Gesammelte Werke von Guy de Maupassant. Guy de Maupassant
für die Adelsprädikate »de« (von) hundert Francs Jahressteuer, und für die Titel vom Baron bis zum Fürsten fünfhundert bis fünftausend Francs. Und er zeichnete mit: D. de Cantel.
Am folgenden Tage erhielt er von seiner Geliebten ein blaues Briefchen, das ihren Besuch um ein Uhr ankündigte.
Er erwartete sie in etwas fieberhaftem Zustande. Übrigens war er fest entschlossen, die Sache schnell und energisch zu erledigen, gleich alles herauszusagen und ihr dann nach der ersten Erregung mit allen möglichen Gründen zu beweisen, daß er nicht ewig Junggeselle bleiben könnte; und da Herr de Marelle durchaus nicht sterben wollte, so bliebe ihm eben nichts anderes übrig, als sich nach einer anderen rechtmäßigen Lebensgefährtin umzusehen. Trotzdem fühlte er sich innerlich erregt, und als die Klingel ertönte, begann sein Herz laut zu klopfen.
Sie warf sich ihm in die Arme:
»Guten Tag, Bel-Ami!« rief sie.
Doch sie merkte sofort, wie kühl er ihre Begrüßung erwiderte, blickte ihn an und fragte:
»Was hast du denn?«
»Setze dich,« sagte er, »wir müssen ernst miteinander reden.«
Sie setzte sich, ohne den Hut abzunehmen, lüftete nur ihren Schleier und sah ihn erwartungsvoll an.
Er hatte den Blick gesenkt und begann nun mit langsamer Stimme:
»Meine Liebste, du siehst, wie schmerzlich und peinlich mich das erregt, was ich dir jetzt sagen muß. Ich liebe dich sehr, ich liebe dich wirklich aus tiefstem Herzen, und der Gedanke, dir Schmerzen bereiten zu müssen, betrübt mich mehr als die Nachricht selbst, die ich dir mitteile.«
Sie wurde sehr bleich und stammelte zitternd:
»Was ist es? Sag’ es schnell.«
Er versetzte in traurigem, aber entschlossenem Tone mit jener geheuchelten Niedergeschlagenheit, mit der man angenehme Unglücksnachrichten zu erzählen pflegt:
»Ich will heiraten.«
Sie stieß einen Seufzer aus wie eine Frau, die ohnmächtig wird, einen schmerzerfüllten Seufzer, der aus der Tiefe ihrer Brust kam. Dann begann sie so stark zu schluchzen, daß sie kein Wort hervorbringen konnte.
Als er sah, daß sie nichts erwiderte, begann er von. neuem:
»Du kannst dir nicht vorstellen, was ich gelitten habe, ehe ich zu diesem Entschluß kam. Aber ich habe weder eine gesicherte Stellung noch Geld. Allein bin ich in Paris verloren. Ich muß jemanden neben mir haben, der mir raten, mich trösten und mich stützen kann. Ich suchte eine Gefährtin, eine Verbündete, und ich habe sie gefunden!«
Daraufhin schwieg er, in der Hoffnung, daß sie etwas antworten würde; er erwartete einen Wutanfall, heftige Beleidigungen und Schimpfworte.
Sie preßte die eine Hand auf ihr Herz, als müßte sie es halten; sie atmete mühsam und schluchzte ununterbrochen, so daß ihre Brust wogte und der Kopf zitterte.
Er ergriff ihre andere Hand, die auf der Lehne des Sessels lag, doch sie zog sie heftig zurück. Und wie gelähmt murmelte sie:
»Oh … Mein Gott! …«
Er kniete vor ihr nieder, wagte aber nicht, sie zu berühren. Ihr Schweigen erregte ihn mehr als ein Zornausbruch es vermocht hätte, und er stammelte:
»Clo, meine liebe, kleine Clo, du mußt nur bedenken, in welcher Lage ich bin. Oh, wenn ich dich hätte heiraten können, welches Glück! Doch du bist ja verheiratet. Was konnte ich tun? Überlege es dir nur! Ich muß mir eine Stellung in der Gesellschaft schaffen, und das kann ich nicht, solange ich kein Heim habe… Es gab Tage, wo ich deinen Mann hätte töten können …«
Seine Stimme klang sanft verschleiert und verführerisch, als ob ihr Musik ins Ohr drang.
Er sah zwei große Tränen langsam in den starren Augen seiner Geliebten wachsen und dann über ihre Wangen rinnen, während sich schon wieder zwei neue zwischen den Augenlidern bildeten.
Er murmelte:
»Oh, weine nicht, Clo, weine nicht, ich bitte dich darum. Du zerreißt mir das Herz.«
Mit einer starken Anstrengung zwang sie sich zu einer stolzen und würdigen Haltung. Und mit einer zitternden Stimme, die die Frauen beim Schluchzen haben, fragte sie:
»Wer ist es?«
Er zauderte einen Augenblick; dann sah er ein, daß er es sagen müßte:
»Madeleine Forestier.«
Madame de Marelle erbebte am ganzen Leibe, dann blickte sie stumm vor sich hin; sie versank in ein tiefes Nachdenken, so daß sie anscheinend vergessen hatte, daß er ihr zu Füßen kniete.
Und in ihren Augen bildeten sich wieder große, durchsichtige Tränen, die langsam hinabrollten.
Sie stand auf. Duroy fühlte, daß sie gehen wollte, ohne ein Wort des Vorwurfs oder der Verzeihung, und das verletzte und demütigte ihn bis ins Tiefste seiner Seele. Er wollte sie zurückhalten und umschlang mit beiden Armen ihr Kleid. Er fühlte, wie ihre runden Schenkel sich unter dem Rock spannten, um ihm Widerstand zu leisten. Er flehte sie an:
»Ich beschwöre dich, geh nicht so fort!«
Da blickte sie ihn von oben bis unten an, mit dem feuchten, verzweifelten Blick, der so bezaubernd und so traurig war und der den ganzen Schmerz einer Frau verrät:
»Ich habe … ich habe nichts zu sagen,« stammelte sie, »… ich kann nichts tun … du … hast recht gehandelt … du … du hast gut gewählt … was du brauchst …«
Sie machte sich mit einer schnellen Bewegung nach rückwärts von ihm los und ging fort, ohne daß er noch versucht hätte, sie zurückzuhalten.
Als er allein war, stand er auf, betäubt, als hätte er einen Schlag auf den Kopf erhalten. Dann nahm er sich zusammen und murmelte:
»Na, so oder so, es ist erledigt … wenigstens ohne Szene. Das ist mir ganz recht.«
Und plötzlich fühlte er sich wie von einer schweren Last befreit; das neue Leben konnte beginnen. Auf einmal begann er mit der Faust gegen die Wand zu schlagen, mit heftigen Schlägen, berauscht von Kraft und Erfolg, als kämpfe er mit dem Schicksal.
Als Madame Forestier ihn fragte:
»Haben Sie Madame de Marelle benachrichtigt?« — antwortete er ruhig:
»Ja, gewiß.«
Sie beobachtete ihn mit ihrem klaren, klugen Blick und fragte:
»War sie sehr erregt darüber?«
»Aber nein, nicht die Spur; sie fand es im Gegenteil sehr gut.«
Die Kunde verbreitete sich rasch. Die einen waren erstaunt, die andern behaupteten, sie hätten es vorausgesehen, andere lächelten und ließen durchblicken, es hätte sie keineswegs überrascht.
Der junge Mann zeichnete jetzt die Feuilletons mit D. de Cantel, die Lokalberichte mit Duroy und die politischen Artikel, die er von Zeit zu Zeit für das Blatt schrieb, mit du Roy. Er verbrachte den halben Tag bei seiner Verlobten, die ihn mit brüderlicher Vertrautheit behandelte, in die sich jedoch eine wirkliche, wenn auch zurückhaltende Vertraulichkeit mischte, eine Art Verlangen, das verborgen blieb, aus Furcht, für eine Schwäche gehalten zu werden.
Sie hatten beschlossen, daß die Hochzeit in aller Stille stattfinden sollte, nur in Gegenwart der Trauzeugen, und daß sie noch am selben Abend nach Rouen abreisen wollten. Am nächsten Tage wollten sie die alten Eltern des Journalisten besuchen und ein paar Tage bei ihnen bleiben.
Duroy versuchte, sie von diesem Vorhaben abzubringen, aber es gelang ihm nicht, und so fügte er sich schließlich.
Der 10. Mai war gekommen. Das junge Paar begab sich zum Standesamt, und da sie die kirchliche Trauung für überflüssig hielten und keinen Menschen eingeladen hatten, kehrten sie nach Hause zurück, um ihre Koffer zu schließen. Mit dem Zuge um sechs Uhr abends fuhren