Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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in dem schrecklichen alten Hause etwas finden würden. Ich glaube, es würde niemand mehr darin sein, und auch Hubert Bender nicht. Wenn ich den Studenten wiederfinden will, so muß ich andere Wege gehen!«

      Bei diesen Worten zog Traudchen ein abgerissenes Stück Papier, ein Fragment eines Briefumschlages aus ihrem Busen hervor; es war ein Wappen in grünem Lack darauf abgedrückt. »Kennen Sie das?« fragte sie. »Ich habe es vorlängst beim Zimmeraufräumen unter des Ohms Kleiderschrank gefunden.«

      Der Professor schüttelte den Kopf, als er das Wappen betrachtet hatte. Es waren drei Gegenstände darauf abgebildet, von denen sich nicht viel anders sagen ließ, als daß sie sehr eckig und stachelig aussahen. Osteologisch ließen sie sich auf keinen Fall fassen.

      »Ich verstehe nichts davon!« sagte Professor Bracht.

      »Aber Sie müssen doch jemand kennen, der es versteht und weiß, wem es gehört; jemand, an den ich mich wenden kann.«

      Der Professor besann sich. An der Hochschule zwar war das Fach der Genealogie und Heraldik nicht besetzt. Es mußte aber dennoch irgendein in solchen Dingen bewanderter Mann in der Stadt aufgefunden werden können. Und der Professor hatte in der Tat nicht lange zu suchen. Er kannte einen Maler, und dieser Maler war der rechte Mann, es auszulegen.

      »Ein Maler?« fragte Traudchen verwundert.

      »Maler Stevenberg«, versicherte Bracht, »wird es sagen können, wer so siegelt und wie die Person heißen muß, die dem Ohm Gymnich diesen Brief geschrieben hat – wenn irgend jemand in der Stadt etwas darüber zu sagen weiß, so ist er es. Maler Stevenberg macht die Stammbäume für jeden Kavalier im Lande, der sich irgendwo zu Kapitel, Landtag oder Stift aufschwören läßt – auch reist er auf den Gütern hüben und drüben im Lande umher, wenn er solch einen Auftrag hat, um die alten Pergamentscharteken, deren er dabei bedarf, zu betrachten – er ist der Mann für uns, Traud, wenn Sie glaubt, wir hätten den Hubert zu fordern von dem Mann oder der Frau, die ihr Siegel in dieses grüne Wachs gedrückt haben.«

      »Wo wohnt Maler Stevenberg?« fragte Traudchen. »Wollen Sie mich hinbegleiten?«

      Der Professor war dazu bereit. Traudchen Gymnich hätte nicht seiner Frau rechte Cousine und die tätige, teilnehmende Hausfreundin zu sein brauchen ... er wäre auch ohne das gern mit ihr gegangen, um seiner eigenen gespannten und aufgeregten Teilnahme für seinen verschwundenen Zuhörer willen, dessen verlängerte Abwesenheit seine Hauptvorlesung mit dem völligen Untergang bedrohte.

      Er stand rasch auf und nahm seinen Mantel; die Fuchspelzmütze mußte draußen Drickes aberobert werden, was mit überraschender Leichtigkeit gelang, da Traudchen diese Aufgabe übernahm. Billchen und Nieschen wollten sich dem Ausgehen des Vaters widersetzen, da die Mutter angeordnet hatte, daß er auf den Laden achtgeben solle, sobald Nettchen, die Dienerin, nicht länger in der Küche zu entbehren sei; aber Bracht schritt heldenmütig durch die beiden kleinen Vormünderinnen hindurch und eilte aufgeregt, wie er war, an Traudchens Seite zum Hause hinaus, um draußen die Richtung nach den »Kranenbäumen« einzuschlagen, wo der Maler wohnte.

      Am Lupuseck wurden sie aufgehalten. Dr. Heukeshoven, Professor Brachts Collega an der Hochschule und vielbeschäftigter praktischer Atzt, kam ihnen von einem Patientenbesuch entgegen und blieb begrüßend stehen, um dem Professor Mitteilung von einem seltenen klinischen Falle zu machen, von einem Falle ganz eigentümlicher Art, einer Entzündung nämlich infolge einer die Vena jugularis externa verletzenden Halswunde. Er war, erzählte er, gestern spät abends hinzuberufen worden zu einer durchpassierenden Herrschaft, die im Wagen vor dem weißen Falken in Deutz gehalten hatte. Es war ein Bedienter der Herrschaft gewesen, der von einem großen Hunde angefallen worden, bei welcher Gelegenheit die Jugularvene eine arge Verletzung erhalten hatte. Professor Heukeshoven teilte die Umstände genau spezifiziert seinem Kollegen mit.

      Bald blaß, bald rot werdend, stand das junge Mädchen daneben. Ängstlich blickte sie in das gebräunte Antlitz des Arztes – endlich hielt sie sich nicht länger und rief mit Heftigkeit aus:

      »Aber mein Gott, Sie sagen ja nichts, ob der junge Mensch gerettet ist oder sich verblutet hat!«

      Professor Heukeshoven sah sie verwundert an.

      »Ja, mein Kind, das weiß ich nicht«, sagte er mit einem Tone, der deutlich ausdrückte, daß ihm dies die weniger interessante Seite des Falles sei. »Ob er sich verblutet hat? Es ist wohl möglich, besonders da sie in Nacht und Nebel mit ihm davonfuhren. Ich habe ihn in dem Reisewagen, in den sie ihn gelegt hatten, verbinden müssen. Sie schienen große Eile zu haben ...«

      »Ein Herr und eine Dame?« fragte Traudchen, ohne ihre Aufregung bemeistern zu können.

      »Eine Dame; nur eine ältliche Dame war im Wagen, sonst außer dem Kranken niemand.«

      »Und der Wagen hielt vor dem Weißen Falken?«

      »In Deutz.«

      »Um welche Stunde?«

      »Um zehn oder halb elf etwa war es, als ich dahin gerufen wurde.«

      »Und wie hieß die Dame?«

      »Das weiß ich nicht, danach habe ich auch nicht gefragt,« versetzte der Professor, »es mußte aber eine vornehme Herrschaft sein, sie hatte außer dem kranken Menschen noch einen Kammerdiener bei sich und sechs Postpferde vor dem Wagen, was denn freilich bei jetziger Jahreszeit auch nicht zuviel ist. Als Deservitum gab mir der Kammerdiener einen Kronentaler.«

      »Und sie sagte Ihnen, der Kranke sei einer ihrer Bedienten?«

      »Sagte sie es ... oder sagte sie es nicht ... ich entsinne mich dessen nicht genau; aber mir schien es so. Doch nun Gott befohlen, Herr Collega, ich muß anitzo weiter zu meinen Patienten.«

      Damit schloß Professor Heukeshoven seine Mitteilungen und stapfte an seinem großen Rohr mit goldenem Knopf davon.

      Jungfer Traud und ihr Begleiter sahen sich mit betroffenen Mienen an.

      »Das ist niemand anders gewesen als Hubert Bender!« sagte Traudchen.

      Professor Bracht nickte. »Ganz ohne Zweifel«, versetzte er.

      »Und ihn so in Nacht und Nebel fortzuführen!«

      »Höchst unbesonnen bei seinem Zustande! Es mußte seinen Zustand doppelt bedenklich machen!« fiel Bracht ein.

      »Es hieß ihn töten, ihn in einem Wagen hin- und herstoßen zu lassen!«

      »Professor Heukeshoven hätte abraten sollen«, bemerkte der sanfte Gelehrte.

      »Er hätte sich widersetzen, er hätte zum Gewaltrichter laufen sollen«, rief leidenschaftlich Traudchen aus. »Es ist entsetzlich! Ihn wie einen Gefangenen mit sich schleppen... aber kommen Sie, Professor, kommen Sie zu dem Maler, wir wollen wissen, mit wem wir es zu tun haben; und wenn der Maler uns keine Aufschlüsse geben kann, zum Weißen Falken!«

      Der Maler konnte aber Aufschlüsse geben. Es war ein merkwürdiger alter Junggeselle, dieser Maler Stevenberg. Er wohnte in einem alten Hause »unter Kranenbäumen« in einem großen Zimmer oder einer Art Gartensaal, dessen Fenster er unten samt und sonders mit alten Tüchern und Bruchstücken ausgedienter Teppiche verhüllt hatte, als triebe er irgendein verbotenes Handwerk hier, bei dem ihn niemand belauschen sollte. So kam es wenigstens Traudchen vor, die nicht wußte, daß es geschehen, um dem Lichte den rechten Einfallwinkel zu geben; auch schien ihr nur natürlich, daß Herr Stevenberg ängstlich die Blicke fremder Menschen von dem schrecklich unordentlichen Wirrwarr auszuschließen suche, der in seinem Zimmer herrschte. Wie der Mann abends in das große Himmelbett komme, welches in der Ecke stand, war Traudchen vollends unbegreiflich. Das Bett schien ihm nämlich als Eßtisch und nebenbei als schicklichster Platz zum Farbenreiben zu dienen. Auf der Decke stand eine Platte mit Brot, Bier und Wurst, und daneben lag ein schwerer, farbebedeckter Reibstein, der tief in die weiche Unterlage eingesunken. Der Tisch, an welchem der Maler arbeitete, war bedeckt mit Pergamentrollen, alten Urkunden, Pinseln, Farbentöpfen, Mastix- und Terpentinflaschen, die einen ganz entsetzlichen Geruch verbreiteten. Über diesem Wust erhob Herr Stevenberg mit fragender Miene sein kahles Haupt, als der magere Professor der Osteologie und


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