Winzerschuld. Andreas Wagner

Winzerschuld - Andreas Wagner


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ist nicht mal geblieben, bis ihr Mann dran war.« Renate blickte ihn an.

      Kurt-Otto versuchte, Ordnung in seinen dröhnenden Schädel zu bringen. Das wollte nicht gelingen. »Wie?«

      Renate verdrehte die Augen. »Winternheimer, unser Till, dein Kollege? Warst du gestern nicht auch mit dabei?« Sie lächelte amüsiert. Als sie weitersprach, passte sie ihre Lautstärke und die Geschwindigkeit ihrer Worte seinem lädierten Zustand an. »Die gesamte Familie Winternheimer muss mit, um ihn zu sehen. Seine Frau, die Zwillinge und seine Eltern. Manch einem Familienmitglied ist dabei deutlich anzusehen, dass er oder sie alles schnellstmöglich hinter sich bringen möchte. Marion ist jedes Jahr sofort nach dem Finale weg, wie du weißt.« Renate schnaufte verächtlich. »Verständlicherweise. Keine Ehefrau sieht gerne dabei zu, wie ihr Mann danach jede angrapscht, die nicht bei drei auf dem Baum ist. Ein Wunder, dass sie das überhaupt aushält.«

      »Woher weißt du, dass sie diesmal früher gegangen ist?«

      »Uschi Reifenberger hat es mir erzählt. Die sitzen doch immer mit Winternheimers zusammen am Tisch, ganz vorne in der Mitte, wo auch Dr. Jennewein sitzt. Die Prominenz. Das ist im Kleinen wie im Großen so.«

      »Das habe ich nicht mitbekommen.«

      »Natürlich nicht, so etwas entgeht euch Männern. Marion ist noch vor der Pause raus. Davor hatte sie eine Nachricht auf ihr Handy bekommen. Die hat sie anscheinend nervös gemacht. Sie hat sich immer wieder umgesehen und ist dann weg und nicht wieder zurückgekommen. Uschi hat Daniel später gefragt, was los war. Du weißt ja, wie neugierig sie ist. Aber Winternheimers Sohn wusste von nichts.« Renate griff nach einem der Körnerbrötchen. Zur Feier des Tages schien sie heute auf ihr Quellmüsli zu verzichten.

      Mit der Aufnahme fester Nahrung wollte Kurt-Otto sich jetzt lieber noch nicht beschäftigen, auch wenn sein Magen fordernde Geräusche von sich gab. »Vielleicht ist ihr schlecht geworden. Der Dunst im Saal. Es war schon ziemlich stickig und eng.«

      »Das glaube ich nicht. Dann wäre sie kurz raus an die frische Luft und wieder reingekommen. Stattdessen hat sie den Vortrag ihres Mannes verpasst.«

      Kurt-Otto unternahm einen vorsichtigen Versuch, sich daran zu erinnern, ob er Marion Winternheimer bei der Sitzung am gestrigen Abend überhaupt gesehen hatte. Ihren Sohn Daniel später schon, seine Zwillingsschwester Laura auch. Beide waren sie nach dem Abschluss des Weinbaustudiums in Neustadt im vergangenen Jahr in den Betrieb des Vaters eingestiegen und wirbelten dort mächtig Staub auf. Von großen Um- und Ausbauten war die Rede, obwohl das Gehöft der Winternheimers unten an der Selz so schon kaum Wünsche übrig ließ. Es war ein stattliches Weingut, dem man ansehen konnte, dass schon Georg Winternheimers Vater und Großvater erfolgreich Wein gemacht und diesen noch erfolgreicher verkauft hatten.

      Winternheimer selbst, der gestern unter dem Jubel der vom Wein und seiner Darbietung berauschten Menge den SEXIT samt Anschluss des Selztales an das Königreich England proklamiert hatte, verantwortete die geräumige und mit weitverzweigten unterirdischen Kellern versehene Aussiedlung seit den Achtzigern und hatte das Gut vor knapp zwanzig Jahren zudem um eine feine Vinothek und einen Restaurantbetrieb erweitert. Die Gastronomie, die direkt am Fluss lag, hatte er von Anfang an verpachtet. Nicht immer erfolgreich. Verschiedene Köche hatten sich daran probiert, die meisten waren gescheitert. Nicht wenige im Dorf schrieben die Schuld daran Georg Winternheimer und seinem aufbrausenden Gemüt zu. Kaum ein Gastronom schien es länger als ein Jahr mit ihm auszuhalten.

      Daniel und Laura hatten zusammen mit den anderen jüngeren Sitzungsbesuchern die Tanzfläche im Foyer unsicher gemacht. Sie schienen mit einer Gruppe unterwegs gewesen zu sein, zu der auch Johanna Menges gehörte, obwohl die ein paar Jahre jünger als die Zwillinge war und gerade erst mit dem Studium begonnen hatte. Kurt-Otto musste schmunzeln, weil er jetzt endlich wieder farbige Bilder vor Augen hatte. Und sie schmerzten nicht. Er befand sich auf dem Weg der Besserung.

      Daniel Winternheimer hatte sich ganz besonders aufmerksam um Johanna Menges gekümmert. Kurt-Otto glaubte sich zu erinnern, die beiden über den Abend hinweg mehrmals zusammen gesehen zu haben. Eine gute Partie, aus der Ferne betrachtet, wenn es nicht den Streit zwischen den Vätern gäbe. Es wäre allerdings nicht der erste langjährige Zwist, der durch die Aussicht auf eine reiche Mitgift sein Ende fände. Er nickte anerkennend und musste grinsen. Nicht umsonst hieß es: »Drum prüfe, was sich ewig bindet, dass Hektar zu Hektar findet.« Wenn es so weiterging, gab es bald nur noch ein einziges Weingut im Dorf. Menges, Winternheimer und Dörrhof. Jochen Dörrhof, der vor drei Jahren in den Zehnthof seines Vaters eingestiegen war, wurde stets und ständig mit Daniels Schwester Laura in Verbindung gebracht. Der gestrige Abend hatte dieses Gerücht aber nicht bestätigen können.

      Sein Blick wanderte zurück zu Renate, die ihm gegenübersaß und auf ihrem Brötchen kaute. Sie hatte es üppig mit dem selbst gemachten Quittengelee bestrichen. Ihrem Gesichtsausdruck nach schien dieser Samstag ganz nach ihrem Geschmack zu sein. Sie spülte den Bissen mit einem Schluck Milchkaffee hinunter. »Oder gibt es dafür eine ganz andere Erklärung?« Sie blickte ihn vielsagend an und wartete auf seine Reaktion.

      »Was meinst du?« Kurt-Otto wusste nicht, worauf sie hinauswollte.

      »Uschi hat so was angedeutet. Sie war da schon nicht mehr ganz nüchtern, daher habe ich anfangs gar nicht kapiert, was das sollte. Erst als der Winternheimer den Werum niedergeschlagen hatte, erinnerte ich mich wieder daran.«

      »Spann mich nicht so auf die Folter. Was ist los?«

      Renate lächelte, sichtlich erfreut darüber, dass sie von einer Neuigkeit Kenntnis hatte, von der er noch nichts wusste. Das kam äußerst selten vor. Entsprechend lange kostete sie es nun aus. Zum weiteren Spannungsaufbau nahm sie noch einen Schluck von ihrem Milchkaffee und sagte dann: »Sie sitzt auf gepackten Koffern!«

      »Wie? Um diese Jahreszeit?«

      Renate seufzte. »Marion möchte nicht in den Urlaub, sondern ganz weg. Ein für alle Mal, und das ist mehr als verständlich, bei dem, was er ihr in den letzten Jahren angetan hat.« Entschlossen biss sie in ihr Geleebrötchen.

      »Das weiß Uschi alles?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Und hat es dir im Vollrausch erzählt?« Er wollte abwinken, verzichtete aber darauf, weil er sich nicht sicher war, ob ihm sein angeschlagener Schädel die abrupte Bewegung nachsehen würde. »Nach über zwanzig Jahren Ehe?« Stattdessen nahm er einen kräftigen Schluck vom schwarzen Kaffee.

      »Fünfundzwanzig Jahre, um genau zu sein. Die Zwillinge sind bald nach der Hochzeit auf die Welt gekommen. Im Januar haben sie ihren vierundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, im Sommer wäre Silberhochzeit.«

      Renate und die meisten anderen Frauen aus dem Dorf trafen sich zweimal im Monat bei den Landfrauen. Daher war sie über fast jedes familiäre Ereignis stets bestens im Bilde. Geburtstage, Hochzeiten, Geburten und Trauerfälle wurden meist in aller Ausführlichkeit bei einem Gläschen Perlwein diskutiert.

      Kurt-Otto stellte seine Tasse neben das Frühstücksbrettchen. »Das wird teuer für den Winternheimer.« Er langte jetzt doch nach einem Brötchen, entschied sich aber gegen die Dosenbratwurst, die er sonst am Morgen verzehrte. Sie passte besser auf eine Scheibe Brot, und außerdem wollte er seinen sich gerade erholenden Magen nicht überfordern. Kein Gallert, kein weißes Fett, lediglich ein Hauch Butter, das gebot sein angeschlagener Zustand. Der Hunger würde von ganz allein wiederkommen. Spätestens zum Mittagessen wäre er wieder ganz der Alte.

      »Du denkst auch immer nur an das eine.«

      »Ganz bestimmt nicht!« Er reckte sich trotzig in die Höhe. »Im Unterschied zu allen meinen Winzerkollegen habe ich eine Geschichtslehrerin geheiratet, die nicht einen Quadratmeter Weinbergsgelände oder einen Acker mit in die Ehe gebracht hat. Damals haben sie über mich gelacht, heute klopfen sie mir nach dem dritten Schoppen auf die Schulter und loben meine Weitsicht. Meine Frau hat immerhin eine schöne Beamtenpension.«

      Renate verdrehte genervt die Augen. »Schon gut, ich nehme es zurück.«

      Kurt-Otto war mit den Gedanken schon wieder bei dem Gerücht, Winternheimers Frau könnte ihn verlassen wollen. Und womöglich die Scheidung einreichen. »Das Weingut vom Winternheimer


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