Gesammelte Werke. Ernst Wichert

Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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Willen und wird nimmer nachgeben, so lieb er dich hat, du aber – ich mag es nicht ausdenken.

      Hatten diese Worte eine Wirkung, so doch durchaus nicht die beabsichtigte. Recht hatte die gute Barbe gewiß, nur nicht in dem, daß sie sich von dem Junker losreißen sollte, um dem Vater gehorsam sein zu können. Aber daß auf seine Nachgiebigkeit nicht zu rechnen sei, darin kannte sie ihn von Grund aus. Er war meist in verdrießlicher Laune; der geringste Widerspruch brachte ihn auf. Es ärgerte ihn schon sichtlich, daß sie sich stumm verhielt, wenn er von Rambolt sprach und seine Tugenden rühmte, deren vornehmste freilich die war, daß die Xanten zu den ältesten gehörten, die auf der Georgsbank gesessen, und daß der Schultheiß sich an Grundbesitz außer der Stadt dreist mit jedem Edelmann im Lande vergleichen könne.

      Der Hoffnungsfaden wurde immer dünner, daß mit gütlichem Vorstellen, Bitten und Weinen bei ihm etwas auszurichten sein werde. Dann blieb aber nichts übrig, als Zwang zu versuchen: die Verzeihung könnte ja hinterher doch nicht ausbleiben. Der Gedanke, anfangs erschreckend und beunruhigend, wurde ihr von Tag zu Tag vertrauter.

      Auch Heinz mußte bald einsehen, daß sein Plan, sich den stolzen Kaufherrn durch seine Dienste zu gewinnen, ganz abenteuerlich sei. So von außen her hatten die Dinge ein ganz anderes Aussehen gehabt: der reiche Großhändler, der im pelzverbrämten Rock, das Schwert an der Seite, über den Markt ging, mit tiefem Bückling von jedem Begegnenden gegrüßt; der im Rat oder auf der Schöppenbank saß und im Hofe bei den ritterlichen Georgsbrüdern seinen Platz fand – mit ihm zu tauschen, wäre ihm nicht so übel erschienen. Nun in der Schreibstube zeigte sich die Kehrseite des glänzenden Bildes: da galten nur die Zahlen, und es wurde gerechnet und immer gerechnet, um sich eines kleinen Vorteils zu versichern oder einen Schaden abzuwenden. Wer da brauchbar sein wollte, der mußte die Handelsbücher schreiben und lesen können, Zahlen und Zeichen leicht handhaben, die Marken aller großen Handelshäuser in den Hansestädten kennen, den Preis der Waren auf den verschiedenen Märkten taxieren, die Kosten der Seefahrten und des Landtransports richtig zu schätzen verstehen, das Risiko in Anschlag bringen, die Wege berücksichtigen, auf denen der Wechsel von Hand zu Hand zu laufen hatte, bis das Papier richtig zu Geld wurde. Dafür hatte Heinz gar nicht den Kopf, am wenigsten jetzt, da er verliebt war und nur immer daran dachte, wie schön das heimliche Beisammensein diesen nächsten Abend sein werde. Nie im Leben konnte ein tauglicher Kaufmann aus ihm werden.

      So wurde es auch ihm immer gewisser, daß etwas gewagt werden müßte, wenn sie an das gewünschte Ziel gelangen wollten. Erst nur schüchtern deutete er's an, wenn Maria zärtlich das Köpfchen an seine Brust schmiegte und seufzte, daß man nicht aller Welt sagen könne, wie gut man einander sei. Dann, als sie nicht schalt und wohl gar wie zum Zeichen des stillen Einverständnisses seine Hand drückte, sprach er dreister und zuversichtlicher wie über etwas, das eigentlich nur eine Frage der Zeit sei. Und sie antwortete ihm, daß sie in alle Ewigkeit nicht von ihm lassen wolle und, wenn es sein müßte, auch Not und Gefahr mit ihm teilen werde. Da taten sie einander einen Schwur, daß sie keinerlei Gewalt nachgeben und lieber das Äußerste leiden, als sich trennen lassen wollten. Und das war ihnen beiden heiliger Ernst.

      Zu der Zeit nun schrieb Heinz an den alten Waldmeister. Es war ihm nur darum zu tun, ein verborgenes Winkelchen in der weiten Welt zu ermitteln, in dem er sein Glück sicher unterbringen könne. Wie das zarte, verwöhnte Mädchen in der rußigen Waldhütte bei dem wunderlichen alten Waldmeister auch nur wenige Tage würde das Leben erträglich finden können, kam ihm nicht in den Sinn. Aber wie er's mit freundlichen Farben schilderte, wenn er sie im Arm hielt – der stille Wald, der See mit den Uferschluchten, das Holzhaus unter den schattigen Bäumen, der knorrige Alte, der darin die Herrschaft führte und jeden Angriff mit bewaffneter Hand abzuwehren bereit war –, es hatte gar nichts Schreckhaftes, und fürs erste war's ja auch nur ein Spiel mit Vorstellungen. Sie konnten sich recht tief darein versenken und das Bild immer verführerischer ausmalen, wie Heinz sich mit des Alten Beistand eine eigene Waldhütte baute und sie für Mann und Weib einrichtete, täglich seine Jagdbeute nach Hause brachte und Holz zum Herdfeuer herantrug, während sie die Hühner und Tauben fütterte, das Stübchen sauber hielt und das einfache Mahl besorgte, so daß es ihnen fast unlieb war, zu denken, der Vater könne sich rasch zur Versöhnlichkeit bekehren und zu ihrem Bunde amen sagen, ehe das herrliche Waldleben noch recht habe anfangen können.

      Es kam keine Antwort. Hatte Gundrat den Brief nicht erhalten? Weigerte er sich, Maria aufzunehmen? Fehlte es ihm nur an Gelegenheit, seinen jungen Freund wissen zu lassen, wann er ihn erwarte? Heinz wartete von einem Tage zum andern vergebens und fing an ungeduldig zu werden. Als er eines Abends in sein Quartier am Glockentor kam, erzählte ihm die alte Wittib, bei der er wohnte, daß ein junger Mensch bei ihr gewesen sei und sie sehr eifrig nach ihrem Mietsmann ausgefragt habe. Es sei ein ganz junges, hübsch gewachsenes Bürschchen gewesen mit einem rechten Milchgesicht, scheine auch noch nicht einmal die Stimme gewechselt zu haben. Sie habe ihm alle schickliche Auskunft gegeben, ihn auch gefragt, wie er heiße und ob etwas an den Junker zu bestellen sei. Er habe aber geantwortet, der Name tue nichts zur Sache, und eine Bestellung sei nicht auszurichten, außer daß der Waldmeister sagen lasse, er könne nicht lesen und habe schreiben nicht gelernt. Was das bedeute, wisse sie nicht. Der Junker wurde feuerrot, und es war nur gut, daß sie im halbdunklen Flur an der Treppe zu seinem Stübchen sprachen, wo sie es nicht merken konnte. Ob er denn habe wiederkommen wollen? Davon sei nicht gesprochen worden.

      Nun hatte Heinz eine unruhige Nacht. Unmöglich konnte das alles sein, was Gundrat ihn wollte wissen lassen. Der Bursche wußte mehr, hatte nur der Wirtin nicht getraut. Am Morgen war er schon früh auf. Käme der Bursche wieder, so sollte Frau Martha Kettenhagen ihn jedenfalls hinhalten, bis er zurückgekehrt sei: er wolle ihn indessen in der Stadt suchen. Es half ihm aber nichts, daß er alle Straßen zwischen den Wasser- und Landtoren durchlief, auch am Fluß auf dem Bollwerk auf und ab ging, wo sonst die Fremden am leichtesten anzutreffen waren, auch in den bekannteren Herbergen nachfragte. Er begegnete niemand, der zu der Beschreibung passen wollte, und lachte sich schließlich selbst aus, daß er einen Menschen zu suchen bemüht war, den er nie von Angesicht gesehen. Er fragte wieder zu Hause an: es hatte niemand sich blicken lassen. Verstimmt trat er in Huxers Kontor ein und mußte sich wegen seines späten Kommens schelten lassen. Heut wollte die Feder gar nicht über das rauhe Papier vorwärts. Er warf sie fort und stützte den Kopf auf. Abends wartete er vergeblich, daß der Kaufherr ausgehen sollte. Nur mit knapper Not gelang es ihm, Barbara auf eine Minute zu erhaschen und ihr zuzuflüstern, daß ein Bote vom Waldmeister da sei, und daß Maria ihn morgen nicht erwarten solle.

      Den andern Tag hielt er sich am Vormittag einheimisch; um den erwarteten Besuch nicht zu versäumen, ließ er sich den jungen Menschen nochmals genau beschreiben, ohne dabei etwas zu gewinnen, da Frau Kettenhagen blöde Augen hatte und nicht einmal mit Bestimmtheit sagen konnte, ob sein Wams von Leder oder Tuch gewesen war, und machte sich wieder auf den Weg, diesmal nicht nur die Rechte Stadt, sondern auch die Alt- und Jungstadt bis beinah zum Blockhause hinauf zu durchlaufen. Er hoffte immer, von dem Fremden irgendwo angesprochen zu werden. Die Leute, die vorüberkamen, gingen aber eilig ihren Geschäften nach, ohne auf ihn achtzugeben, und wenn sich einmal jemand nach ihm umsah, so war es eine hübsche Magd oder Bürgerstochter, die dazu Zeit hatte.

      Er entschuldigte sein Ausbleiben im Kontor mit Unwohlsein und nahm für einige Tage Urlaub. Der Fremde mußte sich doch wieder melden. So blieb er nun auf seinem Stübchen oder plauderte mit Frau Kettenhagen, um die langen Stunden herumzubringen. Sie neckte ihn mit seiner Unruhe und meinte, das sei am Ende gar kein junger Herr, sondern ein verkleidetes Fräulein gewesen; zierlich genug dazu habe das Bürschchen ausgesehen. Er verschwur sich hoch und teuer, daß er von solcher Mummerei nichts wüßte und ganz andere, sehr ernste Dinge im Kopfe habe, wovon freilich nicht zu sprechen sei. Es wäre auch nur ihr Scherz, versicherte sie, und übrigens sei Neugierde gar nicht ihr Fehler, und es ginge sie nichts an, was ihre Mietsleute trieben, wenn sie sich nur in ihrem Hause keinen Unfug erlaubten. Eine arme Witwe muß vorsichtig sein, setzte sie hinzu. Die Nachbarn passen auf und wissen allemal mehr als wir selbst.

      Da der Fremde nicht wiederkam, fing's ihm nun doch an bedenklich zu werden, ob er noch in der Stadt sei und eine weitere Botschaft auszurichten gehabt habe. Dann hatte der Waldmeister nicht ja und nicht nein gesagt; er konnte sich seine Antwort auslegen, wie er wollte. Nun besuchte er wieder regelmäßig die Schreibstube und


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