Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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und Herr Stevenberg betrachtete dann aufmerksam das grüne Siegel, welches Bracht ihm reichte.

      »Es sind drei goldene Pferdeprammen im grünen Felde mit einer Freiherrnkrone,« sagte der Wappenmaler mit sehr düsterm Ernst; »Pferdeprammen sind sehr häufig; es ist ein Stallmeisterwappen – ha, ha, ha, ha!« – Herr Stevenberg brach plötzlich in ein lautes, herzliches Lachen aus.

      Professor Bracht und seine Begleiterin waren weder durch den Ernst noch durch den Heiterkeitsanfall des Herrn Stevenberg viel klüger als zuvor geworden, und das junge Mädchen sagte:

      »Es käme uns darauf an, zu wissen, wem das Wappen gehört, wer es führt.«

      »Von Averdonk zu Dudenrode«, sagte er dann in einem Tone, als ob er das junge Mädchen fühlen lassen wolle, daß es unmoralisch sei, solche Worte wie: von Averdonk zu Dudenrode, sich vorsagen zu lassen. Plötzlich aber lachte er wieder hellauf, als er hinzusetzte: »Das sind wunderliche Leute! Ha, ha, ha, ha!«

      »Kennen Sie die Familie«, fragte Traudchen, »so seien Sie so gut, uns zu sagen, was Sie davon wissen – wir haben ein dringendes Interesse, es zu erfahren!«

      Das Gesicht des Malers überschattete wieder ein düsterer Ernst, der jedoch bald darauf der strahlenden Sonne der Heiterkeit wich, die ganz unerwartet über seine kahle Stirn und sein gutmütiges Gesicht leuchtete. Der seltsame Mann hatte sich offenbar vorgesetzt, dem Ernst des Lebens und dem heitern Scherz gleichen Anteil an seinem Dasein einzuräumen; und da es ihm nicht gegeben war, beide in einem angenehmen Humor zu vereinen, so stellte er getrost beide Farbentöne so grell dicht nebeneinander, wie die Tinkturen auf seinen Wappen.

      »Die Averdonk zu Dudenrode?« antwortete er also sehr ernst, »jawohl, kenn' ich die ...« und er gab die verlangte weitere Auskunft, bis Traudchen alles erfahren hatte, was er wußte: Die Reichsfreifrau von Averdonk zu Dudenrode war eine ältliche Dame von sehr energischem Charakter, die jenseit des Rheins im Süderlande auf einem Gute wohnte, auf welchem sie auch noch einem Reichsfreiherrn von Averdonk, ihrem Gatten, der aber nicht weiter in Betracht zu kommen schien, und einem Neffen, Franz von Ardey, zu wohnen und sich unter ihrem Zepter der süßen Gewohnheit des Daseins zu erfreuen verstattete. Sie war etwa fünfzig Jahre alt, sehr reich, und von ihr stammten die Güter her, ein Umstand, den sie ihrem Gemahl keinen Augenblick zu vergessen gestattete.

      »Und können Sie mir vielleicht auch sagen,« fragte Traudchen, »wer denn ›der Tolle‹ ist?«

      »Der Tolle?« versetzte Herr Stevenberg so düster, als sei er in seinen besten und reinsten Gefühlen verletzt, daß unsere Umgangssprache solche unmoralische Ausdrücke besitze, und daß er sie von dem Munde eines so jungen Mädchens vernehmen müsse: »Der Tolle? das weiß ich nicht – aber wenn Sie in die Gegend da« – und er machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle er gen Osten über den Rhein hindeuten – »wenn Sie dahin kommen, werden Sie Tolle genug finden!« Und dabei brauste Herr Stevenberg in einem Gelächter auf, als wenn er jetzt plötzlich auch unter die Tollen gegangen und sich vor Vergnügen über diese Wendung der Dinge gar nicht zu lassen wisse!

      Traudchen begleitete den Professor bis an seine Wohnung zurück. Beide sprachen wenig. Das junge Mädchen wälzte Pläne in ihrem Geiste herum, zu deren Vertrauten sie den Gelehrten in diesem Augenblicke noch nicht machen konnte. Er hätte am Ende gar den tiefsten und eigentlichsten Grund, weshalb Traudchen so bewegt war, nicht verstanden, höchstens als hysterische Störung des Allgemeingefühls gelten lassen und diese zur Behandlung und Kur ad legem artis seinem Collega Heukeshoven überwiesen.

      An der Tür seines Ladens und Hauses erwarteten Professor Bracht seine beiden hoffnungsvollen Töchter, das Nieschen und das Billchen. Das Nieschen empfing ihn mit lauten Vorwürfen, daß er so lange ausgeblieben; das Billchen legte ihre Gefühle über des Papas unverantwortliches Vagabondieren durch schweigendes Schmollen an den Tag. Jungfer Traud überließ ihn nach herzlichem Dank für seine Begleitung seinem Familienglück und der Freude, welche ihm beim Wiedersehen mit seinem hoffnungsvollen Sohne Drickes bevorstand, welcher letztere ihn in seinem Studierzimmer erwartete, wo Drickeschen die ihm entzogene Fuchsschwanzzierde durch eine hohe Papiermütze ersetzt hatte, kunstreich gebildet aus Professor Brachts zuletzt ausgearbeiteten Vorlesungsbogen. Dann schritt das junge Mädchen rasch ihrer Wohnung hinter St. Georg zu. Als sie einsam durch die belebten Straßen dahinschritt, überlegte sie, ob sie jetzt nicht sogleich noch nach Deutz hinübergehen solle, um zu versuchen, im Weißen Falken mehr über die geheimnisvollen Reisenden in Erfahrung zu bringen. Auch auf der Post, wo sie Pferde genommen, war vielleicht über sie, über die Reiseroute, welche sie eingeschlagen, etwas zu erfahren. Aber Traudchen war zu ermüdet, sie sehnte sich zu sehr, mit ihren Gedanken eine Weile allein zu sein, und so setzte sie den Weg nach ihrer Wohnung fort. Als sie dieselbe erreicht hatte und damit beschäftigt war, die kleine Einlaßtür zum Vorbau zu öffnen, wurde sie plötzlich durch eine Berührung ihrer herabhängenden linken Hand erschreckt. Sich umwendend sah sie die abscheuliche Bestie, den großen Weißen Hund, der gestern die Katastrophe über sie gebracht, neben sich stehen und sie aus seinen braunen intelligenten Augen anschauen.

      »Sultan!« rief eine Stimme, wenige Schritte von ihr entfernt. Traudchen erzitterte heftig, sie erkannte diese rauhe Stimme, und aufschauend sah sie den Mann daherkommen, den sie gestern mit Hubert belauscht hatte, den Herrn im grünen Rock, der oben im alten Hause am Kamin der Dame gegenübergesessen.

      Vielleicht Wäre sie erschrocken über diese Erscheinung, hätte sie ihn an seiner Stimme auch nicht wiedererkannt. Sein Gesicht war nicht beschaffen, um einem jungen Mädchen, bei einsamer Begegnung wenigstens, großes Vertrauen einzuflößen. Ursprünglich mochte es regelmäßig, männlich und schön gewesen sein, aber jetzt zeigte es sich in hohem Grade entstellt; es fehlte ihm ein Auge; über die linke Wange lief von dem erstorbenen Auge herab eine starke Narbe bis zum Munde; das gesunde Auge hatte einen unheimlichen Ausdruck, weil es groß und stier war und sich jeden Moment unter einem breiten Augenlide barg, so daß es aussah wie das eines Raubvogels. Das Kinn war männlich breit, stark ausgebildet und glatt geschoren; der Mund war klein, edel geformt, aber die aufgeworfenen Lippen trugen ein Gepräge von Sinnlichkeit, zu dem noch ein Ausdruck von mürrischer Weltverachtung, der in den hängenden Mundwinkeln seinen Sitz hatte, hinzukam.

      »Erschrick nicht, mein Kind,« sagte der Mann mit etwas spöttischem Tone, als er neben Traudchen angekommen war und ihr zum Gruße nicht ohne Freundlichkeit zunickte, »erschrick nicht vor dem Hunde. Es ist das gutmütigste Geschöpf auf der Welt.«

      »Er sieht bös genug aus,« erwiderte Traudchen, die bald den Hund, bald den Fremden mit ihren großen, dunkeln, forschend von einem zum andern irrenden Blicken anstarrte; »er sieht sehr böse aus, und wenn er mir gehörte, so würde ich ihn lieber totschießen als leben lassen!« Und dabei fixierte Jungfer Traud die Bestie mit einem plötzlich so scharf aufflammenden Blicke, als wünsche sie nichts mehr und inniger, als daß sie ihn damit tot zu ihren Füßen hinstrecken könne.

      »Totschießen!« lachte der Fremde etwas gezwungen auf. »Du mußt wissen, schönes Kind, daß es ein Hund aus der Camargue ist, wenn du jemals von dieser Gegend gehört hast; und daß ich ihn nicht mit großen Kosten aus Frankreich mitgebracht habe, um ihn hier totschießen zu lassen. Aber genug davon. Wohnt hier ein Herr Gymnich?«

      »Der Ohm Gymnich ... kommt wohl vor Abend nicht zu Hause, und dann geht er bald wieder aus, in seine Gesellschaft ... Sie täten am besten, Herr, wenn Sie es mir auszurichten aufgaben, was Sie ihm sagen wollen.«

      »Das kann ich allerdings, mein Kind. Ich suche ein kleines Privatquartier in der Stadt, um es auf einige Wochen zu bewohnen, und dann suche ich eine Person zur Aufwartung, die meine Zimmer imstande hält und für mein Frühstück sorgt. Ich bin deshalb an deinen Ohm Gymnich von einer Person, die ihn kennt, gewiesen und empfohlen worden«.

      »Es steht hier ganz in der Nähe ein Quartier frei«, versetzte Traudchen nachdenklich und mit so gleichgültigem Tone wie möglich, während ihre Gehirnfibern in raschester und angestrengtester Tätigkeit waren, »und was die Aufwartung angeht, so bin ich bereit, die zu übernehmen, denn da der Ohm Gymnich den ganzen Tag in der Fabrik ist, so habe ich freie Stunden genug übrig.«

      »Du selbst?« fragte der Fremde lächelnd und, wie es schien, etwas überrascht.


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