E-Bike. Martin Häußermann

E-Bike - Martin Häußermann


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       Bike-Verbesserer: Jo Klieber legt großen Wert auf Qualität auch im Detail und tüftelt deshalb immer wieder selbst in der Versuchswerkstatt.

      Bis Jo Klieber vom Komponentenspezialisten zum Fahrradbauer wurde, sollte es ein wenig dauern. Erst 2004 wurde die Marke Liteville eingeführt, also zwölf Jahre nach dem Einstieg in die Branche. Dass dies so lange gedauert hat, liegt vermutlich an Jo Kliebers Hang zum Perfektionismus. Sein Kernsatz lautet: »Es geht immer noch ein bisschen besser.« Dass sein Flaggschiff, das vollgefederte Mountainbike 301, regelmäßig Testsiege in Fachmagazinen einheimst, ist für ihn kein Grund, hier die Arbeit ruhen zu lassen. Stattdessen entwickelt er mit seinem Team dieses Erfolgsmodell, das für Enduristen und Alpencrosser längst zum Kultbike geworden ist, stetig weiter. Dazu gehören auch gemeinsame Ausfahrten. Auf einer solchen entstand dann auch die Idee, Liteville unter Strom zu setzen.

       DAS 301 IST EINE GUTE BASIS

      Nicht ohne Grund nahm Jo Klieber das 301 als Basis für die Entwicklung seines ersten E-MTB. Und zwar in dem Sinne, dass das neue E-MTB dasselbe hervorragende Handling hat wie ein 301, ebenso robust ist und wie dieses zu den leichtesten Vertretern seiner Gattung zählt. Dennoch, oder wahrscheinlich genau deshalb, ist das 301 CE nicht einfach ein elektrifiziertes 301. Das verrät schon die Typbezeichnung. Sonst hätte es einfach 301 E geheißen und einen reinrassigen Aluminiumrahmen gehabt, wie das bei Liteville eigentlich üblich ist. Doch so einfach macht es sich Jo Klieber nicht. Und deshalb heißt das neue Bike eben 301 CE, wobei das C für Carbon steht. Tatsächlich ist aber nur der Rahmen – also das Dreieck aus Sattel-, Unter- und Oberrohr – aus dem Kohlefasermaterial.

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       Bauwerk: In der neuen Halle in Tacherting werden unter anderem Laufräder gebaut und Waren verschickt.

      Das erschien Jo Klieber als die beste Lösung, um einerseits den eigenen Akku in den Rahmen zu integrieren, diesen Rahmen aber nicht zu schwer werden zu lassen. Der Hinterbau jedoch ist aus einer speziellen Aluminiumlegierung gefertigt, deren Steifigkeit die Kraft, die Fahrer und der Shimano Steps EP8 gemeinsam ans Hinterrad liefern, in stabilen Vortrieb umsetzt. Davon haben wir uns auf Probefahrten überzeugt, ebenso wie vom leichtfüßigen Fahrverhalten in kurvigen Trails, exzellenten Klettereigenschaften und hoher Fahrstabilität im Downhill. Es hat sich offensichtlich gelohnt, dass Jo Klieber und sein Team hier mit Traditionen gebrochen haben. Da kann man es verschmerzen, wenn vielleicht auch hier ein paar Gusseiserne Verrat rufen.

       AUF HÖHENFLUG

       DAS E-BIKE ROLLT AUF DER ERFOLGSSPUR, VERKAUFS- UND NUTZERZAHLEN GEHEN JAHR FÜR JAHR NACH OBEN. DIE GRUNDLAGE DAFÜR LEGTEN VISIONÄRE PIONIERE WIE DER TECHNIKER BERNHARD SPRENGER, DIE GRÜNDERMANNSCHAFT DES SCHWEIZER BIKE-HERSTELLERS FLYER, ABER AUCH DIE ENTWICKLER DES TECHNOLOGIEKONZERNS BOSCH. VON DEREN ERFINDERGEIST PROFITIEREN WIR E-BIKER DURCH ERWEITERTEN BEWEGUNGS-RADIUS, MEHR LUST, UNS IN DEN SATTEL ZU SCHWINGEN, UND GROSSEN FAHRSPASS.

       TEXT: MARTIN HÄUSSERMANN FOTOS: MARTIN HÄUSSERMANN, HERSTELLER, PD-F

      Pioniere werden oft belächelt. Als Albrecht-Ludwig Berblinger, der legendäre »Schneider von Ulm«, im Jahr 1811 versuchte, die Donau in einem Hängegleiter zu überqueren, blieb ihm nach dem Absturz nur der Spott seiner Zeitgenossen. Der Traum vom Fliegen erschien denen als pure Spinnerei. Doch Visionäre wie Otto Lilienthal oder die Gebrüder Wright verfolgten den Traum weiter, Lilienthal hatte gut 80 Jahre später erste Erfolge mit seinem Hängegleiter zu verzeichnen, und Anfang des 20. Jahrhunderts gelangen den Brüdern Wright erste Erfolge mit motorisierten Flugzeugen. Diese Pioniere kennt heute kaum einer, der mit dem Charterflieger in den Urlaub jettet.

      Und das ist beim E-Bike nicht anders. Als der schwäbische Elektrotechniker und Tüftler Bernhard Sprenger 1983 ein altes Herrenfahrrad mit einem Anlasser aus dem VW Käfer und einer Bosch-Autobatterie zum ersten E-Bike umbaute, interessierte das die Geschäftsleitung seines Arbeitgebers Bosch nicht wirklich. Seine über das betriebliche Vorschlagswesen eingereichte Konstruktion eines E-Bikes wurde abgeschmettert. »Damals war man der Meinung, dass das Fahrrad ein Sportgerät sei und keinen Motor brauche«, erzählt der heute 80-jährige Ruheständler. Inzwischen hat man es in dem weltweit tätigen Technologiekonzern begriffen, wie Claus Fleischer, Leiter von Bosch eBike Systems, in einem handgeschriebenen Brief an Sprenger formulierte: »Ihre Erfindung war wohl ihrer Zeit weit voraus. Einer tollen Idee folgt ein langer Weg und daraus wird eine Erfolgsgeschichte.«

      Dieser Satz gilt auch für Flyer, die Schweizer E-Bike-Marke, die 2020 ihren 25. Geburtstag feierte – und damit auch zu den Pionieren des E-Bikes gehört. Begonnen hatte die Geschichte aber schon 1993, als der Entwickler Philippe Kohlbrenner ein Tourenrad mithilfe eines Lkw-Scheibenwischermotors und einer kleinen Autobatterie zum E-Bike-Prototyp umbaute. Während Sprenger noch die Motorkraft per Reibrollenantrieb aufs Hinterrad geleitet hatte, übertrug Kohlbrenner sie aufs kleinste der drei vorderen Kettenräder. Der Mittelmotorantrieb war geboren.

      1995 ging der erste Flyer – so war die Marke zwischenzeitlich getauft worden – in Serie. Im Jahr 2000 folgte die futuristisch aussehende F-Serie, doch der Durchbruch kam tatsächlich erst mit der C-Serie. Die verkaufte sich zwar blendend, doch begründete sie anfänglich das Rentner- und Reha-Image, das dem E-Bike lange anhaftete.

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       Es geht voran: Flyer hat maßgeblich zur Popularisierung des E-Bikes beigetragen.

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       Pioniere I: Zum 25. Geburtstag holte Flyer nochmals seine Oldies raus.

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       Pioniere II: Bernhard Sprenger baute das erste europäische E-Bike.

       WEG VOM REHA-IMAGE

      Daran erinnert sich auch der Branchenkenner Gunnar Fehlau, der heute gern E-Bike fährt und dies auch fördert. Doch anfangs hatte er zu den Spöttern gezählt, wie er heute reumütig einräumt. Er berichtet vom Ende seiner ersten Probefahrt auf einem Flyer: »Wieder im Kreise der Gleichgesinnten, attestierte ich, die Räder sähen aus wie Krankenversicherung und führen sich genauso. Ich nahm Haltung an und proklamierte, auf absehbare Jahre noch ausreichend fit zu sein und deshalb kein solches Ding – es Fahrrad zu nennen, weigerte ich mich – zu brauchen, ich würde aber sehr wohl meinen älteren Vater fragen, ob er Interesse hätte.« Obwohl Fehlau heute noch fit genug ist, mit reiner Muskelkraft die von ihm ins Leben gerufene Grenzsteintrophy zu fahren, ist er längst zum E-Bike-Fan geworden: »Das Fahrrad war für mich seit Anbeginn ein Mittel zur Freiheit. Wenn der Motor nun die Leidenschaft Radfahren vom Leiden befreit, so ist das durchaus ein Gewinn an Freiheit.«

      Auch Claus Fleischer von Bosch eBike Systems hat erfahren, wie es ist, wenn man seiner Zeit voraus ist: »Als wir vor zehn Jahren angefangen haben, war es noch peinlich, als U50 auf einem Pedelec gesehen zu werden.« Als ambitionierter Mountainbiker erfuhr er selbst noch vor wenigen Jahren, dass Sportler das E-Bike als einen »Verrat am Fahrrad« einstuften. Dieses Urteil hat sich offensichtlich stark gewandelt, wie die Abstimmung an den Ladenkassen der Fahrradhändler zeigt. Nach einer Statistik des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) wurden 2019 1,36 Millionen elektrounterstützte Fahrräder verkauft, das ist ein Plus von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 2020 setzte das E-Bike seinen Wachstumskurs weiter fort. Die Menschen, die wegen der Corona-Pandemie nicht reisen durften, schwangen sich in den Sattel ihres neuen E-Bikes und endeckten ihre Heimat neu.

      Inzwischen ist das E-Bike – so stellt nicht nur Claus Fleischer fest


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