E-Bike. Martin Häußermann
ist sich das Nordlicht Nicolai absolut einig mit dem Bayern Jo Klieber, in dessen Ausweis eigentlich der Vorname Jochen steht, was aber nur wenigen in der Szene bekannt ist. Klieber ist ebenfalls Ingenieur, Gründer des Komponentenherstellers Syntace sowie der Mountainbike-Marke Liteville, die er 2004 gemeinsam mit einem neuen Team ins Leben rief. Seither gilt Liteville – neben Nicolai – als Spezialist für Aluminium-Leichtbaurahmen der Spitzenklasse und Vertreter einer kompromisslosen Qualitätsphilosophie mit Hang zur Perfektion. Die Ziele der beiden High-End-Marken sind also vergleichbar, die Wege dorthin aber unterschiedlich. Grund genug, den beiden E-Bike-Bauern einen Besuch abzustatten.
VOM GARAGENBETRIEB ZUR HIGH-END-MANUFAKTUR
Nicolai Bikes sitzt im beschaulichen Mehle, gut 30 Kilometer südlich von Hannover. Das 1.000-Seelen-Dorf ist ein Stadtteil von Elze und liegt eingebettet in Felder, Wiesen und Berge. Hier hat sich Kalle Nicolai einen Dreiseithof gekauft, in dem er sich seinen Traum erfüllte und eine eigene Mountainbike-Marke betreibt, die er 1996 buchstäblich als Garagenbetrieb gegründet hatte. Dort war es schnell zu klein geworden, der Erwerb des alten Bauernhofs linderte zunächst das Platzproblem. Der Chef wohnte im Haupthaus, in den Nebengebäuden standen die Maschinen. Das kreative Herz der Firma schlägt noch immer im Bauernhof, Kalle Nicolai hat dort noch immer seine Wohnung und auch sein Ingenieurbüro.
Handwerkskunst: Bei Nicolai wird jeder Rahmen von Hand geschweißt und in Form gebracht.
» MIR GEHT ES DARUM, NOCH MEHR MENSCHEN AUFS RAD ZU BEKOMMEN. «
Die aktuelle Produktionsstätte jedoch befindet sich in einer ehemaligen Großbäckerei am Ortsrand von Mehle. Dort, wo einst Tausende von Tortenböden vom Band liefen, entstehen heute Alurahmen der Spitzenklasse. Statt Backstraßen stehen hier heute unter anderem Dreh- und Fräsmaschinen, Schweiß-Arbeitsplätze und Öfen. Eben alles, was man braucht, um aus rohen Alurohren, -stangen, -blöcken und -profilen fertige Rahmen herzustellen. Denn Nicolai fertigt alle Bauteile für seine Rahmen selbst. Das geht vom Zuschnitt der Rohre über den Umlenkhebel bis zum Leitungshalter, die aus den hauseigenen CNC-Fräsen kommen.
Und deshalb ist das Produktionslager eigentlich nichts anderes als ein riesiger Stabil-Baukasten, in dem die Rahmenbauer die Komponenten zusammenstellen, aus denen dann in individuellen Rahmenlehren ein Rohgerüst entsteht. Schweißpunkte fixieren die Positionen der Komponenten, erst später entstehen die breiten und gleichmäßig geschuppten Schweißnähte, die für Nicolai so typisch sind. Diese Schweißnähte werden langsam gezogen, wodurch eine besonders stabile Verbindung der Rahmenbauteile entsteht. Wiederholtes Richten und Wärmebehandlung sorgen dafür, dass der Rahmen seine definierte Form beibehält und keine Spannungen im Rahmen entstehen. Die Schweißnähte werden hinterher auch weder verschliffen noch verspachtelt, was für technikaffine Fahrradfans ein Qualitätsausweis ist. Kalle Nicolai sieht in dieser technisch-handwerklichen Optik die ideale Möglichkeit, um beim Betrachter Vertrauen zu erzeugen: »Die industrielle Formsprache ist kein Selbstzweck. Sie zeichnet den Entstehungsprozess des Produkts nach, macht die Logik der Konstruktion transparent und offenbart deren Eigenschaften und Funktionen.«
Bestseller: Kalle Nicolai mit seinem E-MTB Eboxx in der Maschinenhalle.
» DIE INDUSTRIELLE FORMSPRACHE IST KEIN SELBSTZWECK. SIE ZEICHNET DEN ENTSTEHUNGSPROZESS NACH. «
NICOLAI SCHWÖRT AUF ALUMINIUM
Das sehen auch die Kunden des Nicolai Eboxx. Das E-MTB mit Bosch-Antrieb ist, so berichtet Kalle Nicolai, zu einer tragenden Säule des Unternehmens geworden und wird stetig weiterentwickelt. Inzwischen sind vier Varianten erhältlich, zwei davon gehen, zahlreichen Kundenwünschen folgend, mit einer kompletten Straßenausstattung an den Start – also mit Lichtanlage, Schutzblechen und Gepäckträger. Auch wenn damit das Gewicht deutlich nach oben gegangen ist: Im Kern bleibt das Eboxx ein reinrassiges E-MTB mit einem Alurahmen, der auch härteste Geländeeinsätze meistert.
In den Rahmen aus Mehle steckt eben nicht nur jede Menge Handwerkskunst, sondern auch Hirnschmalz. So entwickelte man aus einem Aluminiumprofil ein Unterrohr, das einen Bosch-Intube-Akku klapperfrei aufnimmt. Hier wird konstruiert, berechnet und gezeichnet, es werden Prototypen gebaut und so lange getestet, bis Kalle den Daumen hebt. Input liefern dabei die hauseigenen Entwickler ebenso wie Teamfahrer, aber auch kritische und sachkundige Kunden. Fünfe gerade sein lassen im Entwicklungs- und Produktionsprozess ist Kalle Nicolais Sache nicht. Er bezeichnet sich selbst als sehr detailverliebt: »Aber das ist kein Selbstzweck, wir arbeiten an Details, weil wir immer auf der Suche nach der besseren technischen Lösung sind.«
Entwicklung: Aluminiumprofile und -rohre bilden die Basis für Nicolai-Rahmen.
Baukasten: Im Produktionslager holen sich die Rahmenbauer alle notwendigen Komponenten.
DREI STANDORTE, EINE PHILOSOPHIE
Sätze dieser Kategorie sind auch von Jo Klieber zu hören, den wir in der Syntace-Zentrale in Tacherting treffen, eine Kleinstadt mitten im schönsten Oberbayern, etwa 25 Kilometer nördlich vom Chiemsee. Ein Paradies für Wanderer und Biker. Offensichtlich scheint diese ländliche Atmosphäre Kreativität beim Mountainbike-Bau zu fördern. Außerdem liegt das Testrevier quasi vor der Haustür. Erst recht, wenn man wie Liteville gleich drei Standorte hat. Neben Tacherting ist dies Wiggensbach im Allgäu sowie der eigene Flagship-Store im italienischen Mountainbike-Paradies Torbole.
Doch der Nukleus des Unternehmens ist zweifellos Tacherting, der Ort, an dem das Abenteuer begann. Es war ein schmerzhafter Start. Denn Jo Klieber legte sich 1991 bei einem Offroad-Ritt mit dem Motorrad auf die Nase. Das endete nicht nur mit blauen Flecken. Um schnell wieder auf die Beine zu kommen, erschien Fahrradfahren als beste Therapie. Und die Bikebranche als ideales Betätigungsfeld für einen experimentierfreudigen Ingenieur. Seine Premiere auf dem Bikemarkt feierte Jo Klieber 1992 mit dem Aerolenker Syntace C2. Seither hat sich Syntace in der Szene zu einer Institution für hochwertige Lenker und Sattelstützen aus Carbon und Aluminium entwickelt. Doch während Kalle Nicolai darauf schwört, seine Konstruktionen auch selbst herzustellen, setzt Jo Klieber vorwiegend auf Ingenieurskunst, die er bei spezialisierten Lieferanten umsetzen lässt. Das heißt aber nicht, dass er über die Qualität keine Kontrolle hat. Für Lenker und Sattelstützen hat er eigenes Testgerät entwickelt, das einen Teil wirklich jeder Lieferung in Dauertests quält. Seine Rahmen lässt er bei einem renommierten Prüfinstitut auf Herz und Nieren checken. Von der Qualität ist er so überzeugt, dass er auf seine Rahmen großzügig Garantie gibt. In den ersten fünf Jahren werden defekte Rahmen kostenlos ersetzt, in den folgenden fünf Jahren trägt Liteville immer noch die Hälfte der Kosten. Klieber ergänzt: »Selbst bei starken Veränderungen des Rahmens oder auch im Fall selbst verschuldeter Unfälle gewähren wir großzügig Kulanz.«
» ES GEHT IMMER NOCH EIN KLEINES BISSCHEN BESSER. «