Petra und der Reiterhof. Torbjörg Hagström
Tag“, sagte sie, „ich bin Petras Mutter. Trinken Sie eine Tasse Kaffee mit mir, während die Mädchen reiten?“
Frau Johanson nahm das Angebot an, und Astrid, Lena und Petra blieben allein mit dem Pony zurück.
„Wie sieht Svala aus?“ fragte Astrid.
Von Lena wußte sie eine Menge über die Pferde der Reitschule, doch ihre Schwester hatte ihr noch wenig von Svala erzählt.
„Sie ist kohlrabenschwarz, mit weißen ‚Strümpfen‘ an den Hinterbeinen und einem kleinen Stern auf der Stirn“, erklärte Petra. Da Astrid offenbar mehr hören wollte, fuhr sie fort: „Sie hat feine schlanke Beine, eine breite Stirn, kluge Augen und ein kleines Maul. Und sie ist ungefähr einsvierzig hoch.“
Astrid hatte eine Hand auf die Brust des Ponys gelegt. Nun ließ sie die Finger langsam über den Pferdehals gleiten, ergriff die Zügel, ging ein paar Schritte zur Seite und tastete mit der anderen Hand nach dem Steigbügel, fand ihn jedoch nicht.
„Hier“, sagte Petra und gab ihn ihr in die Hand.
„Danke.“
Astrid bekam den Fuß in den Steigbügel und tastete nach dem Bügelriemen. Dann versuchte sie, sich hochzuschnellen. Sie hatte das zu Hause mit Lenas Hilfe am Treppengeländer geübt. Nun mußte sie ein wenig mit den Armen nachhelfen, um hochzukommen, doch es war nicht so schwer, wie sie geglaubt hatte. Die erste Schwierigkeit war überwunden. Endlich saß sie im Sattel!
Petra half ihr, die Steigbügelriemen etwas zu kürzen. Plötzlich spürte Astrid, daß sich etwas an ihrem Fuß bewegte.
„Was ist das?“ fragte sie und zog den Fuß ängstlich zurück.
„Das war nur Svala. Sie hat dich ein bißchen beschnuppert“, beruhigte sie Petra. „Svala wollte wohl sehen, wer da auf ihrem Rücken sitzt. Ich bin ja seit mehreren Jahren die einzige, die sie reitet.“
Lieber Himmel! dachte Astrid. Das hieß mit anderen Worten, daß Svala nicht an Anfänger gewöhnt war. Doch sie hatte ja keine Wahl. Sie mußte dieses Pferd reiten, wenn sie überhaupt reiten wollte.
„Ich führe sie, bis wir zur Bahn kommen“, sagte Petra und griff nach den Zügeln.
„Zur Reitbahn?“ echoten Lena und Astrid ungläubig.
„Ja, das ist ein Teil unserer Schafweide“, erklärte Petra. „Ein kleines, ebenes Stück Wiese am Waldrand. Weil ich dort manchmal Dressur reite, hat mein Vater einen Zaun als Grenze zwischen der Bahn und dem Rest der Weide aufgestellt. Ich habe sogar ein eigenes Gatter bekommen.“
Sie ließen den Hof hinter sich und folgten dem grasbewachsenen Fahrweg, der an den Wiesen entlangführte. Die Luft war voller Vogelgezwitscher, und dazwischen erklang lautes Blöken von der Weide.
Astrid senkte die Fersen und versuchte so aufrecht im Sattel zu sitzen, wie sie nur konnte. Es war schön, auf Svalas Rücken hin und her geschaukelt zu werden; trotzdem war sie froh, daß Petra die Zügel hielt. Plötzlich machte das Pony halt.
„Jetzt stehen wir vor dem Gatter“, sagte Petra. „Die Bahn ist ungefähr 20 × 40 Meter, und es macht nichts, wenn du vergißt, abzubiegen. Svala läuft sowieso nicht gegen den Zaun. Sie bleibt stehen, wenn ihr etwas im Weg ist. Von unserem Standplatz aus hast du die Schafweide zur rechten Längsseite der Bahn und den Wald zur linken. Ich mache das Transistorradio an und stelle es in die linke Ecke, damit du wenigstens hören kannst, wo eine der Ecken ist.“
„Ich habe selbst ein kleines Tonbandgerät zu Hause, das mit Batterie läuft“, erwiderte Astrid. „Das hätte ich ja mitbringen können, dann wären zwei Ecken markiert gewesen.“
„Dann bringst du es eben nächstes Mal mit“, sagte Petra unwillkürlich.
Astrid horchte auf. Nächstes Mal? Das bedeutete ja, daß sie mehr als nur eine Reitstunde bekommen konnte. Sofort fühlte sie sich sehr viel besser, und ihre Aufregung verringerte sich.
Zuerst durfte sie im Schritt am Zaun entlangreiten. Petra erklärte, was sie mit Händen und Füßen tun mußte und wie man richtig im Sattel sitzt. Das Pony ging folgsam vorwärts und bog in den Ecken der Bahn von selbst ab. Während der ganzen Zeit lauschte Astrid auf das Radio, um sich zu orientieren. Sie versuchte zu erraten, wie weit es bis zur nächsten Ecke war. Es war nicht leicht, aber es machte ihr Spaß.
„Das Lämmchen da scheint uns zuzusehen“, sagte Lena plötzlich.
„Ja, das ist Däumling“, erwiderte Petra. „Eines unserer Mutterschafe bekam im Frühling drei Lämmer. Aber die Milch reichte nur für zwei, so daß ich das kleinste mit dem Fläschchen füttern mußte. Es war damals so winzig, daß ich es Däumling taufte. Eine Zeitlang konnte es prima zwischen allen Zaunlatten durchkriechen, aber jetzt ist es zu groß dafür. Es ist mir wie ein kleiner Hund überallhin gefolgt.“
„Ist es dir auch nachgelaufen, wenn du geritten bist?“ fragte Astrid.
„Nein. Svala hat es einmal gebissen; seitdem hat sich Däumling immer in sicherer Entfernung gehalten.“
Plötzlich merkte Astrid, wie das Pony stehenblieb und zu erstarren schien.
„Svala!“ rief Petra scharf.
Im gleichen Augenblick begann der Sattel so gewaltig zu schaukeln wie ein Ruderboot auf hoher See. Svalas Hinterhufe wirbelten durch die Luft und trafen einen Zaunpfahl, der mit scharfem Krach entzweibrach. Astrid hörte ein erschrockenes Blöken, das sich rasch in der Ferne verlor.
Dann machte Svala einen Ruck, blieb von neuem unvermittelt stehen und bewegte sich eifrig vor und zurück. Verzweifelt klammerte sich Astrid am Sattel fest. Scheute das Pony? Oder machte es Luftsprünge? Astrid wußte es nicht, doch sie fühlte sich wie ein Klecks Butter auf einer heißen Kartoffel. Jeden Augenblick konnte sie abgeworfen werden.
„Ruhe, Svala, beruhige dich doch!“
Petras Stimme war nun direkt neben Astrid. Was war nur geschehen? Astrid war vor Schreck wie gelähmt.
„So, jetzt … komm nur!“
Petra stieß die Worte wie unter einer gewaltigen Anstrengung hervor. Plötzlich machte Svala einen Riesensatz vorwärts, und Astrid hörte ein Krachen. War Petra gefallen? Nun stand das Pony wieder ruhig da.
Astrid klammerte sich noch immer krampfhaft am Sattel fest, während sie mit den Füßen nach den Steigbügeln angelte. Sie hatte nicht gewußt, daß Svala so erschreckend stark war. Sie fühlte sich völlig hilflos. Das Pony konnte ja alles mögliche mit ihr anstellen!
„Was ist passiert?“ keuchte sie.
„Svala hat nach Däumling ausgeschlagen und ist mit dem Huf im Zaun steckengeblieben“, erklärte Petra. „Ich mußte ihr helfen, wieder loszukommen. Hoffentlich wird ihr das eine Lehre sein.“
„Warum hat sie denn ausgeschlagen?“ fragte Lena.
„Svala haßt Däumling. Ich glaube fast, sie ist eifersüchtig, weil ich mich so viel mit dem kleinen Wollknäuel beschäftigt habe.“
„Aber sie hat das Lämmchen doch hoffentlich nicht getroffen?“ Astrids Stimme klang ängstlich.
„Ich glaube nicht. Mal sehen, ob Däumling etwas fehlt … Nein, soweit ich sehen kann, ist er ganz munter.“
„Hat dein Pony den Zaun zerbrochen?“ fragte Astrid. „Es klang jedenfalls so.“
„Ach, es war nur ein morscher Pfosten. Man kann leicht einen neuen einsetzen. Wollen wir weitermachen?“
„Aber ich falle aus dem Sattel, wenn Svala wieder ausschlägt!“
„Du hast dich doch wunderbar gehalten“, widersprach Petra. „Und Däumling ist zu den anderen Schafen zurückgelaufen. Also gibt’s für Svala keinen Grund mehr, wütend zu werden.“
„Könntest du sie jetzt führen?“