Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
seinen Herrn auf kleinen Abenteuern, steht wohl gar Wache dabei, wird von tugendhaften Leuten, die ihre Degen ziehen und unvorsichtig damit umgehen, in eine Unterhaltung verwickelt... und hat eins weg, ehe man sich's versieht. Doch man hat ja auch auf der Jagd mancherlei Zufälle; ein wütender Eber bricht durchs Garn, ein brünstiger Hirsch erinnert sich, daß er ein Geweih hat... Sie dürfen immerhin annehmen, daß ich einem dieser Umstände ein solches Glück verdanke.«
»Glück? Sie sagen das mit einem Ausdrucke, als wenn es keine Ironie wäre!«.
»Ist's auch nicht. Es ist ein Glück für mich, daß ich, was ein zerfetztes Gesicht angeht, den berühmten Balafré aussteche. Denn da ich hinüber will auf den Schauplatz meiner frühern rühmlichen Taten, so müßte ich sonst gefaßt darauf sein, daß man mich dort einfinge, mir eine eiserne Maske vors Gesicht schnallte und mich damit in die Kerkerzellen von Dudenrode würfe... Es gibt Leute, welche dafür sorgen würden, mein lieber Kanonikus, Sie begreifen das! Jetzt aber, in diesem Zustande, bin ich harmlos; es ist unmöglich, mich wiederzuerkennen.«
Der Geistliche schüttelte den Kopf.
»Aber was wollen Sie denn drüben?«
»Meine Dienste dem Tollen anbieten; der Tolle wird mir höchstwahrscheinlich eine Stellung verleihen.«
»Das ist eine unheilvolle Geschichte!« sagte der Geistliche mehr wie für sich als laut. »Und sie,« fuhr er dann lauter fort, »ahnt sie ...?«
»Sie denken, Sie müßten sofort, wenn ich dieses Zimmer verlassen haben werde, eine Stafette an sie abschicken, um ihr einen Wink zu geben, welche Freude ihr bevorstehe ... aber beruhigen Sie sich, Klevesahl, und sparen Sie sich diese Auslage. Sie ist von allem unterrichtet. Wir haben uns bereits gesprochen, haben uns in den letzten Jahren schon einigemal Rendezvous hier in Ihrem alten heiligen Köln gegeben, und sie hat es jetzt über sich genommen, die Unterhandlungen zu führen, welche mir eine neue Anstellung vermitteln sollen. Aber ich bin gezwungen, Sie inzwischen mit einer Bitte zu belästigen.«
»Was soll ich für Sie tun?«
»Nichts, als mir ein kleines Attest ausstellen, daß Sie mich kennen und eine gewisse moralische Bürgschaft für mich übernehmen.«
»Eine moralische Bürgschaft ... für Sie?!« rief der Kanonikus fast erschrocken aus.
Herr von Ripperda lächelte bitter.
»Ihr Erschrecken hat etwas sehr Schmeichelhaftes für mich«, sagte er. »Aber ich entschuldige es, weil es Ihnen immer noch nicht geläufig geworden ist, zwischen dem frühern Walrave und dem jetzigen Ripperda zu unterscheiden. –
Sie wissen, Ihre Stadtregierung ist dem Aufenthalte von Emigranten innerhalb ihrer von St. Ursula beschützten Mauern abgeneigt. Man hat mir erklärt, nur wenn ich ein Zeugnis eines achtbaren und bekannten Bürgers beibringe, daß ich unverdächtig und wirklich ein geborener Deutscher sei, so werde mein Aufenthalt hier gestattet. Um eines solchen Zeugnisses wegen komme ich nun zu Ihnen, hochwürdiger Klevesahl, Sie werden es mir ausstellen.«
Der geistliche Herr seufzte.
»Wie soll ich denn das aufsetzen?« sagte er.
»Um Ihnen alles Kopfzerbrechen dabei zu ersparen, habe ich selbst es aufgeschrieben«, versetzte Herr von Rippeida, und bei diesen Worten zog er ein gefaltetes Papier aus der Brusttasche hervor und legte es vor den Geistlichen auf den Tisch.
Der Kanonikus suchte unter seinen Büchern und Schriften nach seiner Brille, und nachdem er diese glücklich gefunden, las er die Schrift, welche ziemlich auf der Mitte eines Folioblattes stand, halblaut vor sich hin: »Um eine Anstellung in Frankreich zu suchen, verließ Herr von Ripperda das teutsche Vaterland, wurde Capitaine des chasses des Herzogs von Condé und kehret anitzo, weil der Herzog sich hat flüchten müssen, zurück. Ich bitte deshalb, ihme, als mir wohlbekanntem und respectablem Manne, kein Hinderniß in den Weg zu legen, wenn er hiesigen Ortes zu verweilen wünschet.«
»Hm,« sagte der Geistliche, als er dies gelesen hatte, »es ist kurios gesetzt: ›Um eine Anstellung zu suchen, verließ‹ ... es wäre doch besser, wenn man setzte: ›Herr von Ripperda ist gebürtig aus Gelderland, wie ich demselben hiermit‹ ...«
»Mein lieber Klevesahl, es kommt gar nicht darauf an, wie es gesetzt ist,« fiel Herr von Ripperda ihm in die Rede, »es ist ja keine wichtige Urkunde, sondern nachdem der fürsichtige und wohlweise Ratsherr einen Blick darauf geworfen hat, wird er es dazu gebrauchen, seine holländische Pfeife damit anzuzünden. Darum habe ich's so aufs Papier geworfen, ohne mich lange zu besinnen, und nun unterschreiben Sie's nur kecklich, damit ich die Angelegenheit erledigen kann.«
Der Kanonikus las noch einmal die paar Zeilen durch. Dann sagte er gewissenberuhigt:
»Unterschreiben kann ich's ... nur was da steht von Capitaine des chasses ... davon ist mir doch eigentlich nichts bewußt ...«
»Ungläubiger Thomas!« rief Ripperda aus und zog ein anderes Papier aus einer großen Brieftasche hervor, »da ist mein Brevet!«
Es erfolgte eine abermalige Prüfung von seiten des Geistlichen; Kanonikus Klevesahl war jetzt völlig beruhigt und trat an einen Nebentisch, wo sein Schreibgerät stand. Er unterschrieb mit großen festen Zügen die Schrift Ripperdas. Dann holte er aus einer Lade seines Schreibtisches ein großes Siegel hervor, und nachdem er sich mit Stahl und Zunder selbst zu Licht verholfen, untersiegelte er damit das Zeugnis.
Herr von Ripperda verbarg es in seiner Brusttasche und verließ den Geistlichen mit so wenig Umständen wie beim Kommen. Wir wissen nicht, auf welche Weise und wo Herr von Ripperda und sein Hund die nächsten Stunden des Tages zubrachten. Als Traudchen Gymnich am Nachmittage zur Frau Zappes hinüberging, um zu sehen, ob ihre Dienstleistungen begehrt würden, war der neue Mieter noch nicht in sein Quartier heimgekehrt.
Traudchen brauchte nicht lange stehenzubleiben, um noch mit der lebhaften Frau zu plaudern, als diese, wie es das junge Mädchen erwartet und jetzt gewünscht hatte, aufs neue von dem noch immer ausbleibenden Studenten begann.
»Weshalb gehen Sie nicht auf sein Zimmer und sehen da nach, ob er etwa einen Zettel für Sie zurückgelassen hat? Als er fortging, waren Sie vielleicht nicht da, und er hat es schriftlich hinterlassen, wann er zurückkehrt,« bemerkte Traudchen, um eine Gelegenheit zu bekommen, Huberts Stube zu betreten.
»Die Magd ist oben gewesen und hat aufgeräumt,« antwortete Frau Zappes, »von einem Zettel hat sie nichts gesagt.«
»Kann sie denn lesen?« versetzte Traudchen. »Lassen Sie uns doch selbst zusehen.«
Frau Zappes ging die Treppe hinauf, und Traudchen folgte ihr. Der Schlüssel hing an einem Nagel neben der Tür. Die Hauswirtin öffnete diese; mit einer eigentümlichen Beklemmung trat das junge Mädchen hinter ihr über die Schwelle. Das erste, was sie durch das der Tür gegenüberliegende Fenster erblickte, war die düster und schwarz herübersehende Front des alten Hauses mit dem Stiegenturm an der Ecke, wie es sich über allerlei kleinere Ställe und Hinterbauten erhob und ein spitziges Doppeldach mit hohen Essen trug ... die Essen, aus denen Hubert nächtlicherweile Rauch glaubte hervordringen gesehen zu haben, und die dadurch schuld an allem geworden. – Das Zimmer des Studenten selbst war freundlich, obwohl klein, und für die Wohnung eines Studiosen war es sehr rein und ordentlich gehalten. Frau Zappes trat in das kleine Schlafzimmer nebenan und schloß hier das Fenster, das die Magd am Morgen offengelassen. Während sie sich dabei an den Schubriegeln mühte, hatte Traudchen einen Gegenstand ins Auge gefaßt, der in hohem Grade ihre Aufmerksamkeit fesselte; ihr Arm zuckte danach, fiel dann wieder nieder, und dann erhob er sich aufs neue, und die Finger streckten sich aus, wie in unwiderstehlicher Begehrlichkeit ... es war ein sauberes rotes Portefeuille, das auf dem Tische Huberts unter Büchern und Heften lag ... und jetzt hatte Traudchen es mit zitterndem Griffe gefaßt und hastig in ihre Tasche geschoben.
»Ich will es ihm aufbewahren,« sagte sie sich, »es wäre unvorsichtig, es liegenzulassen«; und damit war ihr Gewissen beruhigt, und mit dem Tone großen Gleichmuts konnte sie jetzt Frau Zappes, die eben wieder eintrat, fragen: »Hat denn der Herr Bender vielleicht seine Verwandten hier in der Nähe, zu denen er gegangen sein kann?«