Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
eins bist, sich ein klein wenig vor mir fürchteten!«
Dabei nahmen seine Züge ein faunisches Lächeln an, welches sie sehr häßlich machte.
»Ich fürchte mich vor niemand!« versetzte Jungfer Traud mit eisiger Kälte.
»Aber doch vor Hunden?«
»Ja, vor Hunden. Man hat Fälle, wo sie Menschen umgebracht haben.«
»Hm!« räusperte sich der Capitaine des chasses, und es war auffallend, wie plötzlich er den scherzhaften Ton fallen ließ, den er angeschlagen hatte. »Umgebracht haben! Das wäre ja schrecklich. Sultan ist dazu nicht imstande. Er ist nichts als ein großes Kalb, nur mit einem zottigern Pelz, als gewöhnlich Kälber ihn haben. Aber um bei der Sache zu bleiben – ich werde dir wöchentlich einen Taler zum Lohn geben – wird dir das genügen?«
»Vollständig!«
»Gehen wir«, versetzte er. »Aber weißt du, Kind, daß. du dich mir als Dienerin verdungen hast, ohne nur meinen Namen zu kennen?«
»Ist das nötig?« fragte sie gleichmütig.
»Nötig? Nun, du mußt doch wissen, wie du mich zu nennen hast!«
»Wie heißen Sie denn?«
»Ripperda... Herr von Ripperda hast du mich zu nennen.«
»Ich will es mir merken.«
Vor einem gutaussehenden Bürgerhause an der Ostseite des Georgsplatzes hielt sie an und hieß den Fremden in die offene Haustür eintreten. Eine reinlich gekleidete Bürgerfrau kam ihnen aus der Küche entgegen.
»Ich bringe Ihr einen Mietsherrn für Ihre leeren Zimmer, Frau Zappes!« sagte Traudchen, und Frau Zappes war augenscheinlich sehr zufrieden damit. Auch der Fremde erklärte sich befriedigt mit der Wohnung und dem Preise.
»Hat Sie nichts von Herrn Bender gehört, Jungfer Traud?« fragte Frau Zappes, als der Herr das Haus verlassen.
»Nichts!« versetzte Traudchen, das errötende Gesicht abwendend.
»Er ist die Nacht nicht nach Hause gekommen und macht doch sonst keine Übernächtigen Studentensuiten mit!«
Traudchen zuckte die Achseln und spielte die Unwissende. Dann eilte sie, von der gesprächigen Frau sich loszumachen und heimzukehren.
Viertes Kapitel
Ein Opfer der Nemesis
Der Capitaine des chasses, oder, da wir jetzt den Namen des einäugigen Herrn mit der Schmarre kennen, Herr von Ripperda, entfernte sich unterdes mit seinem großen Hunde von dem Hause der Frau Zappes, um sich mit gemächlichem Schritt in das Innere der heiligen Stadt zu vertiefen. Er hielt das Haupt etwas gesenkt und den Blick auf den Boden geheftet, seine Blicke fesselte weder das Marktgewühl auf dem Weidmarkt, wo die Weiber der Kappesbauern ihren Gemüsehandel trieben und durch obligate Zungenübung dabei den Beweis führten, daß rhetorische Kunst noch immer, wie schon zu Ciceros und Demosthenes' Zeiten, ein schönes Eigen freistädtischer Gemeinwesen sei – noch die malerische Gruppe der »Funken«, jener berühmten reichsstädtischen Krieger in roten Röcken, die plaudernd und schmauchend ihren militärischen Pflichten vor dem Wachthäuschen oblagen. Auch die merkwürdigen düstern Häuser mit Erkern und Zackengiebeln, die Stirn gegen Stirn dicht und drohend einander gegenüber standen und ihre menschenfeindliche Gesinnung dadurch an den Tag legten, daß sie sich langgestreckte steinerne Ungeheuer, fabelhafte Drachen und unglaublich dünnbäuchige Löwen angeschafft hatten, die bei Regenwetter ganze Wassermassen auf den unglücklichen Wanderer ausspien, den der Mangel eines Bürgersteigs in die Mitte der Straße trieb – auch diese merkwürdigen alten Häuser gewannen ihm kein Interesse ab; und noch weniger taten dies die schönen, aber unbeschreiblich verwitterten Kirchen, an deren Portalen eine fürchterlich zudringliche Rasse von Bettlern saß, die von wohlgekleideten Fremden mit einer ganz rücksichtslosen Härte ihren Zoll eintrieben, erbarmungslos wie indische Zemindars, und ebenso geneigt wie diese, die Unglücklichen, die nicht zahlten, ein wenig zu foltern oder ans Kreuz zu schlagen. Für alle diese schönen Merkwürdigkeiten der heiligen Stadt zeigte der Fremde, wie gesagt, keine Teilnahme. Auch schien es, daß er von früher her wohl bekannt sei mit dem Gassenlabyrinth um ihn her. Er fand sicher und ohne zu fragen seinen Weg durch die Sternengasse über Cäcilienkloster zum Neumarkt. Als er in der Nähe der schönen Apostelkirche angekommen war, die mit ihren Kuppeln und Türmen wie eine verkleinerte Aja Sophia sich vor ihm erhob, fragte er einen Vorübergehenden nach der Wohnung des Kanonikus Klevesahl. Der Mann deutete auf eine hohe Mauer und ein Gartentor, hinter welchem die Wohnung des »Knünchs« liege. Ripperda schob mit einiger Mühe das schwere Tor auf und sah sich in einem geräumigen Garten, in dessen Mitte ein nicht großes, aber freundliches, unten von Reben umkleidetes Haus von drei Stockwerken lag. Am Mittelfenster über der Haustür sah er die Gestalt eines Mannes in reifen Jahren, mit einem runden blühenden Gesicht, das mit einem Ausdruck von großer Gutmütigkeit und neugieriger Freundlichkeit auf den durch den Gartenpfad Heranschreitenden niederblickte.
»Ich muß wünschen, Sie unter vier Augen zu sprechen, mein Herr Kanonikus Klevesahl«, redete ihn Herr von Ripperda an, als er die schmale hölzerne Wendelstiege emporgeschritten und von einem jungen Burschen in das Wohnzimmer geführt war. »Sie haben mir und einer gewissen andern Person einmal, als wir uns kannten, nicht ohne eigene Gefahr einen sehr großen und angenehmen Dienst geleistet; und da Sie die Wohltaten, die Sie erzeigen, vermutlich ganz vergessen, muß ich es Ihnen wohl sagen welchen; Sie waren damals noch nicht zum Kanonikus in der Stadt befördert, Sie waren noch Pfarrer einer weitentlegenen Landgemeinde; es war in der Kapelle zu Wolfshagen ...«
»Mein Himmel... Sie sind doch nicht...Herr von Walrave?« rief der Kanonikus erschrocken aus und fuhr einen Schritt zurück. »Richtig,« versetzte der Fremde, mit seinem einen Auge den Geistlichen spöttisch fixierend, »ganz richtig!«
»Leben Sie noch?! Sie leben noch?!«
»Ich bitte sehr um Entschuldigung, wenn ich Sie dadurch inkommodiere!«
»Ich glaubte, Sie wären tot, lange schon!«
»Unkraut vergeht nicht, wissen Sie, lieber Klevesahl! Als Walrave bin ich aber eigentlich auch tot; der, den Sie vor sich sehen, ist ein Herr von Ripperda – wollen Sie die Güte haben, das zu beachten?«
»Ripperda? Nun, wie Sie wollen. Aber die ...«
»Ganz richtig, die ... nun, wir verstehen uns. Es war eben für sie nichts anderes zu machen. Eggenrode brauchte Gewalt! Sie kannten ihn ja auch, den Stierkopf!«
Der Geistliche ließ sich auf das schmale, mit schwarzer Serge überzogene Kanapee nieder, welches hinter seinem runden Tische stand, und starrte den Gast mit Augen an, welche zu verraten schienen, daß er immer noch nicht recht gewiß sei, ob er einen Lebenden oder ein Gespenst vor sich sehe.
»Beruhigen Sie sich,« fuhr der Fremde fort, »ich sage Ihnen ja, der Walrave, den Sie kannten, ist tot, und was Sie jetzt sehen, ist ein ganz anderer, ein durch das Leben gewitzigter, alter Mensch, der nur das Unglück hat, die unangenehmen Erinnerungen jenes Walrave, welcher sich in seiner Jugend etwas leichtsinnig aufgeführt haben soll, mit sich herumschleppen zu müssen. Die französische Revolution führt mich zurück.«
»Das heißt?«
»Ich bin Emigré.«
»Also in Frankreich hielten Sie sich bisher auf?«
»So ist es. Nachdem ich hier in Deutschland gestorben war, führte ich mein schattenhaftes Dasein in Frankreich weiter, und da ich in diesem Lande endlich bei der edlen Jägerei in Chantilly angestellt wurde – als Capitaine des chasses des Herzogs von Condé – so habe ich, wie Sie sehen, das Dasein des Wilden Jägers geführt, der auch tot ist und dennoch auf die Jagd geht, und zwar sehr leidenschaftlich, wie man sagt.«
»Wie der sehen Sie in der Tat beinahe aus! Und wie haben Sie diese entsetzliche Schmarre über der