Athanor 3: Die letzte Bastion. David Falk

Athanor 3: Die letzte Bastion - David  Falk


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zurück und behielt ihn genau im Auge. Sein Freund war ein beeindruckend breitschultriger Troll. Vielleicht wäre er sogar ein paar Fingerbreit größer als Orkzahn gewesen, hätten ihn die Speck- und Muskelberge in seinem Nacken nicht in eine leicht gebeugte Haltung gezwungen. Haare und Bart waren zu braunem Gestrüpp verwachsen, in dem noch trockenes Moos von seinem Nachtlager hing. »Bist du unter die Weiber gegangen?«, fragte er mit einer knappen Geste in Ohneworts Richtung und grinste nun ebenfalls.

      Orkzahn lachte. Andere hätten mit der Faust geantwortet, doch diese Männer wären niemals Anführer geworden. Ein Anführer wusste, wann es sich lohnte, zuzuschlagen. Sticheleien prallten an ihm ab wie Regen am Fels. »Das ist Ohnewort, Rotwanges Sohn. Seine Mutter ist tot.«

      Stiernacken hob verwundert die borstigen Brauen. »Woran ist sie gestorben?«

      »Er will’s mir nicht sagen.«

      »Hm.« Stiernacken bedachte den Jungen mit einem missbilligenden Blick.

      »Ich habe keine Wunden und kein Blut gesehen. Ich glaube nicht, dass sie überfallen wurde.«

      »Wo hast du sie gefunden?«

      »Hab ich nicht. Sie hat mir den Jungen gebracht und ist umgefallen. Aber sie war schon vorher tot.«

      Ein Moment des Schweigens verging, dann riss Stiernacken die tief liegenden Augen auf. »Sie war ein Wiedergänger?«

      Orkzahn nickte. »Genau wie die verfluchten Menschenkrieger in Theroia. Und am Tag zuvor haben sich sechs tote Orks wieder erhoben. Einer steckte sogar schon auf meinem Bratspieß.«

      »Man muss sie essen, dann ist Ruhe«, versicherte Stiernacken.

      Orkzahn nickte und wollte lieber nicht wissen, ob diese Bissen im Magen noch zuckten, bis sie verdaut waren.

      »Deine Mutter natürlich nicht«, fügte Stiernacken mit einem Seitenblick auf den Jungen hinzu.

      Eine Weile standen sie schweigend beisammen. Für Ohnewort wollte Orkzahn nicht die Hand ins Feuer legen, aber Stiernacken dachte zweifellos über das Gehörte nach. Sein Freund mochte kein besonders schlauer Kerl sein, aber manchmal kamen ihm so erstaunliche Einfälle wie der, die Untoten einfach zu essen. Man musste ihm nur Zeit lassen, eins und eins zusammenzuzählen.

      »Da geht etwas vor«, sagte er schließlich. »Ich war nämlich gerade auf dem Weg zu dir.«

      »Hast du auch Wiedergänger gesehen?«

      »Nein. Aber vor ein paar Tagen hat mir Alte Eiche von einem Faun erzählt, den er erlegt hat.«

      Orkzahn brummte zwiespältig. Der knorrige Alte Eiche verdiente Respekt dafür, einen der schwer zu fangenden Faune erwischt zu haben. Seit jeher wurden sie von den Trollen ebenso als Beute betrachtet wie Menschen und Elfen. Doch unter Athanors Befehl hatte er Seite an Seite mit den Faunen gegen das Untotenheer gekämpft, und nur eine Handvoll Faunkrieger hatte das Gemetzel überlebt. Ohne Männer war das Volk der Faune dem Untergang geweiht. Es kam ihm falsch vor, unter diesen Umständen noch Faune zu fangen. Aber sollte er Alte Eiche deshalb tadeln? Mit welchem Recht? Ich denke einfach zu viel.

      »Ja, lecker«, schwärmte Stiernacken. »Ich war auch neidisch … Hm. Jetzt hab ich Hunger.« Er brach eine Keule vom gebratenen Wildschwein ab, das ihm noch immer über der Schulter hing, und bot sie mit einer auffordernden Geste Ohnewort an.

      Der Junge zögerte und sah fragend zu Orkzahn auf.

      »Essen wir«, stimmte Orkzahn zu, um Stiernacken endgültig von seinen friedlichen Absichten zu überzeugen. Nur Oger fielen nach einer gemeinsamen Mahlzeit über ihren Gast oder den Gastgeber her. Einen Troll, der sich so hinterhältig benahm, würden sämtliche Frauen von ihrer Höhlenschwelle jagen.

      Sie setzten sich in den Schatten der Bäume, und Stiernacken teilte seinen Proviant unter ihnen auf. Während Orkzahn gebratene Rippen knabberte, ging ihm Alte Eiches Fang nicht aus dem Kopf. »Du wolltest zu mir kommen, nur um mir von dem Faun zu erzählen?«

      »Mhm«, machte Stiernacken mit vollem Mund. »Weil du in Theroia unser Anführer warst und so. Ich dachte, du solltest es wissen.«

      Gab es eine Verbindung zwischen Rotwange, den untoten Orks und diesem Faun? Auf den ersten Blick konnte Orkzahn keine erkennen, und er war des vielen Nachdenkens leid.

      Stiernacken entfuhr ein Brummen, als sei ihm gerade noch etwas eingefallen. »Das Wichtigste weißt du ja noch gar nicht.« Seelenruhig kaute er weiter, bis Orkzahn kurz davor war, die Worte aus ihm herauszuschütteln. »Alte Eiche war satt. Er hat den Faun also ausgeweidet und mit nach Hause genommen. Nachts bekommt er plötzlich eins auf den Schädel. Ziemlich derb. Ich hab die Beule gesehen. Er wacht davon auf, und vor ihm steht der Faun. Hat ihm den eigenen Knüppel auf den Schädel gehauen.« Stiernacken lachte, dass ihm Knochenkrümel in den Bart fielen. »So ein Dummkopf! Als ob ein Faun einen Troll erschlagen könnte!«

      Orkzahn stimmte halbherzig ins Lachen ein. Hätte der untote Faun eine bessere Waffe in der Höhle gefunden, könnte Alte Eiche wohl nicht mehr mit der Geschichte prahlen. Noch ein Wiedergänger. Wenn das so weiterging, wanderten bald Heerscharen von Untoten in den Trollhügeln herum.

      »Du hast recht. Da geht etwas vor«, bestätigte Orkzahn. Doch wie sollte er herausfinden, was hinter diesem Unheil steckte? Er verstand nichts von ruhelosen Geistern oder Zauberei. Vielleicht wusste Rotwange, warum sie nach ihrem Tod wieder aufgestanden war. »Wir brauchen einen Schamanen. Einen, der mit den Toten sprechen kann.«

      * * *

      Grimmig legte Athanor den Dolch vor sich auf den Tisch. Der Priester hatte die Klinge mitsamt den Knochen einsammeln wollen, doch Athanor hatte ihn daran gehindert. Auch wenn sich die goldenen Ornamente auf dem Griff im Feuer verformt hatten, war die Waffe noch immer von beträchtlichem Wert. Eisen war rar in Dion, und womöglich hatte nicht einmal ein Schmied überlebt, der eine stählerne Klinge fertigen konnte. Auch wenn Grabraub mehr denn je als verwerfliche Tat galt, wollte Athanor sichergehen, dass Nemera den Dolch nicht eines Tages am Gürtel eines Flüchtlings sah.

      »Was wirst du damit tun?«, fragte Rhea und musterte die Waffe mit undeutbarer Miene.

      »Ins Hafenbecken werfen.« Das würde das Beste sein. Wenn er sie irgendwo vergrub, buddelte sie womöglich jemand wieder aus.

      »Warum schneidest du dem bösen Zauberer nicht die Kehle auf? Wie dem Elf, der meinen Käfer zertreten wollte.«

      Athanor entfuhr ein frustriertes Knurren. »Ich kann den verfluchten Kerl doch nicht einmal sehen!«

      »Aber du bist der Kaysar.«

      »Fang du nicht auch noch an! Die anderen haben mich zu einem Gott ernannt. Ich habe nie behauptet, dass ich die Toten beherrsche.« Ich bin schließlich kein verdammter Nekromant! Mit einem Mal wünschte er, sie hätten wenigstens eines dieser Schweine am Leben gelassen. Vielleicht hätte einer von ihnen gewusst, was zu tun war. Unsinn. Wir könnten ihm niemals vertrauen.

      »Er sagt, du hast ihm die Frau weggenommen.«

      Athanor merkte auf. »Er ist hier? In diesem Raum?«

      Rhea nickte. »Stimmt es, dass du sie ihm weggenommen hast?«

      »Nemera wollte nicht seine Frau sein. Er ist ein Mörder und ein Lügner, dem du nicht glauben darfst.«

      Plötzlich zitterte der Dolch so heftig, dass er leise auf der Tischplatte klapperte.

      »Jetzt ist er wütend«, japste Rhea. »Er will dich umbringen!«

      Die Klinge schoss über den Tisch. Athanor warf sich zur Seite, dass der Stuhl unter ihm kippte. Hastig rappelte er sich wieder auf. Der Dolch steckte einen Fingerbreit tief in der Wand.

      * * *

      Die Stadt Sarna lag in einer Bucht, deren natürlichen Schutz die Bewohner durch Mauern verstärkt hatten. Wie zwei bergende Arme ragten die beiden Molen ins Meer hinaus, doch an die Schiffe erinnerten nur noch verkohlte Maststümpfe, die aus dem Wasser ragten. Laurion hoffte, dass der Dolch im Durcheinander der Wracks und der versunkenen


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