Games | Game Design | Game Studies. Gundolf S. Freyermuth
Ebd., loc. 879. Vgl. auch Egenfeldt-Nielsen et al.: Understanding Video Games, loc. 1103.
5 Mäyrä: Game Studies, loc. 543.
6 Egenfeldt-Nielsen et al.: Understanding Video Games, loc. 738.
1 Was ist ein Spiel? Systematische vs. historische Ansätze
Parallel zum kulturellen Aufstieg digitaler Spiele entstand eine kaum überschaubare Vielzahl konkurrierender und sich auch widersprechender Bestimmungen, wie Spiele – als Gegenstand des Game Designs wie der Game Studies – zu definieren seien.
VERSUCHE SYSTEMATISCHER DEFINITION
Beispielhaft seien hier lediglich drei der wichtigeren Definitionen aus dem Bereich des Game Designs genannt:
»A game is a form of art in which participants, termed players, make decisions in order to manage resources through game tokens in the pursuit of a goal.« (Greg Costikyan)1
»A game is: a closed, formal system, that engages players in structured conflict, and resolves in an unequal outcome.« (Tracy Fullerton, Chris Swain, Steven Hoffman)2
»All games share four defining traits: a goal, rules, a feedback system, and voluntary participation [...] Everything else is an effort to reinforce and enhance these four core elements.« (Jane McGonigal)3
Die stete Akkumulation von Definitionen wiederum führte im vergangenen Jahrzehnt mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zu Versuchen der Synthese und damit zu Meta-Definitionen. Katie Salen und Eric Zimmerman etwa analysierten in ihrem Game-Design-Standardwerk Rules of Play eine Reihe existierender Versuche, Spielen (Play) und Spiel (Game) zu definieren, u.a. von Johan Huizinga4, Roger Caillois5 und Brian Sutton-Smith6. Dabei isolierten sie übereinstimmende Elemente, u.a. Regelbestimmtheit, Zielorientierheit, Freiwilligkeit, Kunstcharakter, um aus ihnen eigene Definitionen zu destillieren. Zum einen: »Play is free movement within a more rigid structure.«7 Und zum anderen: »A game is a system in which players engage in an artificial conflict, defined by rules, that results in a quantifiable outcome.«8
Vergleichbar ging zwei Jahre später Jesper Juul vor, indem er in Half-Real: Video Games between Real Rules and Fictional Worlds (2005) aus sieben Definitionen sein »classic game model«9 destillierte:
»A game is a rule-based system with a variable and quantifiable outcome, where different outcomes are assigned different values, the player exerts effort in order to influence the outcome, the player feels emotionally attached to the outcome, and the consequences of the activity are negotiable.«10
Dieses Modell habe, meint Juul, für »at least a 5,000-year history of games«11 deren mediale Grundlage gestellt: »It corresponds to the celluloid of movies; it is like the canvas of painting or the words of the novel.«12 Erst im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts sei es durch das neue Genre analoger Rollenspiele und deren Institution des Game Masters sowie einen Teil digitaler Spiele in Frage gestellt worden.13
Ähnlich sichtete auch Jesse Schell in The Art of Game Design (2008) diverse Definitionen und abstrahierte zehn Qualitäten, die Spielen zugeschrieben werden:
»Q1. Games are entered willfully.
Q2. Games have goals.
Q3. Games have conflict.
Q4. Games have rules.
Q5. Games can be won and lost.
Q6. Games are interactive.
Q7. Games have challenge.
Q8. Games can create their own internal value.
Q9. Games engage players.
Q10. Games are closed, formal systems.«
Aus ihnen gewann er eine eigene Definition: »A game is a problem-solving activity, approached with a playful attitude.«14
SCHEITERN SYSTEMATISCHER DEFINITION
Gemeinsam ist diesen durchaus divergierenden Anstrengungen, einen systematischen Begriff des Gegenstands von Game-Design-Theorie und Game Studies zu gewinnen, dass sie gleichermaßen vor der Realität digitaler Spiele und dem Stand ästhetischer Theorie versagen. Frans Mäyrä wie Egenfeldt-Nielsen et al. haben darauf hingewiesen, in welch hohem Maße das Gros der kursierenden Definitionen neuere Spielformen wie Simulationen, MMORPGs (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games) oder Open-World- und Sandbox-Games im Interesse definitorischer Kohärenz missachten muss.15 Theoriegeschichtlich zeigen sich zudem die meisten ontologisch orientierten Anstrengungen in ihrer utilitaristischen Suche deutlich der Normativität vormoderner Poetiken verpflichtet. Aus der Perspektive ästhetischer Theorie erweisen sie sich damit gleichermaßen als rückständig und vergeblich. Denn insofern analoge wie digitale Spiele ästhetische Konstruktionen sind, deren Inhalte sozialem und deren Formen kulturellem Wandel unterliegen, scheinen alle Anstrengungen zu einer ahistorischen und systematisch-normativen Definition von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Avancierte künstlerische Produktion in der Moderne stellt sich, nachdem sie die Fesseln von Religion und Tradition abgeworfen hat, den gewandelten Lebensweisen, Themen und Widersprüchen ihrer Zeit immer wieder neu. Sie kennt daher kaum mustergültige Regeln, die sich zeitlos ermitteln ließen. Wie Werke der Literatur oder der Bildenden Kunst, wie Bühnenspiele oder Spielfilme sind daher auch Spiele einzig unter historischer Perspektive auf ihren theoretischen Begriff zu bringen.16
Eine solche historische Analyse hat gegenwärtig vor allem anderen auf den Nachvollzug der kategorialen Differenz analoger und digitaler Medien zu konzentrieren. Aus ihm ergibt sich die Notwendigkeit, begrifflich auch zwischen analogen und digitalen Spielen zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung aber ziehen die meisten Versuche systematischer Definition kaum in Betracht.17 Jesper Juul erkennt zwar eine historische Entwicklung – dass seit den 1970er Jahren Spiele aufkommen, die sich unter seinem »classic game model« nicht mehr fassen lassen.18 In der Analyse trennt er jedoch bewusst nicht zwischen analogen und digitalen Spielen. Vielmehr versteht er letztere schlicht als »continuations of a history of games that predate these [video games] by millennia«.19 Noch direkter treffen Salen und Zimmermann diese Nicht-Unterscheidung:
»The definition of ›game‹ that we proposed in the previous chapter makes no distinction between digital and non-digital games – the qualities that define a game in one media also define it in another.«20