Theorien der Sozialen Arbeit. Christian Spatscheck

Theorien der Sozialen Arbeit - Christian Spatscheck


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kombiniert, um das Gemeinwohl zu verbessern, ziehen sich durch sein ganzes Buch „Der Wohlstand der Nationen“ hindurch. Mit diesen Vorstellungen knüpft Smith wiederum an diejenigen von Thomas von Aquin und anderen an:

      „Der einzelne ist stets darauf bedacht, herauszufinden, wo er sein Kapital, über das er verfügen kann, so vorteilhaft wie nur irgend möglich einsetzen kann. Und tatsächlich hat er dabei den eigenen Vorteil im Auge und nicht etwa den der Volkswirtschaft. Aber gerade das Streben nach seinem eigenen Vorteil ist es, das ihn ganz von selbst oder vielmehr notwendigerweise dazu führt, sein Kapital dort einzusetzen, wo es auch dem ganzen Land den größten Nutzen bringt“ (Smith 1993, 369).

      (c) Auf die „unsichtbare Hand“ vertrauend, die alles zum Besten lenkt, fordert Smith höchstmögliche Freizügigkeit im Wirtschaftsleben innerhalb eines Staates und im Handel zwischen den verschiedenen Staaten. Der Staat, das heißt die Regierung, soll möglichst nicht in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen:

      „Gibt man daher alle Systeme der Begünstigung und Beschränkung auf, so stellt sich ganz von selbst das einsichtige und einfache System der natürlichen Freiheit her. Solange der einzelne nicht die Gesetze verläßt, läßt man ihm völlige Freiheit, damit er das eigene Interesse auf seine Weise verfolgen kann und seinen Erwerbsfleiß und sein Kapital im Wettbewerb mit jedem anderen oder einem anderen Stand entwickeln oder einsetzen kann“ (a. a. O., 582).

      Unter der Bedingung, dass natürliche Freiheit in einem Lande herrscht, der moralische Selbstschutz im Volke intakt ist und Wettbewerb und Rechtsordnung das ökonomische Verhalten disziplinieren, sind Staatseingriffe in den Wirtschaftsablauf, aber keinesfalls der Staat selbst überflüssig, weil sonst der Wohlstand des Gemeinwesens abnimmt (vgl. Recktenwald 1993, LXII). In der Regel beeinträchtigt nach Smith jede sektorale und gruppenegoistische Interessenpolitik des Staates den Wohlstand aller. Der Staat muss nach Smith aber gemeinsame Einrichtungen schaffen, die mächtig genug sind, um das Land gegen Angriffe anderer Staaten zu schützen und jedes einzelne Mitglied der Gesellschaft soweit wie möglich vor Ungerechtigkeit oder Unterdrückung durch andere Mitbürger zu schützen, um Streit gerecht zu schlichten und jene lebensnotwendigen Güter – wie Schulen, Universitäten, Straßen, Brücken usw. – anzubieten, die von Privatpersonen nicht angeboten werden, weil sie daraus keinen Eigennutz ziehen können (vgl. Smith 1993, 612). Die Liste der von Smith für gerechtfertigt gehaltenen Staatseingriffe ist lang. Sie reicht von der Regulierung des Bankgeschäfts und der Kontrolle der Zinsen über Steuern zur Eindämmung des Alkoholkonsums bis hin zur Förderung von Kunst und Kultur. Der „unsichtbaren Hand“ ist also eine deutlich sichtbare Hand zur Seite gestellt (vgl. Kurz 1991).

      (4) Die Armen und die Armut: Naturgemäßes, an der Eigenliebe orientiertes Handeln ist für Smith zugleich nützlich, vernünftig und sittlich. Einzel- und Gemeinwohl werden von Smith gleichgesetzt. Wenn der Staat es zu Wohlstand gebracht hat, dann nehmen alle Mitglieder des Staates am Wohlstand teil. Nach der optimistischen Theorie von Smith darf es eigentlich keine Armut und keine Armen in einem Staat geben. Nach Smith kann man es nämlich nicht als Nachteil für ein Land betrachten, wenn auch für Dienstboten, Tagelöhner und Arbeiter die Lebenslage verbessert wird, denn keine Nation kann blühen und gedeihen, deren Bevölkerung weithin in Armut lebt. „Es ist zudem nicht mehr recht als billig, wenn diejenigen, die alle ernähren, kleiden und mit Wohnung versorgen, soviel vom Ertrag der eigenen Arbeit bekommen sollen, dass sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und anständig wohnen können“ (Smith 1993, 68). Eine großzügige Entlohnung der Arbeiter ist daher Bedingung für den Wohlstand der Nationen.

      Fragen der Armenpflege und Fürsorge spielen in diesem Wirtschaftsliberalismus keine Rolle, da für Smith Armut das Ergebnis einer nur vorübergehenden Arbeitslosigkeit ist. Wenn Menschen dennoch arm und hilfsbedürftig sind, muss ihnen – so meint Smith – von den Gemeinden, in denen sie wohnen, zweckmäßig geholfen werden. Das vorrangige Ziel muss dabei aber immer bleiben, ihnen Arbeit zu beschaffen und sie wieder in den Produktionsprozess einzugliedern. Für Smith bleibt jemand arm, weil er keine Arbeit hat, und es für ihn schwierig ist, sich außerhalb seiner Heimatgemeinde anzusiedeln und dort eine Arbeitserlaubnis zu bekommen; denn die Gemeinden – sie sind zum Unterhalt der Armen verpflichtet und befürchten, dass die neuen Zuwanderer weiterhin arbeitslos bleiben – wollen Arbeitslose nicht aufnehmen, um so eine zu erwartende finanzielle Belastung zu vermeiden. Wenn jemand aus einer Gemeinde von dieser schuldhaft vertrieben und in einer anderen nicht aufgenommen wird, so verstößt das für Smith gegen die natürliche Freiheit und gegen die Gerechtigkeit, weil diesem Mensch damit die Lebensgrundlage genommen worden ist (vgl. a. a. O., 118 ff.).

       4.6 Bedeutung für die Soziale Arbeit

      Smiths Beitrag zur ökonomischen und sozialen Wissenschaft galt schon zu seinen Lebzeiten als außerordentlich anregend, fruchtbar und wegweisend. Seine Theorie von der natürlichen Freiheit und Gerechtigkeit, von Glück und Wohlstand für alle gehört zu den sozialphilosophisch-ökonomischen Entwürfen, die bis in die Gegenwart hinein Wissenschaft, Wirtschaft und Politik beeinflussen. Die weltweite Bedeutung wird nicht zuletzt in der fundamentalen Argumentation von Smith gegen jedes kollektivistische System gesehen. Die theoretische Begründung einer freien und sozialen Marktwirtschaft – wie in Deutschland beispielsweise – wird weitgehend auf Erkenntnisse von Smith zurückgeführt. Es geschieht aber auch nicht selten, dass Smith Thesen zugeschrieben werden, die sich wirklich nicht mit seinem Werk begründen lassen. So hat Smith weder das Primat der Ökonomie gegenüber der Politik vertreten noch einen schrankenlosen Egoismus gerechtfertigt. Von Smiths Denken führt der Weg zu einem Liberalismus, der am Prinzip der sozialen Gerechtigkeit orientiert ist – diese Grundtatsache sollten sich alle, die sich auf ihn berufen, immer wieder vor Augen halten.

      Die Theorie von Smith ist für viele eine in ihrer Art einmalige Analyse der menschlichen Natur, so, wie sie ist, nicht, wie sie nach unserem begrenzten Verstande sein sollte, eine Analyse des moralischen und ökonomischen Verhaltens des Einzelnen in der Gemeinschaft und eine Auswirkung dieses Verhaltens auf die sozialen und politischen Einrichtungen, also den Staat. Dieses lebensnahe Grundmodell ist in Methode und Inhalt einzigartig, und Smiths Beitrag zur Erklärung eines tolerablen Zusammenlebens unverlierbar und unzerstörbar, welche neuen Erkenntnisse auch immer hinzugewonnen worden sind und hinzugewonnen werden (vgl. Recktenwald 1993, LXXV ff.). Die Vorstellung von einer natürlichen Harmonie, die alles zum Besten wendet, und von den korrigierenden Eingriffen einer „unsichtbaren Hand“ erweist sich angesichts der tatsächlichen Ereignisse allerdings eher als Wunschdenken denn als sozialempirisch nachweisbare Kraft.

      Einige nicht primär pädagogisch oder psychologisch, sondern mehr soziologisch und ökonomisch ausgerichtete Autorinnen, zum Beispiel Salomon (2.4) und Staub-Bernasconi (3.7), haben zwar das Austausch-Paradigma für ihre Theorien der Sozialen Arbeit gewählt, doch die Erkenntnisse und die Ideen von Smith sind für die Theoriebildung in der Sozialen Arbeit erst noch zu entdecken. Die grundsätzliche moralphilosophische Infragestellung des menschlichen Altruismus durch Smith mag bei vielen sozial Tätigen wenig Anklang finden. Diese Infragestellung wird jedoch durch die psychologische Theorie vom hilflosen Helfer (Helfersyndrom) gestützt; danach handeln auch HelferInnen nicht altruistisch, sondern aus einem – ihnen selbst häufig verborgenen – Eigeninteresse (vgl. Schmidbauer 1977).

       4.7 Literaturempfehlungen

      Zur Einführung in Leben und Werk von Adam Smith bietet sich eine Auswahl an Biografien an. Aus der Fülle der Literatur nennen wir die Biografien von Horst Claus Recktenwald (Recktenwald 1993) und Gerhard Streminger (Streminger 1999). Die beiden Hauptwerke von Smith liegen in deutscher Sprache vor: „Die Theorie der ethischen Gefühle“ mit einer Einleitung von Walter Eckstein und einer Bibliografie von Günter Gawlick (Smith 2010) und „Der Wohlstand der Nationen“ mit einer Würdigung von Recktenwald (Smith 1993).

       5 Für ein Leben in Armut erziehen Johann Heinrich Pestalozzi (1746 – 1827)

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