Der tote Carabiniere. Dino Minardi

Der tote Carabiniere - Dino Minardi


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hauchte sie.

      Pellegrini lehnte sich ein wenig zurück. Er war vollkommen ratlos, was er von diesem Gerede halten sollte. Stefania Bianchis Aussagen ließen ihn merkwürdig kalt. Vielleicht, weil das alles nicht nur zu banal, sondern vor allem völlig absurd war? Er unterdrückte ein Frösteln. Es war wirklich kalt. Wo blieb Spagnoli mit dem caffè?

      Er legte die Handflächen aufeinander und streckte den Rücken durch. »Sie haben Ihrem Mann Schlechtes gewünscht, das habe ich verstanden. Aber was, meine liebe Signora Bianchi, haben Sie getan

      Sie murmelte etwas vor sich hin.

      Pellegrini wiederholte seine Frage.

      »Ich habe gebeichtet. Don Volpe hat mir aufgetragen, die Kuchenspenden für den Weihnachtsbasar zu organisieren.«

      Vergebung der Sünden für das Engagement in der Gemeinde, dachte Pellegrini amüsiert. So funktionierte moderner Ablasshandel. Doch einer Antwort auf die Frage, was Salvatore Bianchi zugestoßen war, brachte es ihn kein bisschen näher.

      »Als ob ich das nicht schon seit Jahrzehnten mache!« Sie klang jetzt empört. »Das ist doch keine Strafe. Ich weiß wirklich nicht, was Don Volpe sich dabei gedacht hat. Außerdem hat es nicht aufgehört. Ich habe gestern Abend erst noch … Und dann ist es ja sogar passiert!« Sie verstummte und schlug eine Hand vor den Mund, sichtlich bemüht, nicht wieder in Tränen auszubrechen. Pellegrini wandte verlegen den Blick ab.

      Die Tür ging auf, und Spagnoli trat mit zwei großen To-go-Bechern in der Hand ein. Sie neigte mit entschuldigender Miene den Kopf. Pellegrini nahm die Becher entgegen und reichte einen an Stefania Bianchi weiter, die ihre Handtasche losließ und stattdessen den Becher umklammerte.

      »Was haben Sie gestern Abend gemacht, Signora Bianchi?«, fragte er freundlich. »Alles der Reihe nach.«

      Sie atmete tief durch und streckte sich ein wenig. »Er ging nach dem Mittagessen, also gegen drei. Normalerweise ist er dann spätestens gegen acht Uhr wieder zurück. Dann essen wir zu Abend, ich hatte alles vorbereitet. Eine Minestrone mit Ciabatta, der Arzt hat gesagt, er soll abends nicht mehr so schwer und fettig essen. Aber er kam nicht.« Sie machte eine Pause.

      Pellegrini wechselte einen stummen Blick mit Spagnoli, die sich wieder hingesetzt hatte und offensichtlich vergeblich zu verstehen versuchte, was hier gerade passierte. Aber warum sollte es ihr auch besser ergehen als ihm? Dieses ganze Gespräch führte zu nichts. Die Witwe war verstört, aber mit dem Tod ihres Mannes hatte sie nichts zu tun.

      »Ich wurde wütend. Sehr wütend.« Sie öffnete ihre Handtasche. »Normalerweise, also früher, ist Salvatore kurz nach Hause gekommen und hat Bescheid gegeben, wenn er sich noch mit jemandem treffen wollte. Er hat nie angerufen, er kam immer vorbei. Immer!«

      »Und dieses Mal nicht?« Pellegrini wurde nachdenklich. Vielleicht hatte er es nicht gekonnt, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits tot war? Das würde bedeuten, dass jemand seinen Leichnam später am Abend auf die Schienen der funicolare gelegt oder von der Brücke gestoßen hatte.

      »Nein, dieses Mal nicht«, wiederholte sie und griff in ihre Handtasche. »Deswegen habe ich ihn umgebracht. So!«

      Mit einem aggressiven Ruck zog sie die Hand wieder aus der Tasche und richtete sie auf Pellegrini.

      Spagnoli sprang auf und wollte nach der alten Frau greifen. Pellegrini zuckte instinktiv zurück und wusste im selben Moment, dass sie keine Chance hätten, eine Attacke abzuwehren. Doch zum Vorschein kam kein Messer, keine Schusswaffe, nur ein triumphierender Ausdruck in großen Kuhaugen und …

      »Eine Puppe?«

      Pellegrini gab Spagnoli einen Wink, und sie entspannte sich, blieb jedoch stehen, wofür er ihr insgeheim dankbar war. Predigte er seinen Mitarbeitern nicht immer und immer wieder, dass sie niemandem ansehen konnten, ob er oder sie zu einem Verbrechen oder gar Mord imstande war? Es widerstrebte ihm, Stefania Bianchi zu verdächtigen, doch allein die Tatsache, dass sie eine respektable Angehörige der Gemeinde Brunates und Ehefrau eines Carabiniere war, schloss nicht aus, dass hinter der Fassade Abgründe lauerten. Er war unvorsichtig gewesen, und zu seinem Glück war er dafür nicht bestraft worden. Das sollte ihm eine Lektion sein. Er atmete tief durch, während sein Herzschlag sich allmählich wieder beruhigte, und versuchte, seine Schultern zu lockern. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie angespannt er war.

      Stefania Bianchi schnaufte entrüstet. »Nicht einfach eine Puppe. Hier, schau sie dir an!«

      Vorsichtig nahm Pellegrini die Puppe entgegen. Sie war gut zwanzig Zentimeter groß, ein Männchen mit silbrigen Wollfäden als Haare und angezogen mit einer erstaunlich detaillierten Uniform eines Carabiniere. Der Puppe fehlte ein Arm, ansonsten war sie unversehrt.

      Pellegrini schüttelte den Kopf. »Was soll das sein, Signora Bianchi? Eine Voodoo-Puppe?«

      »Genau.«

      Er starrte sie an, suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen, dass sie ihre Antwort – genau wie er seine Frage – als Scherz gemeint hatte.

      Spagnoli schlug die Hand vor den Mund und gluckste.

      Pellegrini drehte die Puppe in seiner Hand hin und her. »Signora Bianchi, ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstanden habe. Bitte wiederholen Sie noch einmal, was genau Sie gestern Abend getan haben.«

      »Ich habe mit dem Abendessen gewartet, bis die Minestrone kalt war. Ich war wütend, schrecklich wütend. Ich habe die Puppe vor gut einer Woche gehäkelt, aber noch nie benutzt, aber gestern … Es kam einfach über mich. Ich habe einen Loa angerufen, der meinen Mann bestrafen sollte. Dann habe ich die Puppe genommen und ihr den Arm abgerissen.« Sie senkte den Kopf und sprach leiser. »Später habe ich mich geschämt, hätte es am liebsten rückgängig gemacht. Danach habe ich zu unserem Herrgott gebetet und mir gewünscht, dass Salvatore nach Hause käme, unversehrt. Ich wollte ihn nicht töten, das war ein Unfall. Aber so ein Loa ist wohl stärker, es hat nichts genutzt. Ich habe die halbe Nacht gewartet, irgendwann bin ich auf dem Sofa eingeschlafen. Bis heute Morgen … einer seiner Kollegen kam und gesagt hat, dass er … nie wieder … nach Hause kommen wird.« Die letzten Worte stammelte sie nur noch, bis sie atemlos innehielt.

      »Was ist ein Loa?«

      »Ein böser Geist. Ich bin davor gewarnt worden, Loa anzurufen. Wenn ich geahnt hätte, wie mächtig und rachsüchtig sie sind, dann …« Sie schniefte leise.

      Spagnoli lehnte sich an die Wand und tippte sich mit einem Finger an die Stirn.

      Auch Pellegrini hatte bei allem Verständnis endgültig genug. Er hielt die Puppe in die Höhe.

      »Warum sind Sie damit zu mir gekommen? Es tut mir aufrichtig leid, Signora Bianchi, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Die Ermittlungen liegen in den Händen der Kollegen Ihres Mannes.«

      Sie schnaubte abfällig. »Ich werde Maggiore Visconti kein Wort darüber sagen! Er würde mich doch nur auslachen.« Sie blickte zaghaft auf. »Aber du glaubst mir, oder?«

      Er wollte ihr nichts vormachen und wählte seine Worte mit Bedacht. »Ich glaube, dass Sie und Ihr Mann vor einer großen Herausforderung gestanden haben. Aber dass Sie ihn umgebracht haben, indem Sie ihm einen bösen Geist auf den Hals gehetzt haben? Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, sein Tod hat eine andere Ursache, vielleicht war es auch nur ein schrecklicher Unfall. Ich lasse Sie nach Hause bringen, und Sie ruhen sich ein bisschen aus.« Kurz überlegte er, ob er sie davon überzeugen sollte, Visconti von der Puppe zu erzählen, doch er sah keinen Sinn darin.

      Sie schien noch nicht überzeugt. »Aber ich habe es mir so sehr gewünscht, das ist doch nicht richtig?«

      Pellegrini legte die Puppe auf den Schreibtisch und griff nach dem Telefonhörer. »Signora, ich bitte Sie! Die Gedanken sind frei! Stellen Sie sich vor, wir müssten jeden Menschen bestrafen, der in einem schwachen Moment einem anderen die Pest an den Hals wünscht. Es heißt nicht umsonst Straftat. Es sind die Handlungen, die einen Kriminellen ausmachen, nicht seine Gedanken.«

      Dieses Mal widersprach sie ihm nicht. Wenige Minuten später ließ sie sich von Sergente


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