Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking

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jenseit des Rheins... er ist der Sohn eines Chirurgus da im Lande, glaub' ich, aber seine Eltern leben nicht mehr. – Schließen Sie zu, Traudchen!«

      Traudchen eilte, in ihre Wohnung heimzugelangen. Und als sie endlich in dieser war, die Tür wohl verschlossen hinter sich – mit welcher Aufregung zog da das junge Mädchen die Brieftasche aus den Falten ihres grünen Sergerockes hervor, und mit wie zitternden Händen öffnete sie die roten Korduandeckel! Es lagen ein paar alte Quittungen darin, auf die eingebundenen Pergamenttafeln waren allerlei Notizen geschrieben, kleine Ausgaben notiert, Adressen, Büchertitel, lange lateinische Namen verzeichnet... auf einem der Blätter stand oben ein großes, sauber in Frakturschrift gemaltes T, und darunter ein zweites, und dann ein drittes; und neben dem dritten stand in höchst zierlichen, aber fast unlesbar kleinen Buchstaben noch raudchen dazugeschrieben und umher waren schöne, höchst kühne und schwungvolle Schnörkelzüge gezogen ... es war wirklich ein Meisterstück von Kunst, und außerordentlich schön anzusehen; und wenn es im allgemeinen der Zweck der Kunst ist, zu erheben und zu erfreuen, so können wir in Wahrheit sagen, daß sie hier in einem ganz schrankenlosen Umfang ihren Zweck erreichte. Denn Traudchens Auge flammte förmlich, als ihr Blick darauf traf, und dann haftete es sicherlich ebensolange darauf, als die Augen des Schreibers auf diesem Pergamentblatt gehaftet hatten, während seine Hand mit so viel Fleiß die Buchstaben gemalt hatte.

      Nach langer Pause erst untersuchte Traudchen Gymnich weiter den Inhalt des Portefeuille. Sie nahm noch ein versiegeltes Papier heraus, es fühlte sich an wie ein kleines Päckchen, es führte auch eine Aufschrift; und als Traudchen auf diese blickte, zuckte es plötzlich in ihrer zitternden Hand. Die Aufschrift bestand aus einem Kreuz und den Worten darunter: Rattengift, präpariert von mir aus Datura Stramonium.

      Welche Gedanken gingen mit einem Male durch Traudchens Haupt, als sie diese Worte gelesen hatte und die Brieftasche hastig schloß, um sie wieder in die Falten ihres Kleides zu verbergen, aber das Päckchen mit dem Gift neben sich auf den Tisch legte? Sie versank in ein unruhiges Sinnen; bald erhob sie sich und schritt auf und ab in dem kleinen Wohnzimmer, bald setzte sie sich wieder und nahm das Spinnrad, welches neben dem Ofen stand, vor sich, und ihr kleiner Fuß legte sich so energisch auf das Trittbrett unten, daß das Rad sich umzuschwingen begann, als ob es den Verstand verloren habe, und daß die Spindel schnurrte, als wolle sie dem großen Rade zeigen, sie, die kleine Spindel, könne, wenn es auf Verrücktheit ankomme, noch tausendmal mehr leisten als solch ein großes ungeschlachtes Rad. Und dabei griffen Traudchens Hände wie fieberhaft in den Flachswocken und zogen den Faden mit einer Hast heraus, daß derselbe sehr bald zerriß und dann abermals riß, und dann zum drittenmal riß; und dann schob Traudchen das Spinnrad so heftig von sich, als sei es irgendein abscheulicher, widerwärtiger Mensch, der sich an sie gedrängt habe, und sprang empor und schritt wieder auf und ab in steigender Unruhe. – Dann, ehe sie zu ihrer Dienstleistung in die Wohnung des Herrn von Ripperda herüberging, machte sie sich eine Weile in der Küche vor dem Schranke, welcher die Speisevorräte aufbewahrte, zu schaffen. Als Traudchen am andern Tage um die bestimmte Stunde – es war aber eigentlich schon ein Bedeutendes darüber – wiedererschien, klopfte sie erst an das kleine Fenster, das, mit roten Kalikovorhängen bedeckt, aus Frau Zappes' Wohnzimmer auf den Hausflur ging. Die geschäftige Matrone erschien denn auch sogleich, aber noch lebhafter war sie heute, als sie alle Tage war, und mit aufgeregter Stimme rief sie Traudchen entgegen:

      »Jungfer Traud, denke Sie sich, was wir für eine Nacht gehabt haben ... das hat einen Lärm gegeben – der Hund, der große Hund von dem neuen Zimmerherrn... der Mann ist außer sich ...«

      »Was ist denn mit dem Hunde, Frau Zappes?« fragte Traudchen mit stammelnder Zunge totenblaß.

      »Der Hund ist tot ... mitten in der Nacht ist das arme Tier gestorben, der Herr sagt, es müßte vergiftet sein.«

      »Das ist ja unglaublich!« stotterte Traudchen, »wer sollte das getan haben?« Und mit einer heroischen Anstrengung sich fassend und zusammennehmend, ging sie die Treppe hinauf. Als sie die Tür zu dem Zimmer Ripperdas öffnete, war es ihr, als müsse das Klopfen ihres Herzens sie ersticken. Ihr Auge scheute sich, die Blicke umherzuwerfen, und doch flogen ihre Blicke, wie magnetisch gezogen, mit scheuem Flattern in jeden Winkel des Zimmers. Aber sie trafen nicht auf das, was sie suchten und wovor sie doch bangten. Die Leiche des Hundes war nicht da, man mußte sie schon entfernt haben. Aus der offenen Tür des Schlafzimmers hörte Traudchen Ripperdas Stimme. Er lag noch im Bett. Er rief ihr mit einem mürrischen, zornigen Tone einige Aufträge zu, kleine Ankäufe, die sie ihm besorgen solle; sie flog hinaus und davon, es auszurichten, während er mit einem zwischen den Zähnen gemurmelten Fluche sich auf die andere Seite warf.

      Als sie draußen war, atmete sie tief auf, so tief, als könne sie damit eine ganze Last von der Brust fortwälzen, und dann ging sie weiter, und als sie an den Seiteneingang der St.-Georgs-Kirche, an die immer offene Vorhalle kam, wo zu jeder Tageszeit arme Menschen vor einem großen schwarzen Kruzifix knien und Kerzen opfern – da trat Traudchen hinein und kniete auf die letzte Bank nieder. Nicht um zu beten. Das konnte sie nicht. Nein, um ihr Antlitz zu verbergen, über das Tränen herabrollten; um ihr Gesicht mit den Händen zu bedecken, damit niemand das Schluchzen sehe, von dem sie übermannt worden.

      Ihr war zumute wie einer Mörderin. Aber sie hatte Hubert Rache gelobt; die Liebe hatte den Schwur geleistet, die Leidenschaft ihn besiegelt, und von diesem Augenblicke an wurde ihr eigenes Schicksal, ihr eigenes Wohl und Wehe ihr gleichgültig.

      Um die Nachmittagsstunde kehrte, gegen seine Gewohnheit, der Ohm Gymnich nach Haufe zurück, nahm die Schlüssel zu dem alten Hause aus dem Spind und begab sich damit über den Hof an das Hauptportal, wo er die Steine und andere Gegenstände, die auf den Treppenstufen lagen, wegräumte und dann die große Tür aufschloß. Traudchen erinnerte sich der Zeit nicht, wo dies geschehen. Er trat dann ins Innere ein; das junge Mädchen nahm sich ein Herz und folgte ihm. Sie fand ihn beschäftigt, Läden und Fenster zu öffnen; als er sie erblickte, vertrieb er sie nicht, sondern sagte kaltblütig: »Das Haus soll vermietet werden. Wenn Leute kommen, die es besehen wollen, so rufe mich aus der Fabrik!«

      Fünftes Kapitel

       Der Reichsfreiherr von Averdonk und sein Schloß Dudenrode

       Inhaltsverzeichnis

      Die Mitteilung, welche Dr. Heukeshoven dem Professor Bracht und Traudchen Gymnich auf ihrem Wege zu dem Wappenmaler gemacht, war in ihrem ganzen Umfange richtig gewesen. Hubert Bender hatte einen völlig erschöpfenden Blutverlust aus einer zerrissenen Halsvene erlitten und da ihn gleich anfangs der Sturz mit dem Hinterhaupte auf die steinerne Treppenstufe betäubt gemacht, so war es für seine Verfolger in dem geheimnisvollen Hause, den einäugigen Capitaine des chasses und den Menschen in schwarzer Dienertracht, nicht schwer gewesen, ihn wie willenlos aufzunehmen und die Stiegen hinaufzutragen, wo man ihn zum Bewußtsein zurückzurufen gesucht. Was jedoch mit ihm geschehen, wie man nachher ihn durch die schmale Hintergasse weggeführt, in deren Bereich Traudchen Gymnich am andern Morgen ihre spähenden Blicke gesandt hatte, dessen entsann Hubert sich später fast gar nicht mehr; er hatte sich, als er seine Besinnung wiederfand, in einem Wagen liegen gefühlt, der ihn bald in einen schweren beängstigenden Halbschlummer schaukelte – in einen sonderbaren Zustand, in welchem er sich wach und bei Besinnung wußte und dennoch träumte, und zwar schreckliche und seltsame Träume, die ihn so befangen hielten, daß er gar nicht dazu kam, sich über seine Lage Rechenschaft zu geben. Endlich hatten ihn heftige Schmerzen am Halse aus diesem Taumel erweckt; er hatte nun wahrgenommen, wie er in einem großen, rings verschlossenen Reisewagen lag, auf dem Vordersitz ausgestreckt und ziemlich bequem und warm gebettet, denn sein Haupt ruhte auf einer weichen Unterlage, eine wollene Decke war über ihn gebreitet.

      Bei ihm im Wagen war nur eine Person, eine Frauengestalt, die im Fond ruhte, das Haupt zurückgelehnt, als ob sie schliefe. Es war dieselbe, die er am Abend zuvor belauscht, die er Gebharde hatte nennen hören.

      Hubert machte diese Beobachtungen bei dem dämmernden Lichte der Sterne. Bei demselben Lichte sah er auch, daß der Wagen sich durch eine bergige Gegend fortbewege; rechts und links war der nächtliche Horizont durch waldige Höhen geschlossen.


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