antwort erhalten. Ergeben und stumm trottete das Kind hinter ihm her. Es sagte nichts, lächelte nicht und spielte nicht mit Ästen oder Steinen, wie es andere Kinder getan hätten. Es kam Orkzahn beinahe wie ein weiterer Untoter vor. Aber es atmete, und es aß, was er ihm reichte, also musste es lebendig sein.

      Für gewöhnlich bekamen Waisen den Namen Mutterlos, bis sie sich einen anderen verdienten. Nach zwei Tagen des Schweigens fand Orkzahn Ohnewort passend. Sie näherten sich der Gegend, in der sich Stiernacken niedergelassen hatte, nachdem sie aus der elfischen Sklaverei zurückgekehrt waren. Vielleicht hatte Stiernacken den Vater des Jungen vertrieben. Da alle kampffähigen Trollmänner Dienst bei den Elfen verrichtet hatten, konnte es Rotwange nur mit einem Halbstarken oder einem alten Knochen getrieben haben. In beiden Fällen wäre es einem Kerl wie Stiernacken ein Leichtes gewesen, den Nebenbuhler auf Wanderschaft zu schicken.

      Wenn man vom Oger spricht … Orkzahn straffte den Rücken. Die Schmerzen in seinen Nieren hatten nachgelassen, aber wenn er sich aufrichtete, spürte er sie noch immer. Wenigstens pisste er kein Blut mehr.

      Stiernacken kam gerade das lang gezogene Tal herauf, das er für sich beanspruchte. In der Rechten trug er seine Keule, mit der Linken hielt er ein gebratenes Wildschwein auf seiner Schulter. Auch er hatte sich aus Theroia eine Drachentrophäe mitgebracht – drei Krallen, von denen jede einen passablen Dolch für Athanor abgegeben hätte. Doch der Troll trug sie an einer Schnur um den Hals, wenn er jemanden beeindrucken wollte.

       Woher wusste er, dass heute jemand zu ihm kommen würde?

      Als Stiernacken sie bemerkte, blieb er stehen und reckte sich ebenfalls. Allzu misstrauisch auszusehen, galt als Zeichen von Schwäche, aber ein Trollmann konnte nie wissen, ob ein Besucher als Freund kam oder es auf sein Jagdgebiet abgesehen hatte.

      »Stiernacken! Alter Untotenfresser! Bringst du einer Freundin ein Geschenk?« Orkzahn grinste anzüglich, um seinem einstigen Kameraden die Anspannung zu nehmen. »Komm!«, forderte er Ohnewort auf, ihm zu folgen.


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