Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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wurde am nächsten Morgen auf dem Marktplatze zu Graudenz ein Gerüst aufgeschlagen und Niklas von Renys, nachdem er seiner Ritterwürde entkleidet war, vor allem Volk enthauptet.

      Die vier Flüchtigen aber lud der Hochmeister vor eine zweite Ritterbank über vierzehn Tage auf die Brücke der Marienburg. Zugleich berief er ein Generalkapitel des Ordens, um Georg von Wirsberg zu richten.

      Auf den bestimmten Tag fanden sich die Schöppen pünktlich ein, und es ward wieder vom Landrichter das Ding gehegt auf der Brücke der Marienburg. Der Herold rief die Namen der Geladenen in alle vier Winde, aber sie erschienen nicht. Da fragte der Landrichter wieder, was ihnen geschehen solle von Rechts wegen. Und die Schöppen antworteten: Man soll sie zum dritten und letzten Male laden vor dieselbe Bank über zwei Nächte von Rechts wegen.

      Da lud sie der Herold durch lauten Ruf vor versammeltem Volk unter freiem Himmel, über zwei Nächte zu erscheinen auf der Brücke der Marienburg und Recht zu nehmen von dieser Ritterbank.

      Als nun auch diese dritte Ladung vergeblich war und weder die vier Eidechsenritter sich meldeten noch ein bestellter Vorsprecher, forderte der Landrichter »von des obersten Herrn wegen« den Spruch der Ritterbank, was die bestanden wären, die ein solch Verrätnis wider ihren rechten Erbherrn täten. Darauf wurde ihnen von der Ritterbank einmütig zugeteilt: daß ihr Leib in eine Ächtung zu ewigen Tagen gesetzt werde, ihre Güter aber in der Herrschaft Gnade fallen sollten.

      Diesen Spruch nahm der Herr Hochmeister an und ließ verkünden von den Rathäusern, auf den Märkten der Städte und in den Kirchen des Landes, daß die Geächteten in den Orten und Städten, da Kulmisch Recht üblich, Laub und Gras, Wegs und Stege nicht sollten gebrauchen, und keiner seiner Dienstpflichtigen mit ihnen Gemeinschaft haben, sie atzen, tränken und behausen, ihnen Rat, Hilfe und Förderung tun dürfe, sondern verpflichtet sei, sie zu melden und anzusagen bei schwerer Pön, damit alle Untertanen wüßten, wie denen geschehe, die sich des Verrats schuldig machten, seien sie hoch oder gering. Darüber erschraken die Bösewichte, die der Herrschaft Unheil wünschten und mit heimlicher Freude auf den Ausbruch des Aufstandes gewartet hatten, um sich mit gewaffneter Hand anzuschließen; Bürger und Bauern jedoch, die im Herzen dem Orden treu waren, meinten nicht anders, als daß nun bessere Zeiten kommen würden, und sagten: Nun sieht man doch, daß wir wieder einen Herrn haben, der seiner nicht spotten läßt und Gerechtigkeit übt im Lande.

      Das Generalkapitel aber war dem Herrn Hochmeister nicht so zu Willen, als er wohl wünschte. Des Komturs Schuld freilich mußte für erwiesen gelten. Auch war Herr Friedrich von Wirsberg überfallen und nur mit Not für seine Person entkommen; in seiner zurückgelassenen Habe fanden sich weitere Beweise gegen den Komtur. Deshalb ließ nun Heinrich von Plauen im Kapitelsaale den versammelten Gebietigern durch seinen Kanzler vorstellen, wie Georg von Wirsberg ein Verräter sei, nicht nur an seinem Orden, zu dem er geschworen, sondern auch an dem Lande, von dem er ein Stück habe abreißen und zu Polen bringen wollen. Also habe er sich doppelt schwer vergangen und sei nicht nur zu richten nach des Ordens Statut, sondern auch nach weltlichem Gesetz. Wie nun sein Helfer Niklas von Renys zu Graudenz sein Haupt habe auf den Block legen müssen wegen solcher Schuld, so sei es billig, daß auch der eigentliche Urheber solcher Schandtat gleiche Strafe leide und sein Verbrechen mit dem Tode büße. Sollten ihn also aus dem Orden stoßen und dem Arm der weltlichen Gerechtigkeit übergeben, damit jeder im Lande wisse, wessen sich auch der Höchste zu versehen habe, und daß mit gleicher Hand geteilt werde.

      Dem Kapitel gefiel eine solche Sprache nicht. Es wollte einen der Seinigen so tief nicht fallen lassen. Auch mochte mancher im Innersten sich mit verschuldet wissen und bedauern, daß die Sache ein solches Ende genommen hatte. Man wußte nicht, was in Zukunft geschehen könnte, und wollte nicht möglicherweise sich selbst im voraus ein Urteil sprechen. Dazu erschien vielen der Hochmeister schon zu mächtig, und sie fürchteten, daß er sich allzusehr im Lande beliebt mache, wenn er des Ordens Schande aufdecke und einen der Brüder dem weltlichen Richter überliefere oder selbst über ihn richte wie über einen von des Ordens Untertanen. Es sollte nicht gleiches Recht im Lande sein, sondern jeder von der Herrschaft sich über dem gemeinen Landesrecht wissen und der Bürger keinen Unterschied machen zwischen Haupt und Gliedern, sondern den gesamten Orden als seinen Landesherrn achten. Auch hatte Hermann Gans, der Großkomtur, der das Kapitel leitete, nicht vergessen, was Georg von Wirsberg ihm unter vier Augen gesagt hatte, und hielt es nicht für geraten, ihn ganz zu verderben. Deshalb nahm er nun unter dem unanfechtbaren Vorwande, des Ordens Gesetz hüten zu müssen, für den Angeklagten Partei und sagte: Keinem von uns mag es entgehen, daß der Bruder Georg, weiland Komtur von Rheden, sich schwer versündigt hat und die schwerste Strafe verdient. Fragt sich's aber, nach welchem Gesetz er gerichtet werden soll, so habe ich nur diese Antwort: nach des Ordens Statuten. Denn er ist aufgenommen in die Brüderschaft des Deutschen Hauses und hat sich zu Maria, unserer Herrin, geschworen für sein Leben und Sterben. Sowenig es ihm nun belieben kann, aus der Brüderschaft zu scheiden und weltlich zu leben, sondern die Tür ist hinter ihm geschlossen für immerdar, sobald er den Eid geschworen und das Kreuz genommen, sowenig können wir ihn seines Eides entbinden und das Kreuz von ihm nehmen. Was er Gutes schafft, das wächst dem Orden zu, was er Übles tut, das mag der Orden richten. Aber seinesgleichen sind nicht außerhalb, die über ihn Macht hätten, und niemand hat zu fordern, daß er ihm gerecht werde, außer dem Orden selbst. Darum, was er gegen das Land verbricht, das verbricht er gegen den Orden, und was er dem Landesfürsten Übles sinnt, das hat er gegen den Hochmeister zu vertreten. So wolle es dem Herrn Hochmeister gnädigst gefallen, von solcher Neuerung abzustehen und das Kapitel als alleinigen Richter anzuerkennen.

      Damit waren alle Gebietiger einverstanden, und Heinrich von Plauen mußte sich fügen, da er selbst von seinen obersten Ratgebern verlassen war. Er wußte wohl, wo das hinaus sollte, und täuschte sich nicht. Denn als der Großkomtur nun des Ordens Statuten aufschlagen ließ, fand man nichts auf den Fall Bezügliches als dies: »Wenn ein Bruder gegen den Meister oder seine Obersten Gesellschaft oder bösen Rat gehabt hat und daran gefunden wird, so soll man den Bruder, der dieses verschuldet, büßen mit der Jahresbuße, und ist die Schuld so ungefüge, oder hat er sie so lange getrieben, oder ist er so oft in Schuld verfallen, so ist das billig, daß man ihn in die Eisen schlage oder in den Kerker lege oder noch ein Jahr zu der Jahresbuße hinzufüge oder mit ewigem Gefängnis beschließe.« Die Todesstrafe aber kannte das Ordensgesetz nicht. So gab es nun ein Hin- und Widerreden wegen des Maßes der Strafe, und der Großkomtur sagte: Bedenkt, liebe Brüder, daß des Ordens Chronik von der schrecklichen Missetat des Ritters Hans von Biendorf erzählt, der vor nun wohl achtzig Jahren aus gemeiner Rachsucht den hochwürdigsten Herrn Hochmeister Werner von Orseln überfiel, als er nach getanem Gebet aus seiner Kapelle ging, und ihn mit einem Dolch ermordete. Da wollten die Brüder ihn in ihrem gerechten Zorn zu Tode bringen und erbaten dazu in Rom des Papstes Genehmigung. Aber der Papst Johann, dieses Namens der zweiundzwanzigste, genehmigte das nicht, sondern verurteilte ihn zu ewigem Gefängnis, darin er bei Wasser und Brot sein Leben beschließen sollte – was ihm zwar, wie man berichtet, schwerer als der Tod gewesen. Hat nun Georg von Wirsberg dem Herrn Hochmeister nach dem Leben getrachtet, so hat der allgütige Gott doch solches Äußerste gnädigst abgewendet und den Herrn Hochmeister behütet. Billig aber rechnet man's dem Schuldigen zugunsten, daß seine Schuld nicht vollendet worden nach seinem bösen Willen, denn wir Menschen richten die Tat. Also überleget wohl, welche Strafe gerecht ist, daß ihr niemand Überlaß tuet.

      Dagegen aber stand der alte Oberst-Spittler, Herr Werner von Tettlingen, auf, der dem Meister wohlwollte und dem Orden treu ergeben war. Der sagte: Bedenket auch, liebe Brüder, daß hier Milde wenig am Platz ist und die ganze Brüderschaft von Grund aus verderben kann. Denn was einer in der Leidenschaft tut gegen seinen obersten Herrn, weil er sich gekränkt glaubt, das ist so arg noch nicht, als wenn ein anderer reiflich und mit kaltem Blut überlegt zum Schaden der ganzen Gemeinschaft und des Landes. Darum, ob ich schon selbst gern verzeihe, dünkt mir doch für diesen schweren Fall die schwerste Strafe nicht zu hoch und jede Milderung eine ungerechte Kränkung unseres gnädigsten Herrn Hochmeisters und ein Schimpf für das Land, und so stimme ich für ewiges Gefängnis. Gott helfe mir!

      Dem wagte der Großkomtur nicht zu widersprechen, um nicht Verdacht zu erregen, gab also seine Stimme desgleichen. Und so nach ihnen die andern alle. –

      Der Hochmeister ließ


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