Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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nun gesonnen sei. Sie gab aber keine andere Antwort. Da sagte er, das hätte er wohl erwartet und wollte nicht weiter versuchen, sie mit guten Worten zur Vernunft zu bringen. Das sei künftig ihres Mannes Sache. Er werde mit dem Schultheißen sprechen, und wenn die Väter einig würden, wie er zuversichtlich hoffe, solle nächsten Sonntag die Verlobung in seinem Hause gefeiert werden. Widerspruch dulde er nicht. Die Sache müsse ihr Ende haben.

      Er zog auch wirklich ein anderes Kleid an, mit dem er sonst nur nach der Ratsstube zu gehen pflegte, und machte sich auf den Weg. Nach seiner Rückkehr gab er im Hause Befehl, daß alle erforderlichen Vorbereitungen zum Verlobungsfeste für nächsten Sonntag getroffen würden.

      Bis dahin waren es nur noch vier Tage. Maria schien plötzlich ihre ganze Entschlossenheit wiederzugewinnen. Nun hilf mir, gute Barbara, sagte sie, daß die Gewalt mich nicht zwinge. Zwar weiß ich, daß ich nie einwilligen werde, des verhaßten Mannes Eheweib zu sein. Aber sie werden mich in ein Kloster schleppen und dort lebendig begraben, wenn ich fest bleibe.

      Barbe war sehr verzagt und hätte am liebsten mit der heiklen Sache gar nichts mehr zu tun gehabt. Es wird ja ganz so schlimm nicht kommen, tröstete sie, selbst wenig überzeugt. Und wie kann ich helfen, Kindchen? Der Herr Vater hat das letzte Wort gesprochen, und darauf gibt's ja doch keine andere Antwort als: ja – ja. Es geschieht gewiß auch in guter Meinung, daß er so über Euch verfügt. Denn am Ende sind doch die Alten klüger als die Jungen und sehen besser in die Zeiten voraus. Schon manches Mädchen hat gedacht: lieber ins Kloster oder gar ins Wasser, als in eine solche Ehe, die ich nicht mag – und ist hinterher eine glückliche Frau geworden. Dafür hat man viel Beispiele. Fügt Euch also in Geduld, da es doch nicht anders sein kann.

      Maria war aber darüber nicht ungebärdig, wie wohl sonst ihre Art war, wenn sie von dieser Seite Widerspruch erfuhr; sondern sie antwortete sehr ernst und mit anscheinender Ruhe: Kannst du so sprechen, so weiß ich, daß du mich nicht lieb hast und was ich von allen deinen Versicherungen zu halten habe. Willst du mir nicht helfen, so muß ich zusehen, wie ich mir selbst helfe. Denn ich hab' ihm mein Wort gegeben und weiche nicht davon aus Furcht und Kleinmut. Deine Schuld aber wird's sein, hier und in Ewigkeit, wenn ich unterliege, weil meine Kraft allein nicht ausreicht zu einem so schweren Werk. Und kein Graumönch wird diese Schuld von deinem Herzen nehmen.

      Nun kniete die besorgte Frau neben ihr nieder und umfaßte ihren Leib und küßte ihre Hände und beschwor sie bei allen Heiligen, auf der Hut zu sein und nichts Sträfliches gegen ihren Vater zu unternehmen. Bedenket auch dies, sagte sie unter Tränen, daß es ein schweres Verbrechen ist, eine Jungfrau zu entführen, und daß Ihr den Mann, den Ihr doch liebt, großer Gefahr des Leibes und des Lebens aussetzen wollet. Denn wenn sie ihn ergreifen, so wird er's hart büßen müssen nach dem Gesetze des Landes.

      Aber auch das tat keine Wirkung. Mag er's überlegen, antwortete sie, und nach seines Herzens Rat entscheiden. Ist ihm das Wagnis zu groß, so will ich ihn nicht schelten. Wenn er mich aber liebt, so wird ihm das Leben ohne mich nicht teuer und eine Stunde des Glückes mehr wert sein als eine Reihe kümmerlicher Jahre. Mag uns geschehen, was wir nicht wenden können, aber mit unserm Willen fügen wir uns nicht in das, was uns elend macht.

      Als sie nun sah, daß alle Vorstellungen doch verschwendet sein würden, kreuzte sie dreimal ihre Brust und sagte: Wenn's Sünde ist, mag mir's verziehen werden. Aber einen Stein müßte ich ja statt des Herzens tragen, wenn mich so viel Standhaftigkeit nicht bewegte. Nein, ich kann dich nicht in der Not verlassen, mein geliebtes Kind! Und wenn es mein eigenes Verderben wäre, ich will dir beistehen und das Schlimmste von dir abzuwenden suchen.

      So gab Barbe nun dem Junker in seiner Herberge von allem Nachricht, was geschehen war, und hieß ihn abends in einem engen Gäßchen unfern dem Hause warten, bis sie ihn hineinrufen würde, wenn der Herr ausgegangen sei. Sie wollte ihn in ihrer Kammer verbergen, und in der Nacht, wenn alles schlief, sollte Maria zu ihm schleichen und die nötige Abrede treffen. So geschah es denn auch, und es erschien ihnen das beste, zu Wasser den Ausgang aus der Stadt zu suchen, da sie an den Landtoren befürchten mußten, von den Wächtern aufgehalten und festgenommen zu werden. Barbara versprach, mit Klaus Poelke, ihrem Schwestersohn, zu reden, daß er ein leichtes Boot bereitstelle und auch selbst helfe, es über den Balken zu heben, der nachts den Fluß sperrte. Ohne einen kräftigen Ruderer konnte man nicht weit kommen, und war man erst auf der Weichsel, so mußten Segel gebraucht werden. Um Huxer sicher zu machen, sollte es heißen, daß Maria sich in sein Gebot füge. Den Waldmeister hoffte Heinz schon freundlicher und willfähriger zu stimmen, wenn er ihm vor die Augen träte. Weigerte er sich aber, Maria aufzunehmen, so werde der Ratmann Clocz in Schwetz sie nicht abweisen, und von da könne man leicht über die Grenze gelangen. Wiederholt gaben die Liebenden einander das Versprechen, eher das schwerste Ungemach zu dulden, als sich zu trennen.

      Der Morgen graute schon, als Heinz leise von Barbara aus dem Hause gelassen wurde. Als er die Stufen der Steintreppe hinabstieg, erhob sich neben ihm eine Gestalt, die vorher, an die Einfassung gelehnt, nahe der Tür gesessen haben mußte. Er streckte den Arm aus, sie festzuhalten, ergriff aber nur den Mantel. Habe ich dich, frecher Bursche! rief er. Nun sollst du mir Rede stehen! Der aber wollte sich nicht fangen lassen; er riß und zerrte am Mantel und suchte die Straße zu gewinnen. Indem er hierbei eine halbe Wendung machte, um sich seinem Verfolger zu entziehen, mußte er einen Teil seines Gesichtes zeigen. Heinz erschrak plötzlich aufs heftigste und ließ das Gewand los. Diese Augen –? Das war ein nächtiger Spuk, der sich hier in die Dämmerung des Morgens verirrt hatte. Diese Augen kannte er; sie hatten ihn oft angeblickt, meist freundlich, aber auch mitunter zornig und feindlich wie jetzt. War sie's? Täuschte er sich? Er mußte sich täuschen.

      Die Gestalt huschte fort um die Ecke des Hauses, in das Dunkel des engen Seitengäßchens hinein. Er eilte ihr nach.

      Jetzt kreuzte sie den nächsten Straßendamm, jetzt wandte sie sich wieder und verschwand hinter dem mächtigen Steingeländer eines Treppenaufganges. Von dort scheuchte er sie nochmals auf, aber eine andere Quergasse mit himmelhohen Häusermauern war ganz nahe. Er verlor sie aus den Augen, sah sie wie einen Schatten auftauchen, wieder verschwinden. Die Kreuz und die Quer lief er, immer die Arme ausbreitend, um zu erhaschen, was sich in der Dunkelheit darin fangen möchte; dabei fiel er über einen vorspringenden Kellerhals. Als er sich aufgerafft hatte, schien die weitere Verfolgung ganz vergeblich. Hastig Atem schöpfend und von Zeit zu Zeit stehenbleibend, um sein wild klopfendes Herz zu beruhigen, schritt er seinem Quartier im Mauergäßchen zu. Er war nun nicht mehr im Zweifel, eine bloße Spukgestalt gesehen zu haben.

      Als er aber die Haustür aufgeschlossen hatte und eben in den Flur treten wollte, hörte er hinter sich, nicht zwanzig Schritte entfernt, ein gellendes Lachen, wie es wohl die Nachtvögel im Walde auszustoßen pflegen. Er schauerte zusammen und warf die Tür hinter sich ins Schloß. Er glaubte nicht anders, als daß der böse Geist ihn äffe. Er sah in Gedanken Natalia auf der Turmtreppe sitzen mit Blechkappe und Spieß, ihn zu bewachen. So mochte sie wohl gelacht haben, als sie am Morgen das Gemach leer fand. –

      Es war verabredet worden, daß Frau Barbara vormittags auf den Fischmarkt gehen sollte, wo gewöhnlich Klaus Poelke mit seinem Kahn am Wasser zu finden war. Später suchte der Junker ihn im Hakelwerk in seiner Mutter kleinem Hause auf. Der junge Mensch machte ein bedenkliches Gesicht. Es sei schwer, nachts aus der Stadt hinaus und am Schlosse vorbeizukommen: überall paßten die Wächter auf. Er besitze auch neben seinem Fischerkahn kein seetüchtiges Boot, das auf den Kiel gebaut sei, sondern nur ein flaches kleines Fahrzeug, das schlecht segle und bei heftigem Seitenwinde leicht umschlage. Auf der Weichsel sei's manchmal recht luftig, und dicht am Lande hin komme man wegen der Weiden- und Rohrkampen mit den Rudern auch schlecht vorwärts, zumal stromauf. Er riet ernstlich ab. Aber Heinz ließ sich nicht so leicht einschüchtern; er wollte das Boot sehen. Nun gingen sie nach dem Ufer des Mühlgrabens gegenüber der Stelle, wo die Insel lag, die man den Schild nannte. Die Fischer trockneten darauf ihre Netze, und es waren hier die Boote zum Übersetzen halb aufs Land gezogen. Eins davon bezeichnete Klaus als das seinige. Es war in der Tat schmal und flach und wenig einladend zu einer Fahrt von mehreren Tagen. Ob er denn nicht ein tüchtiges Seeboot leihen könne? Es lägen ja jetzt so viele Schiffe abgetakelt, die ihre Schaluppen entbehren könnten. Es werde davon gesprochen werden, meinte der Fischer, da er doch keinen rechten Vorwand habe, und man komme auch mit dem schweren Dinge nicht


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