Dr. Brinkmeier Staffel 3 – Arztroman. Sissi Merz
fing ihr Herz an, unruhig zu klopfen. Max verhielt sich mit einem Mal ganz anders als bisher. Was mochte das nur bedeuten? Sie sollte es wenig später erfahren. Als sie sich nämlich bei Kaffee und Kuchen gegenübersaßen, gab Dr. Brinkmeier offen zu: »Ohne dich hätte ich die vergangenen Wochen nicht überstanden, Anna. Ich weiß, was ich dir verdanke. Und ich möchte nicht, daß du denkst, ich wüßte deine Hilfe nicht zu schätzen.«
»Ich bitte dich, Max, ich hab’ ja gar nix besonderes gemacht. Es war nicht mehr als ein kleiner Freundschaftsdienst. Das solltest du nicht überbewerten.«
»Hast eigentlich Absichten auf den Rainer Fewinger?« wechselte er nun das Thema. »Vielleicht geht es mich nix an, aber ich wüßte da gerne Bescheid. Magst es mir verraten?«
Sie errötete ein wenig und lächelte nervös. »Jedem anderen würde ich eine solche Frage als Indiskretion auslegen. Aber bei dir nehme ich es net krumm. Schließlich sind wir alte Freunde. Der Rainer ist in mich verliebt und würde mich gerne heiraten. Deshalb kommt er ja auch öfter übers Wochenende nach Wildenberg.«
»Das würde sich doch wunderbar fügen für dich«, sinnierte Max. »Er hat schließlich auch eine Apotheke. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein gemeinsamer Beruf sehr verbinden kann. Aber manchmal hilft net einmal das…« Er blickte bekümmert vor sich hin, Anna versicherte ihm: »Ich will net fort von hier. Schließlich ist Wildenberg mein Heimatdorf. Hier leben die Menschen, die mir etwas bedeuten. Ich könnte das alles niemals einfach im Stich lassen und fortgehen.«
»Du bist eben ein treuer Mensch, soll es geben.«
»Max, hör mir mal zu. Ich finde, es wird Zeit, ganz offen miteinander zu reden. Daß die Julia fort ist, bedeutet doch net das Ende eurer Beziehung. Du hast mir selbst gesagt, daß du net weißt, ob sie bleiben wird. Schließlich weißt, wie sehr sie an ihrer Arbeit in Afrika hängt. Aber eine Entscheidung, die kann man auch revidieren. Sie muß net für alle Zeiten gelten.«
»Du hast mir mal gesagt, daß du Julias Verhalten falsch findest. Für dich steht die Liebe an erster Stelle, dann kommt erst der Beruf. Ich habe damals noch anders gedacht, weil ich Julias Passion für ihre Arbeit in der Entwicklungshilfe kenne. Aber jetzt ist mir bewußt geworden, daß du Recht hattest. Man kann seinen Beruf überall ausüben, gerade als Arzt. Aber man darf den Menschen, den man liebt, nicht im Stich lassen.«
»Sicher sieht sie das nicht so. Und ich bin auch davon überzeugt, daß sie sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Schließlich hatte sie doch den festen Willen, bei dir zu bleiben. Du solltest sie nicht verurteilen, Max. Verbitterung ist ein schlechter Ratgeber.«
»Ach, Anna, du hast wie immer Recht. Trotzdem fällt es mir schwer, mit dem umzugehen, was Julia getan hat. Es stellt für mich alles in Frage. Ich verspüre kaum noch einen Antrieb, meine Arbeit zu erledigen. Wenn ich morgens aufwache, denke ich zuerst an Julia und frage mich, wie sie ihr Leben ohne mich meistert. Vermutlich fällt es ihr nicht schwer, sie konnte ja auch einfach weggehen. Und ich fühle mich wie ein Idiot.«
»Nun mach aber mal einen Punkt. Du bist sehr enttäuscht worden und mußt damit erst mal fertig werden. Aber das schaffst du nicht, wenn du nur nachgrübelst und in der Vergangenheit wühlst. Komm, laß uns aufbrechen. Eine Kraxeltour wird dir den Kopf wieder frei machen. Und hernach siehst die Dinge nimmer so eng.«
Er warf ihr einen dankbaren Blick zu. »Gehen wir.«
Anna sollte recht behalten; die Bergtour wurde für sie und Max zu einem wunderbaren Erlebnis. Sie stiegen in die Westwand des Untersbergs ein, kraxelten ein gutes Stück bis zu einem Aussichtspunkt, von dem aus sie einen herrlichen Rundblick hatten. Es war ein klarer, sonniger Sommertag, die Sicht ging ungehindert bis hinüber zum Tennengebirge im Norden und über Zauberwald und Hintersee hinweg nach Berchtesgaden. In der würzigen Bergluft lag bereits der Duft der Heumaat auf den umgebenden Matten, ein Bergadler kreiste zeitweise über ihnen. Und als die Sonne schon tief im Westen stand, ihr warmes Licht das liebliche Land mit einer Kaskade von Karmesin und Gold überflutete, da wurde auch dem jungen Landarzt das Herz ganz weit. Er warf Anna immer wieder dankbare Blicke zu, denn allein hätte er sich kaum zu einem solchen Ausflug aufraffen können.
Müde und zufrieden kehrten sie nach Wildenberg zurück. Und beim gemeinsamen Abendbrot waren auch Josef Brinkmeier und die Hausperle Afra dabei. Man unterhielt sich angeregt, die Stimmung war heiter. Als Max kurz die Stube verließ, um eine Flasche Wein aus dem Keller zu holen, sagte sein Vater mit offener Anerkennung zu Anna Stadler: »Das verdankt der Max nur dir. Wenn du bei ihm bist, Anna, dann ist er wieder der Alte.«
»Aber es hält net lang vor«, warf Afra skeptisch ein. »Der Max hat keine Freude mehr an seiner Arbeit. Jeden Morgen kommt er mit griesgrämiger Miene zum Frühstück. Und jeden Abend hockt er unglücklich droben in seiner Wohnung. Ich sag es euch, das nimmt kein gutes Ende. Daß die Julia ihm das aber auch antun mußte!«
»Bist auch der Meinung?« fragte Josef Anna, die sich ihre Antwort gut überlegte. Sie stand noch unter dem Eindruck des schönen gemeinsamen Nachmittags. Aber sie wußte auch, daß es wenig Sinn hatte, sich etwas vorzumachen.
»Ich glaube, die Afra hat Recht. Der Max ist in eine richtige Krise geraten. Seit die Julia fort ist, geht es ihm schlecht, auch wenn er das jetzt nimmer so direkt zeigt. Es müßte was geschehen, glaube ich.«
»Du hast schon viel für ihn getan«, warf die Hauserin ein.
»Ich meine ja auch net, daß ich etwas ändern kann. Wißt ihr, ich bin für den Max nur eine gute Freundin, mehr net. Ich kann ihm ein bissel beistehen, aber seinen Trennungsschmerz, den kann ich ihm net abnehmen. Und der setzt ihm eben doch arg zu.«
Brinkmeier senior rieb sich nachdenklich das Kinn, dann beschloß er: »Ich rede morgen mal mit dem Lukas und der Tina. Wenn einer den Max richtig einzuschätzen weiß, dann ist es sein Bruder. Und der wird gewiß auch einen Einfall haben, wie wir ihm noch helfen können, damit er endlich seinen Kummer vergißt.«
»Lade den Lukas und seine Frau halt zum Mittagsmahl ein«, schlug die Hauserin dem alten Landarzt vor. »Der Max wird sich freuen, sie zu sehen. Und ein bissel nette Gesellschaft ist nie verkehrt.« Sie warf der jungen Apothekerin einen vielsagenden Blick zu. »Wenn er nur sein Herz für dich endlich entdecken würde, dann hätten alle Sorgen auf einen Schlag ein Ende.«
»Leider geht es im Leben nicht immer so, wie man es sich wünscht«, seufzte Anna da. »Leider…«
*
Lukas Brinkmeier und seine Frau Tina erschienen am nächsten Tag pünktlich zum Mittagessen. Sie brachten auch ihren kleinen Sohn mit, den sie nach seinem Onkel genannt hatten. Max freute sich stets, seinen Namensvetter und Neffen zu sehen. Er nahm das Baby gern auf den Schoß, das sich bei ihm überaus wohl fühlte. Zu viert verbrachte man ein paar nette Stunden, doch auch Lukas bemerkte, daß mit seinem Bruder etwas nicht stimmte.
Nach dem Essen legte Tina das Kind schlafen, Max und Lukas saßen noch in der guten Stube beisammen. Die Brüder sahen sich überhaupt nicht ähnlich. Während Max sandblondes Haar wie der Vater hatte, kam Lukas nach der früh verstorbenen Mutter. Er war ein dunkler Typ mit samtbraunen Augen. Und auch was das Temperament anging, unterschieden die zwei sich wie Tag und Nacht. Max war ausgleichend und verständnisvoll, Lukas leicht erregbar und aufbrausend. Früher waren sie wie Hund und Katze gewesen, denn der Bauer hatte sich dem Studierten unterlegen gefühlt und war oft neidisch gewesen. Seit er mit der patenten Tina verheiratet war, die ihm Selbstbewußtsein vermittelte, hatte sich das Verhältnis der Brüder gebessert. Und nur deshalb war es nun auch möglich, daß Lukas offen fragte: »Was ist los mit dir, Max? Du hast dich verändert, bist nimmer so wie früher. Ist das die Schuld von der Julia? Oder steckt noch mehr dahinter? Magst dich net aussprechen?«
»Es liegt an der Trennung von der Julia, das stimmt schon«, gab der Landarzt nachdenklich zu. »Seit sie fort ist, habe ich an nix mehr richtig Spaß. Sogar mein Beruf ist mir einerlei geworden, ist nur noch eine lästige Pflicht.«
Lukas war ehrlich überrascht, das zu hören. »Ich kann mir das net wirklich vorstellen. Du hast dir hier in Wildenberg doch einen Namen gemacht, die Leut’ respektieren dich, sie zählen auf dich. Das ist eine