Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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Tages bemerkte sie, als sie aus dem schmalen Erkerfenster auf die Straße schaute, an dem Hause gegenüber einen Menschen, der mit übereinandergeschlagenen Armen an der Wand lehnte und unverwandt zu dem Fenster aufschaute. Als er ihrer ansichtig werden konnte, schien sich seine Aufmerksamkeit noch zu steigern. Er streckte den Kopf vor, und die Augen glänzten sichtlich. Als sie sich, durch sein dreistes Angaffen beleidigt, zurückzog, folgte er ihren Bewegungen, indem er sich zur Seite beugte und auf die Fußspitzen stellte. Nach einer Stunde stand er noch auf demselben Platz.

      Am andern Vormittag, nicht lange nachdem Heinz ins Haus getreten war und nach dem Erker hinaufgenickt hatte, erschien der Mensch wieder und stellte sich drüben an die Ecke der Seitenstraße. Er wartete offenbar so lange, bis Maria sich zeigte. Die Gestalt war schmächtig, das Gesicht auffallend bleich, die Augen schienen einen lodernden Glanz zu haben. Auch nachmittags war er wieder da. Maria saß gern im Erker mit ihrer Arbeit; es war der hellste Platz im Stübchen. Nun sah sie sich daran gehindert, denn beschauen wollte sie sich doch von dem Fremden nicht lassen. Ärgerlich rief sie Barbara heran. Es sei ja nur ein Knabe, meinte die. Der Junge hat seine Freude an einem hübschen Mädchengesicht, das kann man ihm nicht groß übelnehmen. Es wird ihm bald langweilig werden, zu gaffen. Tut nur, als ob ihr ihn gar nicht bemerkt.

      Aber er ging nicht fort. Nun ärgerte sich Frau Barbe selbst über seine beharrliche Dreistigkeit, band ein Mäntelchen um und ging über die Straße. Ihr da, junges Blut, redete sie ihn an, was steht Ihr da müßig und beschaut Euch unser Haus? Es steht nicht zum Verkauf.

      Der Fremde lächelte spöttisch. Ich bin hier, denke ich, niemand im Wege, antwortete er, und Ihr könnt ungehindert vorbei.

      Auf wen wartet Ihr?

      Das geht Euch nichts an.

      O doch! Denn wenn Ihr auf keinen wartet, so habt Ihr hier auch nichts zu suchen, und wenn Ihr hier nichts zu suchen habt, so trollt Euch fort.

      Ich stehe auf der öffentlichen Straße.

      Jawohl! Aber gegenüber dem Hause meines Herrn Huxer und gafft unverwandt zu unserm Erker hinauf, daß die vorübergehenden Leute wahrhaftig glauben müssen, es geschehe da was Unrechtes. Wißt Ihr nicht, daß das unschicklich ist? Nach wem schaut Ihr aus?

      Wenn ich nun antworte: nach Eurem Fräulein –?

      Das ist eine unverschämte Antwort, junger Fant. – Mein Fräulein will nicht angegafft sein wie ein Meerwunder.

      Euer Fräulein ist sehr hübsch – in der Tat! Die Augen blitzten dazu unter den gesenkten Wimpern vor.

      Das will ich meinen, zischelte Frau Barbe. Aber es geht Euch nicht im mindesten an.

      Wer weiß?

      Wer Euer glattes Kinn sähe, möchte nicht glauben, daß Ihr so dreist seid. Ein Bürschchen in Euren Jahren – seht! seht! Was man nicht erlebt! Und kurz: ich leide es nicht, daß Ihr hier Maulaffen feilhaltet – ich! Und wenn Ihr mir nicht aufs Wort folgt, so haben wir noch ein paar handfeste Packknechte im Hause –

      Ereifert Euch nicht, gute Frau, fiel ihr der Fremde in die Rede, ich bin's nicht, der Eures Fräuleins Tugend nachstellt, und ich stehe hier nur so lange, bis Euer Fräulein mich ins Haus ruft.

      Das wird nimmer geschehen.

      Meint Ihr? Sagt Eurem Fräulein, ich hätte mit ihr zu sprechen, und das müßte unter vier Augen geschehen.

      Seid Ihr toll? Wie heißt Ihr denn?

      Das laßt meine Sache sein. Aber wenn Ihr mir doch einen Namen geben wollt, nennt mich meinetwegen Veit von der Straße.

      Das ist ein Name, der paßt – wahrhaftig, mein Jüngelchen. Aber gebt Euch keine Mühe: ich habe meinen Mund zu Besserem, als ihn nachzusprechen. Und ich tue Euch schon viel zuviel Ehre an, daß ich mich hier solange mit einem hergelaufenen Menschen verweile.

      Ganz recht! Richtet Eure Bestellung aus, und damit ist's gut.

      Damit ist's nicht gut. Ich sage dem Fräulein kein Wort davon.

      Dafür wird das Fräulein Euch wenig danken. Wenn Ihr aber doch eine Losung haben wollt, so raunt dem Fräulein ins Ohr: der Waldmeister sendet! und gebt acht, wie die Wirkung sein wird.

      Frau Barbara sah ihn groß an, schüttelte den Kopf und ging. Der Fremde hatte so eigene Augen; es war sicher in seinem Hirnkasten nicht recht richtig.

      Aber schon nach wenigen Minuten kam sie zurück, machte ein zierliches Gesicht und sagte: Es kann sein, daß ich Euch doch Unrecht getan habe; das Fräulein will Euch hören.

      Der Fremde wurde plötzlich glutrot, nickte zustimmend mit dem Kopfe und folgte ihr, ohne sich über seinen Sieg weiter zu äußern.

      Maria erwartete ihn mit großer Unruhe. Das war sicher der Mensch, den Heinz sich vergeblich aufzufinden bemüht hatte. Hätte sie's ihn nur wissen lassen können! Aber um diese Zeit durfte er sich nicht aus dem Kontor treppauf wagen. Als nun der Fremde, den großen Filzhut in beiden Händen, eintrat, musterte sie ihn mit einem gespannt neugierigen Blick. Aber auch er nahm sie fest ins Auge, und die Hände krampften sich in den Filz, und die weißen Zähne faßten die Unterlippe. Das ist sie – das, murmelte er leise und für sie unverständlich vor sich hin.

      Ihr habt mich sprechen wollen, begann sie nach einer Weile.

      Ja, antwortete er mit heiserer Stimme.

      Und was habt Ihr mir zu sagen?

      Der Fremde schien sich überwinden zu müssen, das Gespräch fortzusetzen. Alle Muskeln des Gesichts waren in Bewegung. Ihr liebt den Junker von Waldstein.

      Herr –!

      Ihr liebt den Junker von Waldstein und wollt mit ihm heimlich in die Fremde.

      Maria verlor alle Farbe und verfiel in ein leises Zittern. Was sie tausendmal ohne Bangen gedacht hatte, gewann nun eine schreckhafte Gestalt, da es so offen von einem Unbekannten ausgesprochen wurde.

      Es ist endgültig noch nicht beschlossen, antwortete sie, die Augen senkend.

      Aber der Waldmeister am Melno-See ist schon um ein Quartier angegangen. Versteckt Euch nicht vor mir: ich weiß alles.

      Wenn Ihr denn alles wißt, so sagt, ob uns geholfen werden kann. Wahrlich, wir sind in großen Nöten um unserer Liebe willen.

      Veit von der Straße lachte höhnisch, so daß sein feines Gesicht dem Mädchen jetzt recht häßlich erschien. Beim Waldmeister wird's Euch nicht sonderlich behagen, fürchte ich. Ich sehe, Ihr habt ein weiches Kissen auf Eurem Stuhl und einen Teppich unter Euren Füßen. Könnt ich in Eure Schlafkammer blicken, so wüßt' ich, wie eines reichen Kaufherrn Tochter in Danzig gebettet wird. Der Waldmeister wohnt in einem Blockhaus, er hat nur ein einziges Gemach, und der Rauch von seinem Herd zieht durch die Ritzen des Daches. Er schläft auf einem Lager von Laub und nährt sich von schwarzem Brot und geröstetem Wildfleisch. Habt Ihr Lust, ihm die Wirtschaft zu führen?

      Es durchschauerte sie. Aber wenn der Ort sicher ist – zitterte sie heraus.

      Oh, sehr sicher. Ihr fürchtet Euch doch nicht vor Hexen und solchem Gesindel? Davon gibt's im Walde die Menge. Ganz in der Nähe ist der Heidenwall, in dem sie ihre Götzenbilder verstecken. Stille Leute sonst, sie tun niemand etwas, den der Waldmeister beschützt. Die Herren in Schloß Rheden sind gefährlicher: die spüren den hübschen Weibsen nach und nehmen sich gewiß gern der Verlaufenen an, denen es im Walde nicht geheuer ist.

      Ihr ängstigt mich – ich hatte es mir so nicht vorgestellt. Hat Euch der Waldmeister geschickt, um abzureden?

      Nein, so menschenfreundlich ist er nicht. Er hat geflucht und gewettert, ich bin nicht daraus klug geworden. Sein drittes Wort ist der Teufel, mit dem er auf gutem Fuße zu stehen scheint. Er hat so eine eigene Art, sich über das auszudrücken, was ihm gefällt und nicht gefällt. Den Brief des Junkers hat er mir zu lesen gegeben, da er selbst die Kunst nicht versteht. Ich sage Euch die Wahrheit, nichts mehr und nichts weniger.

      Und warum das? welchen Antrieb habt Ihr –

      Pah,


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